[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.Neue Fabeln. II. Die Wachteln. EJn unzehlbares WachtelnheerBefand sich allbereit am Strande, Und zielte stündlich über Meer Nach jenem weitentlegnen Lande. Eh sie die Reise unternahmen Verschlückten sie den Bilsensamen, Wenn sie die Artzeney genommen, Von ihrer Fettigkeit zu kommen; Dieweil des Fettes schwere Bürde Sie sonst am Streichen hindern würde. Doch hörte man die Jungen zancken, Die einen sagten: Wir erkrancken, Wenn wir so viele Tage fasten. Die andern sprachen: Auszurasten, Jst auf dem unbegräntzten Meer Kein Aufenthalt für unser Heer. Zudem ist unser schwacher Flug Vom Untergange Vorboths gnug. Die Alten sprachen: Sorget nicht, Es dienet euch zum Unterricht, Daß wir nicht eh von Lande gehen, Biß daß die guten Winde wehen. Auch finden wir bey Sturm und Wetter Jm Meer an allen Orten Blätter, Auf welche sich die Müden setzen, Und dieses sonder sich zu netzen. Es ist uns noch ihr lieben Jungen, Auf allen Reisen wohl gelungen. Die kluge Rede fand Gehör, Sie machten sich gefaßt zur Reise Und thaten nach der Aeltern Weise. Jzt gieng der Zug hoch über Meer, Und sie erfuhren gleich den Alten Daß Jupiter die gantze Schaar Vor augenscheinlicher Gefahr Durch seinen weisen Schutz erhalten. III.
Neue Fabeln. II. Die Wachteln. EJn unzehlbares WachtelnheerBefand ſich allbereit am Strande, Und zielte ſtuͤndlich uͤber Meer Nach jenem weitentlegnen Lande. Eh ſie die Reiſe unternahmen Verſchluͤckten ſie den Bilſenſamen, Wenn ſie die Artzeney genommen, Von ihrer Fettigkeit zu kommen; Dieweil des Fettes ſchwere Buͤrde Sie ſonſt am Streichen hindern wuͤrde. Doch hoͤrte man die Jungen zancken, Die einen ſagten: Wir erkrancken, Wenn wir ſo viele Tage faſten. Die andern ſprachen: Auszuraſten, Jſt auf dem unbegraͤntzten Meer Kein Aufenthalt fuͤr unſer Heer. Zudem iſt unſer ſchwacher Flug Vom Untergange Vorboths gnug. Die Alten ſprachen: Sorget nicht, Es dienet euch zum Unterricht, Daß wir nicht eh von Lande gehen, Biß daß die guten Winde wehen. Auch finden wir bey Sturm und Wetter Jm Meer an allen Orten Blaͤtter, Auf welche ſich die Muͤden ſetzen, Und dieſes ſonder ſich zu netzen. Es iſt uns noch ihr lieben Jungen, Auf allen Reiſen wohl gelungen. Die kluge Rede fand Gehoͤr, Sie machten ſich gefaßt zur Reiſe Und thaten nach der Aeltern Weiſe. Jzt gieng der Zug hoch uͤber Meer, Und ſie erfuhren gleich den Alten Daß Jupiter die gantze Schaar Vor augenſcheinlicher Gefahr Durch ſeinen weiſen Schutz erhalten. III.
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Neue Fabeln.
II. Die Wachteln.
EJn unzehlbares Wachtelnheer
Befand ſich allbereit am Strande,
Und zielte ſtuͤndlich uͤber Meer
Nach jenem weitentlegnen Lande.
Eh ſie die Reiſe unternahmen
Verſchluͤckten ſie den Bilſenſamen,
Wenn ſie die Artzeney genommen,
Von ihrer Fettigkeit zu kommen;
Dieweil des Fettes ſchwere Buͤrde
Sie ſonſt am Streichen hindern wuͤrde.
Doch hoͤrte man die Jungen zancken,
Die einen ſagten: Wir erkrancken,
Wenn wir ſo viele Tage faſten.
Die andern ſprachen: Auszuraſten,
Jſt auf dem unbegraͤntzten Meer
Kein Aufenthalt fuͤr unſer Heer.
Zudem iſt unſer ſchwacher Flug
Vom Untergange Vorboths gnug.
Die Alten ſprachen: Sorget nicht,
Es dienet euch zum Unterricht,
Daß wir nicht eh von Lande gehen,
Biß daß die guten Winde wehen.
Auch finden wir bey Sturm und Wetter
Jm Meer an allen Orten Blaͤtter,
Auf welche ſich die Muͤden ſetzen,
Und dieſes ſonder ſich zu netzen.
Es iſt uns noch ihr lieben Jungen,
Auf allen Reiſen wohl gelungen.
Die kluge Rede fand Gehoͤr,
Sie machten ſich gefaßt zur Reiſe
Und thaten nach der Aeltern Weiſe.
Jzt gieng der Zug hoch uͤber Meer,
Und ſie erfuhren gleich den Alten
Daß Jupiter die gantze Schaar
Vor augenſcheinlicher Gefahr
Durch ſeinen weiſen Schutz erhalten.
III.
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