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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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Arion
Zweigen sitzend erbärmliche Seufzerherfür gluch-
sete, mit Grämen sich abkränckete, und den
finstern Wald mit Klagen erfüllete. Ja es ist
ein Gerüchte, daß selbst einigen von den Uebel-
thätern das Hertz bey Arions Klagen gewancket
habe; aber Morfus, den ein unsinniger Geitz
mehr als Felsenhart gemachet, und der alle
Spuren der Menschheit in sich ertödet hatte, fiel
mit thierischem Gebrülle auf ihn ein, und hub
das Eisen zu einem schnellen Schlage empor,
und damahls stürtzte sich Arion mit schwerem
Falle in den Tod.

Kaum hatte das oberste Wasser ihn berühret,
als etwas sich unter ihm regete, ihn empor hub,
und schnell durch die See wegführete. Arion
ermunterte sich, und raffete seine Kräfte zusam-
men, da er sich auf dem breiten Rücken eines
schuppichten Delphins erblickete, der ihn allbe-
reits aus dem Gesichte seiner Verräther wegge-
tragen hatte. Sein Klagelied führete dieses edle
Thier aus der Tiefe hervor, es schwamm nächst
an dem vördern Theile des Schiffes, bald de-
kete es sich mit leichten Wellen, bald ragete sein
hoher Leib gantz empor; es war unmuthig, daß
Arion sich so lange grämete, und erwartete den
Fall, damit es ihn aus der Hand der Mörder
davon trüge. Jetzund legte es seinen runden
Kopf für sich auf die Wellen, und stieß sie rau-
schend von einander, seine Floßfedern schlugen
auf beyden Seiten mit Macht in die See, sein
mächtiger Leib stieß sich fort, mit dem breiten
Schweife regierte es den geschwinden Lauf nach

dem

Arion
Zweigen ſitzend erbaͤrmliche Seufzerherfuͤr gluch-
ſete, mit Graͤmen ſich abkraͤnckete, und den
finſtern Wald mit Klagen erfuͤllete. Ja es iſt
ein Geruͤchte, daß ſelbſt einigen von den Uebel-
thaͤtern das Hertz bey Arions Klagen gewancket
habe; aber Morfus, den ein unſinniger Geitz
mehr als Felſenhart gemachet, und der alle
Spuren der Menſchheit in ſich ertoͤdet hatte, fiel
mit thieriſchem Gebruͤlle auf ihn ein, und hub
das Eiſen zu einem ſchnellen Schlage empor,
und damahls ſtuͤrtzte ſich Arion mit ſchwerem
Falle in den Tod.

Kaum hatte das oberſte Waſſer ihn beruͤhret,
als etwas ſich unter ihm regete, ihn empor hub,
und ſchnell durch die See wegfuͤhrete. Arion
ermunterte ſich, und raffete ſeine Kraͤfte zuſam-
men, da er ſich auf dem breiten Ruͤcken eines
ſchuppichten Delphins erblickete, der ihn allbe-
reits aus dem Geſichte ſeiner Verraͤther wegge-
tragen hatte. Sein Klagelied fuͤhrete dieſes edle
Thier aus der Tiefe hervor, es ſchwamm naͤchſt
an dem voͤrdern Theile des Schiffes, bald de-
kete es ſich mit leichten Wellen, bald ragete ſein
hoher Leib gantz empor; es war unmuthig, daß
Arion ſich ſo lange graͤmete, und erwartete den
Fall, damit es ihn aus der Hand der Moͤrder
davon truͤge. Jetzund legte es ſeinen runden
Kopf fuͤr ſich auf die Wellen, und ſtieß ſie rau-
ſchend von einander, ſeine Floßfedern ſchlugen
auf beyden Seiten mit Macht in die See, ſein
maͤchtiger Leib ſtieß ſich fort, mit dem breiten
Schweife regierte es den geſchwinden Lauf nach

dem
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[82/0084] Arion Zweigen ſitzend erbaͤrmliche Seufzerherfuͤr gluch- ſete, mit Graͤmen ſich abkraͤnckete, und den finſtern Wald mit Klagen erfuͤllete. Ja es iſt ein Geruͤchte, daß ſelbſt einigen von den Uebel- thaͤtern das Hertz bey Arions Klagen gewancket habe; aber Morfus, den ein unſinniger Geitz mehr als Felſenhart gemachet, und der alle Spuren der Menſchheit in ſich ertoͤdet hatte, fiel mit thieriſchem Gebruͤlle auf ihn ein, und hub das Eiſen zu einem ſchnellen Schlage empor, und damahls ſtuͤrtzte ſich Arion mit ſchwerem Falle in den Tod. Kaum hatte das oberſte Waſſer ihn beruͤhret, als etwas ſich unter ihm regete, ihn empor hub, und ſchnell durch die See wegfuͤhrete. Arion ermunterte ſich, und raffete ſeine Kraͤfte zuſam- men, da er ſich auf dem breiten Ruͤcken eines ſchuppichten Delphins erblickete, der ihn allbe- reits aus dem Geſichte ſeiner Verraͤther wegge- tragen hatte. Sein Klagelied fuͤhrete dieſes edle Thier aus der Tiefe hervor, es ſchwamm naͤchſt an dem voͤrdern Theile des Schiffes, bald de- kete es ſich mit leichten Wellen, bald ragete ſein hoher Leib gantz empor; es war unmuthig, daß Arion ſich ſo lange graͤmete, und erwartete den Fall, damit es ihn aus der Hand der Moͤrder davon truͤge. Jetzund legte es ſeinen runden Kopf fuͤr ſich auf die Wellen, und ſtieß ſie rau- ſchend von einander, ſeine Floßfedern ſchlugen auf beyden Seiten mit Macht in die See, ſein maͤchtiger Leib ſtieß ſich fort, mit dem breiten Schweife regierte es den geſchwinden Lauf nach dem

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/84>, abgerufen am 17.09.2024.