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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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Versuch eines Gedichtes
Worinn besteht die Schuld? Daß er mich nicht mehr liebt;
Spricht sie, hergegen die Was diesem Zeugniß giebt,
Kanst du nicht bringen bey. Ach sagt sie, du solt sehen
Ob ich mit Fuge nicht laß diesen Schluß ergehen.590.
Hör mir gedultig zu, warum hat wohl die Zeit
Der Adriel versäumt durch seine Tapferkeit
Mich durch des Riesen Kampf vom König zu erlangen?
Ließ er das, weil sein Hertz mit Furchtsamkeit umfangen?
O nein, sein frischer Muth hat sich oft kund gethan,
Und liebte die Gefahr. Woran gebricht es dann?
Hatt' er in dieser Sach nicht seinen freyen Willen?
O ja der König gab ihm Macht den zu erfüllen.
Warum dann thut ers nicht? Darum weil seine Reu,
Daß er mich hat geliebt, ist grösser als die Treu600.
Die er mir schuldig war. Sprich nun hab ich gefehlet?
Thalmais die wohl sah, wie billig sie sich quälet,
Wust nicht wie Adriel wohl konnt entschuldigt seyn;
Der Michal aber fiel noch endlich etwas ein,
Weil die mit aller Macht wollt dieses Feur ernehren,
Um einer andern Glut in Merobs Hertz zu wehren.
Dem Sieger, sprache sie, dem bist du zugesagt,
Hätt Adriel nun nicht als David dieß vollbracht,
So hätt er Schimpf erjagt, für dich, für seine Ehre,
Und nicht gewagt daß er nachgehends dich begehre610.
Von unserm Vater Saul, dem schon entgegen ist,
Daß Adriel dich hat zum Ehgemahl erkiest.
Ein tapfrer Held wie er, sagt Merob gantz entrüstet,
Scheut nimmer eine Schlacht, da ihm vielmehr gelüstet
Nach Ehre und nach Ruhm, wer grosse Ding begehrt
Wird auch niemahlen nicht durch grosse Ding verfährt.
Du führest diese Wort, sprach Michal, zu beschönen,
Daß du dein Hertz nicht mehr dem Adriel willt gönnen.
Des Davids Lieblichkeit - - Schweig, fiel sie ihr ins Wort,
Laß deinen Eifersinn mich quälen nicht hinfort,620.
Jch will nicht deine Lieb betrüben noch mich sehnen
Darnach was dir bereits gekostet so viel Thränen,
Kan ich dir dienlich seyn, so ist der David dein.
Wann David mich nicht liebt, wandt sie hinwieder ein,
Jst
Verſuch eines Gedichtes
Worinn beſteht die Schuld? Daß er mich nicht mehr liebt;
Spricht ſie, hergegen die Was dieſem Zeugniß giebt,
Kanſt du nicht bringen bey. Ach ſagt ſie, du ſolt ſehen
Ob ich mit Fuge nicht laß dieſen Schluß ergehen.590.
Hoͤr mir gedultig zu, warum hat wohl die Zeit
Der Adriel verſaͤumt durch ſeine Tapferkeit
Mich durch des Rieſen Kampf vom Koͤnig zu erlangen?
Ließ er das, weil ſein Hertz mit Furchtſamkeit umfangen?
O nein, ſein friſcher Muth hat ſich oft kund gethan,
Und liebte die Gefahr. Woran gebricht es dann?
Hatt’ er in dieſer Sach nicht ſeinen freyen Willen?
O ja der Koͤnig gab ihm Macht den zu erfuͤllen.
Warum dann thut ers nicht? Darum weil ſeine Reu,
Daß er mich hat geliebt, iſt groͤſſer als die Treu600.
Die er mir ſchuldig war. Sprich nun hab ich gefehlet?
Thalmais die wohl ſah, wie billig ſie ſich quaͤlet,
Wuſt nicht wie Adriel wohl konnt entſchuldigt ſeyn;
Der Michal aber fiel noch endlich etwas ein,
Weil die mit aller Macht wollt dieſes Feur ernehren,
Um einer andern Glut in Merobs Hertz zu wehren.
Dem Sieger, ſprache ſie, dem biſt du zugeſagt,
Haͤtt Adriel nun nicht als David dieß vollbracht,
So haͤtt er Schimpf erjagt, fuͤr dich, fuͤr ſeine Ehre,
Und nicht gewagt daß er nachgehends dich begehre610.
Von unſerm Vater Saul, dem ſchon entgegen iſt,
Daß Adriel dich hat zum Ehgemahl erkieſt.
Ein tapfrer Held wie er, ſagt Merob gantz entruͤſtet,
Scheut nimmer eine Schlacht, da ihm vielmehr geluͤſtet
Nach Ehre und nach Ruhm, wer groſſe Ding begehrt
Wird auch niemahlen nicht durch groſſe Ding verfaͤhrt.
Du fuͤhreſt dieſe Wort, ſprach Michal, zu beſchoͤnen,
Daß du dein Hertz nicht mehr dem Adriel willt goͤnnen.
Des Davids Lieblichkeit ‒ ‒ Schweig, fiel ſie ihr ins Wort,
Laß deinen Eiferſinn mich quaͤlen nicht hinfort,620.
Jch will nicht deine Lieb betruͤben noch mich ſehnen
Darnach was dir bereits gekoſtet ſo viel Thraͤnen,
Kan ich dir dienlich ſeyn, ſo iſt der David dein.
Wann David mich nicht liebt, wandt ſie hinwieder ein,
Jſt
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[82/0082] Verſuch eines Gedichtes Worinn beſteht die Schuld? Daß er mich nicht mehr liebt; Spricht ſie, hergegen die Was dieſem Zeugniß giebt, Kanſt du nicht bringen bey. Ach ſagt ſie, du ſolt ſehen Ob ich mit Fuge nicht laß dieſen Schluß ergehen. Hoͤr mir gedultig zu, warum hat wohl die Zeit Der Adriel verſaͤumt durch ſeine Tapferkeit Mich durch des Rieſen Kampf vom Koͤnig zu erlangen? Ließ er das, weil ſein Hertz mit Furchtſamkeit umfangen? O nein, ſein friſcher Muth hat ſich oft kund gethan, Und liebte die Gefahr. Woran gebricht es dann? Hatt’ er in dieſer Sach nicht ſeinen freyen Willen? O ja der Koͤnig gab ihm Macht den zu erfuͤllen. Warum dann thut ers nicht? Darum weil ſeine Reu, Daß er mich hat geliebt, iſt groͤſſer als die Treu Die er mir ſchuldig war. Sprich nun hab ich gefehlet? Thalmais die wohl ſah, wie billig ſie ſich quaͤlet, Wuſt nicht wie Adriel wohl konnt entſchuldigt ſeyn; Der Michal aber fiel noch endlich etwas ein, Weil die mit aller Macht wollt dieſes Feur ernehren, Um einer andern Glut in Merobs Hertz zu wehren. Dem Sieger, ſprache ſie, dem biſt du zugeſagt, Haͤtt Adriel nun nicht als David dieß vollbracht, So haͤtt er Schimpf erjagt, fuͤr dich, fuͤr ſeine Ehre, Und nicht gewagt daß er nachgehends dich begehre Von unſerm Vater Saul, dem ſchon entgegen iſt, Daß Adriel dich hat zum Ehgemahl erkieſt. Ein tapfrer Held wie er, ſagt Merob gantz entruͤſtet, Scheut nimmer eine Schlacht, da ihm vielmehr geluͤſtet Nach Ehre und nach Ruhm, wer groſſe Ding begehrt Wird auch niemahlen nicht durch groſſe Ding verfaͤhrt. Du fuͤhreſt dieſe Wort, ſprach Michal, zu beſchoͤnen, Daß du dein Hertz nicht mehr dem Adriel willt goͤnnen. Des Davids Lieblichkeit ‒ ‒ Schweig, fiel ſie ihr ins Wort, Laß deinen Eiferſinn mich quaͤlen nicht hinfort, Jch will nicht deine Lieb betruͤben noch mich ſehnen Darnach was dir bereits gekoſtet ſo viel Thraͤnen, Kan ich dir dienlich ſeyn, ſo iſt der David dein. Wann David mich nicht liebt, wandt ſie hinwieder ein, Jſt

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/82>, abgerufen am 25.11.2024.