Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

von David.
benheiten in eine solche Ordnung gesetzt wer-
den, daß sie ungezwungen aus einander her-
vor fallen, insonderheit, wann sie sämtlich an
eine Angelegenheit geknüpft sind, welche be-
ständig im Gesichte behalten wird. Ferner
wann eine Sache, eine Regung, eine Person
etliche mahl, und allemahl in einem verschiede-
nen Lichte mit Vermeidung aller Widerho-
lung vorgestellet wird. Daher entsteht nun
eine würckungsreiche herrliche Einfalt.

Gravina, der es vor einen Eigensinn der
Kunstlehrer gehalten, daß sie nur denjenigen
vor einen geschickten Epischen Erzehler halten,
der wenig Sachen, so auf eins looslauffen,
nicht aber den, der viele und vortreffliche Sa-
chen erzehlt, muß nichtsdestoweniger geste-
hen, daß er es "auch selber vor die grösse-
"ste Kunst halte, wenn man den Geist mit
"einem Wercke von einem wohl-eingetheilten
"Ebenmaasse angenehmer einnehmen und un-
"terhalten könne, wo die Geschichte sich zwar
"in viele Begegnisse ausbreitet, und dennoch
"auf eine einzige hinausläuft, wie viele Li-
"nien, die in einem Mittelpuncten zusam-
"menlauffen. Aber er füget hinzu, er kön-
"ne nicht begreiffen, warum ein Poet, der
"wahrscheinliche Dinge erzehlet, und mit le-
"bendigen Farben schildert, nur darum weil
"sie ohne obige Kunst auf eine andere Art

"er-
A 5

von David.
benheiten in eine ſolche Ordnung geſetzt wer-
den, daß ſie ungezwungen aus einander her-
vor fallen, inſonderheit, wann ſie ſaͤmtlich an
eine Angelegenheit geknuͤpft ſind, welche be-
ſtaͤndig im Geſichte behalten wird. Ferner
wann eine Sache, eine Regung, eine Perſon
etliche mahl, und allemahl in einem verſchiede-
nen Lichte mit Vermeidung aller Widerho-
lung vorgeſtellet wird. Daher entſteht nun
eine wuͤrckungsreiche herrliche Einfalt.

Gravina, der es vor einen Eigenſinn der
Kunſtlehrer gehalten, daß ſie nur denjenigen
vor einen geſchickten Epiſchen Erzehler halten,
der wenig Sachen, ſo auf eins looslauffen,
nicht aber den, der viele und vortreffliche Sa-
chen erzehlt, muß nichtsdeſtoweniger geſte-
hen, daß er es „auch ſelber vor die groͤſſe-
„ſte Kunſt halte, wenn man den Geiſt mit
„einem Wercke von einem wohl-eingetheilten
„Ebenmaaſſe angenehmer einnehmen und un-
„terhalten koͤnne, wo die Geſchichte ſich zwar
„in viele Begegniſſe ausbreitet, und dennoch
„auf eine einzige hinauslaͤuft, wie viele Li-
„nien, die in einem Mittelpuncten zuſam-
„menlauffen. Aber er fuͤget hinzu, er koͤn-
„ne nicht begreiffen, warum ein Poet, der
„wahrſcheinliche Dinge erzehlet, und mit le-
„bendigen Farben ſchildert, nur darum weil
„ſie ohne obige Kunſt auf eine andere Art

„er-
A 5
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0009" n="9"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">von David.</hi></hi></fw><lb/>
benheiten in eine &#x017F;olche Ordnung ge&#x017F;etzt wer-<lb/>
den, daß &#x017F;ie ungezwungen aus einander her-<lb/>
vor fallen, in&#x017F;onderheit, wann &#x017F;ie &#x017F;a&#x0364;mtlich an<lb/>
eine Angelegenheit geknu&#x0364;pft &#x017F;ind, welche be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig im Ge&#x017F;ichte behalten wird. Ferner<lb/>
wann eine Sache, eine Regung, eine Per&#x017F;on<lb/>
etliche mahl, und allemahl in einem ver&#x017F;chiede-<lb/>
nen Lichte mit Vermeidung aller Widerho-<lb/>
lung vorge&#x017F;tellet wird. Daher ent&#x017F;teht nun<lb/>
eine wu&#x0364;rckungsreiche herrliche Einfalt.</p><lb/>
        <p>Gravina, der es vor einen Eigen&#x017F;inn der<lb/>
Kun&#x017F;tlehrer gehalten, daß &#x017F;ie nur denjenigen<lb/>
vor einen ge&#x017F;chickten Epi&#x017F;chen Erzehler halten,<lb/>
der wenig Sachen, &#x017F;o auf eins looslauffen,<lb/>
nicht aber den, der viele und vortreffliche Sa-<lb/>
chen erzehlt, muß nichtsde&#x017F;toweniger ge&#x017F;te-<lb/>
hen, daß er es <cit><quote>&#x201E;auch &#x017F;elber vor die gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
&#x201E;&#x017F;te Kun&#x017F;t halte, wenn man den Gei&#x017F;t mit<lb/>
&#x201E;einem Wercke von einem wohl-eingetheilten<lb/>
&#x201E;Ebenmaa&#x017F;&#x017F;e angenehmer einnehmen und un-<lb/>
&#x201E;terhalten ko&#x0364;nne, wo die Ge&#x017F;chichte &#x017F;ich zwar<lb/>
&#x201E;in viele Begegni&#x017F;&#x017F;e ausbreitet, und dennoch<lb/>
&#x201E;auf eine einzige hinausla&#x0364;uft, wie viele Li-<lb/>
&#x201E;nien, die in einem Mittelpuncten zu&#x017F;am-<lb/>
&#x201E;menlauffen. Aber er fu&#x0364;get hinzu, er ko&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;ne nicht begreiffen, warum ein Poet, der<lb/>
&#x201E;wahr&#x017F;cheinliche Dinge erzehlet, und mit le-<lb/>
&#x201E;bendigen Farben &#x017F;childert, nur darum weil<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie ohne obige Kun&#x017F;t auf eine andere Art<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;er-</fw><lb/></quote></cit></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[9/0009] von David. benheiten in eine ſolche Ordnung geſetzt wer- den, daß ſie ungezwungen aus einander her- vor fallen, inſonderheit, wann ſie ſaͤmtlich an eine Angelegenheit geknuͤpft ſind, welche be- ſtaͤndig im Geſichte behalten wird. Ferner wann eine Sache, eine Regung, eine Perſon etliche mahl, und allemahl in einem verſchiede- nen Lichte mit Vermeidung aller Widerho- lung vorgeſtellet wird. Daher entſteht nun eine wuͤrckungsreiche herrliche Einfalt. Gravina, der es vor einen Eigenſinn der Kunſtlehrer gehalten, daß ſie nur denjenigen vor einen geſchickten Epiſchen Erzehler halten, der wenig Sachen, ſo auf eins looslauffen, nicht aber den, der viele und vortreffliche Sa- chen erzehlt, muß nichtsdeſtoweniger geſte- hen, daß er es „auch ſelber vor die groͤſſe- „ſte Kunſt halte, wenn man den Geiſt mit „einem Wercke von einem wohl-eingetheilten „Ebenmaaſſe angenehmer einnehmen und un- „terhalten koͤnne, wo die Geſchichte ſich zwar „in viele Begegniſſe ausbreitet, und dennoch „auf eine einzige hinauslaͤuft, wie viele Li- „nien, die in einem Mittelpuncten zuſam- „menlauffen. Aber er fuͤget hinzu, er koͤn- „ne nicht begreiffen, warum ein Poet, der „wahrſcheinliche Dinge erzehlet, und mit le- „bendigen Farben ſchildert, nur darum weil „ſie ohne obige Kunſt auf eine andere Art „er- A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/9
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/9>, abgerufen am 22.11.2024.