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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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Arion
die Boßheit nicht schon Himmel und Erden in das
vorige Chaos zurückgestürtzet hat. Erschüttre dein
schwartzes Gefieder, O Freundin der Unterdrück-
ten, O Schrecken der Gottlosen! Fliege hernie-
der, und besichtige eine Lasterthat, dergleichen die
Vorwelt nur selten gesehen hat; sie ist werth,
daß deine Hand sich zur Straffe ausstrecke, werth,
daß dein Schwerdt sich zur Rache wetze. Jch
sterbe, verlassen, hülfloß, von denen, die mich
so gerne retten würden, weggerissen, die Hand
niedriger Sclaven tödet mich, und versencket mich
in ein ewiges Vergessen. O Unbestand! Nur
einige Augenblicke ändern meine Scene so erschreck-
lich! Nur wenige Minuten zurück; da floß noch
volles Wohlseyn um mich her! Jzo bin ich in der
traurigen Nothwendigkeit mir meinen Lebensfa-
den durch meine eigene Hand zu zerreissen. O
flüchtiges Glück! Hubest du mich darum so hoch,
damit du mich desto tiefer fälletest? Gönnetest du
mir darum so grosse Freude, damit mein Tod mir
desto bitterer schmeckete? So hohe Gönner, da-
mit verruchte Sclaven über mich den Stab brä-
chen? Wie übel, Meine Freunde, O wie übel
schlägt mir eure Gütigkeit aus! Jhr wolltet mir
Diener geben, und ihr gabet mir Hencker; Be-
gleiter, die mich besorgeten, aber was vor giftige
Natern sind daraus erwachsen! Niemand ist auf
Erde, der ein Zeuge dieser Frevelthat sey, der sie
den künftigen Menschen zum Abscheue übergebe.
Dich ruffe ich zum Zeugnisse, O Sonne, ob du
dich gleich izo mit dicken Wolcken umhüllest, und
meinen Untergang nicht beschauen willst. Künftig

wer-

Arion
die Boßheit nicht ſchon Himmel und Erden in das
vorige Chaos zuruͤckgeſtuͤrtzet hat. Erſchuͤttre dein
ſchwartzes Gefieder, O Freundin der Unterdruͤck-
ten, O Schrecken der Gottloſen! Fliege hernie-
der, und beſichtige eine Laſterthat, dergleichen die
Vorwelt nur ſelten geſehen hat; ſie iſt werth,
daß deine Hand ſich zur Straffe ausſtrecke, werth,
daß dein Schwerdt ſich zur Rache wetze. Jch
ſterbe, verlaſſen, huͤlfloß, von denen, die mich
ſo gerne retten wuͤrden, weggeriſſen, die Hand
niedriger Sclaven toͤdet mich, und verſencket mich
in ein ewiges Vergeſſen. O Unbeſtand! Nur
einige Augenblicke aͤndern meine Scene ſo erſchreck-
lich! Nur wenige Minuten zuruͤck; da floß noch
volles Wohlſeyn um mich her! Jzo bin ich in der
traurigen Nothwendigkeit mir meinen Lebensfa-
den durch meine eigene Hand zu zerreiſſen. O
fluͤchtiges Gluͤck! Hubeſt du mich darum ſo hoch,
damit du mich deſto tiefer faͤlleteſt? Goͤnneteſt du
mir darum ſo groſſe Freude, damit mein Tod mir
deſto bitterer ſchmeckete? So hohe Goͤnner, da-
mit verruchte Sclaven uͤber mich den Stab braͤ-
chen? Wie uͤbel, Meine Freunde, O wie uͤbel
ſchlaͤgt mir eure Guͤtigkeit aus! Jhr wolltet mir
Diener geben, und ihr gabet mir Hencker; Be-
gleiter, die mich beſorgeten, aber was vor giftige
Natern ſind daraus erwachſen! Niemand iſt auf
Erde, der ein Zeuge dieſer Frevelthat ſey, der ſie
den kuͤnftigen Menſchen zum Abſcheue uͤbergebe.
Dich ruffe ich zum Zeugniſſe, O Sonne, ob du
dich gleich izo mit dicken Wolcken umhuͤlleſt, und
meinen Untergang nicht beſchauen willſt. Kuͤnftig

wer-
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[78/0080] Arion die Boßheit nicht ſchon Himmel und Erden in das vorige Chaos zuruͤckgeſtuͤrtzet hat. Erſchuͤttre dein ſchwartzes Gefieder, O Freundin der Unterdruͤck- ten, O Schrecken der Gottloſen! Fliege hernie- der, und beſichtige eine Laſterthat, dergleichen die Vorwelt nur ſelten geſehen hat; ſie iſt werth, daß deine Hand ſich zur Straffe ausſtrecke, werth, daß dein Schwerdt ſich zur Rache wetze. Jch ſterbe, verlaſſen, huͤlfloß, von denen, die mich ſo gerne retten wuͤrden, weggeriſſen, die Hand niedriger Sclaven toͤdet mich, und verſencket mich in ein ewiges Vergeſſen. O Unbeſtand! Nur einige Augenblicke aͤndern meine Scene ſo erſchreck- lich! Nur wenige Minuten zuruͤck; da floß noch volles Wohlſeyn um mich her! Jzo bin ich in der traurigen Nothwendigkeit mir meinen Lebensfa- den durch meine eigene Hand zu zerreiſſen. O fluͤchtiges Gluͤck! Hubeſt du mich darum ſo hoch, damit du mich deſto tiefer faͤlleteſt? Goͤnneteſt du mir darum ſo groſſe Freude, damit mein Tod mir deſto bitterer ſchmeckete? So hohe Goͤnner, da- mit verruchte Sclaven uͤber mich den Stab braͤ- chen? Wie uͤbel, Meine Freunde, O wie uͤbel ſchlaͤgt mir eure Guͤtigkeit aus! Jhr wolltet mir Diener geben, und ihr gabet mir Hencker; Be- gleiter, die mich beſorgeten, aber was vor giftige Natern ſind daraus erwachſen! Niemand iſt auf Erde, der ein Zeuge dieſer Frevelthat ſey, der ſie den kuͤnftigen Menſchen zum Abſcheue uͤbergebe. Dich ruffe ich zum Zeugniſſe, O Sonne, ob du dich gleich izo mit dicken Wolcken umhuͤlleſt, und meinen Untergang nicht beſchauen willſt. Kuͤnftig wer-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/80>, abgerufen am 24.11.2024.