Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Versuch eines Gedichtes

Und hätte gern gewollt, daß er für uns den Sieg
Davon getragen hätt, in diesem Güter-Krieg.
Der Richter bathe uns darauf zum Abendessen,
Und sezt er sich zu mir; ich konnte nicht vergessen
Des Adriels Verlust, es daurt mir allzusehr,
Daß da sein Erb und Gut uns hört, und sein nicht mehr.680.
Joel, der wie gesagt, mich liebte als sein Leben,
Wollt auch fürnehmlich izt mir dieß zu spüren geben,
Weil wir verbunden ihm, daß er also gericht,
Daher er einen Haß bey mir vermuthet nicht;
Und sagte drum zu mir: der schönsten Jungfrau wegen
Hat heut mein Richterstab sich willig müssen legen,
Nur ihrer Schönheit ist der Sieg den sie erlangt,
Die da für Jsrael für allen andern prangt.
Jch wäre nicht gewest dem Adriel so herbe,
Wann deine Wunderschön verdiente nicht sein Erbe;690.
Hätt ich die nicht gesehn, wär die Ahinoam
Auch nicht so reich wie jezt. Wie dieses ich aufnahm,
Kan ich dir sagen nicht, ich bliebe ohn zu sprechen
Ein gute Weil; zulezt sagt ich: Soll man wohl brechen
Das Recht, wenn man mich sieht? Ja freylich, sprache er.
O wahrlich, wandt ich ein, dieß giebt uns schlechte Ehr,
Die uns der Sieg gebiehrt. Warum, sagt er hiegegen,
Wer darf sich wider mich und meinen Willen legen?
Es komm mir Adriel, trotz daß er hab den Muth,
Die schöne Jungfrau soll besitzen stets sein Gut.700.
Wann
V. 685. Der schönsten Jungfrau wegen hat heut mein Richterstab etc.)
[Spaltenumbruch] Von dieser Verliebung des
Joels hat die wahre Geschichte
nicht ein Wort. Der Poet hat
sie in dieselbe auf die blosse Nach-
richt von Joels ungerechtem Ge-
richte und verderbtem Hertzen
eingeschoben. Er ist dazu in so
weit berechtiget gewesen, als ein
Poet alle Ursachen der Begegnisse
erklären muß, welche zu dem Ge-
webe seiner Materie gehören,
daher man ihn Meister darüber
laffen, und von ihm nicht fodern
[Spaltenumbruch] muß, daß er die Sachen sage, wie
sie würcklich gewesen, wann er sie
nur sagt wie sie seyn könten oder
sollten, und deßfalls die Wahr-
scheinlichkeit und die Nothwen-
digkeit in Obacht nimmt. Der
Fehler ist, daß uns die Person
Joels gantz gleichgültig ist, zu-
mahl da seine Geschicht den Da-
vid nichts angehet, den Lauf des
Gedichtes hemmet, und den Ein-
druck zerstreuet.
Verſuch eines Gedichtes

Und haͤtte gern gewollt, daß er fuͤr uns den Sieg
Davon getragen haͤtt, in dieſem Guͤter-Krieg.
Der Richter bathe uns darauf zum Abendeſſen,
Und ſezt er ſich zu mir; ich konnte nicht vergeſſen
Des Adriels Verluſt, es daurt mir allzuſehr,
Daß da ſein Erb und Gut uns hoͤrt, und ſein nicht mehr.680.
Joel, der wie geſagt, mich liebte als ſein Leben,
Wollt auch fuͤrnehmlich izt mir dieß zu ſpuͤren geben,
Weil wir verbunden ihm, daß er alſo gericht,
Daher er einen Haß bey mir vermuthet nicht;
Und ſagte drum zu mir: der ſchoͤnſten Jungfrau wegen
Hat heut mein Richterſtab ſich willig muͤſſen legen,
Nur ihrer Schoͤnheit iſt der Sieg den ſie erlangt,
Die da fuͤr Jſrael fuͤr allen andern prangt.
Jch waͤre nicht geweſt dem Adriel ſo herbe,
Wann deine Wunderſchoͤn verdiente nicht ſein Erbe;690.
Haͤtt ich die nicht geſehn, waͤr die Ahinoam
Auch nicht ſo reich wie jezt. Wie dieſes ich aufnahm,
Kan ich dir ſagen nicht, ich bliebe ohn zu ſprechen
Ein gute Weil; zulezt ſagt ich: Soll man wohl brechen
Das Recht, wenn man mich ſieht? Ja freylich, ſprache er.
O wahrlich, wandt ich ein, dieß giebt uns ſchlechte Ehr,
Die uns der Sieg gebiehrt. Warum, ſagt er hiegegen,
Wer darf ſich wider mich und meinen Willen legen?
Es komm mir Adriel, trotz daß er hab den Muth,
Die ſchoͤne Jungfrau ſoll beſitzen ſtets ſein Gut.700.
Wann
V. 685. Der ſchoͤnſten Jungfrau wegen hat heut mein Richterſtab ꝛc.)
[Spaltenumbruch] Von dieſer Verliebung des
Joels hat die wahre Geſchichte
nicht ein Wort. Der Poet hat
ſie in dieſelbe auf die bloſſe Nach-
richt von Joels ungerechtem Ge-
richte und verderbtem Hertzen
eingeſchoben. Er iſt dazu in ſo
weit berechtiget geweſen, als ein
Poet alle Urſachen der Begegniſſe
erklaͤren muß, welche zu dem Ge-
webe ſeiner Materie gehoͤren,
daher man ihn Meiſter daruͤber
laffen, und von ihm nicht fodern
[Spaltenumbruch] muß, daß er die Sachen ſage, wie
ſie wuͤrcklich geweſen, wann er ſie
nur ſagt wie ſie ſeyn koͤnten oder
ſollten, und deßfalls die Wahr-
ſcheinlichkeit und die Nothwen-
digkeit in Obacht nimmt. Der
Fehler iſt, daß uns die Perſon
Joels gantz gleichguͤltig iſt, zu-
mahl da ſeine Geſchicht den Da-
vid nichts angehet, den Lauf des
Gedichtes hemmet, und den Ein-
druck zerſtreuet.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <l>
            <pb facs="#f0042" n="42"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ver&#x017F;uch eines Gedichtes</hi> </fw>
          </l><lb/>
          <l>Und ha&#x0364;tte gern gewollt, daß er fu&#x0364;r uns den Sieg</l><lb/>
          <l>Davon getragen ha&#x0364;tt, in die&#x017F;em Gu&#x0364;ter-Krieg.</l><lb/>
          <l>Der Richter bathe uns darauf zum Abende&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;ezt er &#x017F;ich zu mir; ich konnte nicht verge&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
          <l>Des Adriels Verlu&#x017F;t, es daurt mir allzu&#x017F;ehr,</l><lb/>
          <l>Daß da &#x017F;ein Erb und Gut uns ho&#x0364;rt, und &#x017F;ein nicht mehr.<note place="right">680.</note></l><lb/>
          <l>Joel, der wie ge&#x017F;agt, mich liebte als &#x017F;ein Leben,</l><lb/>
          <l>Wollt auch fu&#x0364;rnehmlich izt mir dieß zu &#x017F;pu&#x0364;ren geben,</l><lb/>
          <l>Weil wir verbunden ihm, daß er al&#x017F;o gericht,</l><lb/>
          <l>Daher er einen Haß bey mir vermuthet nicht;</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;agte drum zu mir: der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Jungfrau wegen<note place="foot">V. 685. Der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Jungfrau wegen hat heut mein Richter&#x017F;tab &#xA75B;c.)<lb/><cb/>
Von die&#x017F;er Verliebung des<lb/>
Joels hat die wahre Ge&#x017F;chichte<lb/>
nicht ein Wort. Der Poet hat<lb/>
&#x017F;ie in die&#x017F;elbe auf die blo&#x017F;&#x017F;e Nach-<lb/>
richt von Joels ungerechtem Ge-<lb/>
richte und verderbtem Hertzen<lb/>
einge&#x017F;choben. Er i&#x017F;t dazu in &#x017F;o<lb/>
weit berechtiget gewe&#x017F;en, als ein<lb/>
Poet alle Ur&#x017F;achen der Begegni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
erkla&#x0364;ren muß, welche zu dem Ge-<lb/>
webe &#x017F;einer Materie geho&#x0364;ren,<lb/>
daher man ihn Mei&#x017F;ter daru&#x0364;ber<lb/>
laffen, und von ihm nicht fodern<lb/><cb/>
muß, daß er die Sachen &#x017F;age, wie<lb/>
&#x017F;ie wu&#x0364;rcklich gewe&#x017F;en, wann er &#x017F;ie<lb/>
nur &#x017F;agt wie &#x017F;ie &#x017F;eyn ko&#x0364;nten oder<lb/>
&#x017F;ollten, und deßfalls die Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit und die Nothwen-<lb/>
digkeit in Obacht nimmt. Der<lb/>
Fehler i&#x017F;t, daß uns die Per&#x017F;on<lb/>
Joels gantz gleichgu&#x0364;ltig i&#x017F;t, zu-<lb/>
mahl da &#x017F;eine Ge&#x017F;chicht den Da-<lb/>
vid nichts angehet, den Lauf des<lb/>
Gedichtes hemmet, und den Ein-<lb/>
druck zer&#x017F;treuet.</note></l><lb/>
          <l>Hat heut mein Richter&#x017F;tab &#x017F;ich willig mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en legen,</l><lb/>
          <l>Nur ihrer Scho&#x0364;nheit i&#x017F;t der Sieg den &#x017F;ie erlangt,</l><lb/>
          <l>Die da fu&#x0364;r J&#x017F;rael fu&#x0364;r allen andern prangt.</l><lb/>
          <l>Jch wa&#x0364;re nicht gewe&#x017F;t dem Adriel &#x017F;o herbe,</l><lb/>
          <l>Wann deine Wunder&#x017F;cho&#x0364;n verdiente nicht &#x017F;ein Erbe;<note place="right">690.</note></l><lb/>
          <l>Ha&#x0364;tt ich die nicht ge&#x017F;ehn, wa&#x0364;r die Ahinoam</l><lb/>
          <l>Auch nicht &#x017F;o reich wie jezt. Wie die&#x017F;es ich aufnahm,</l><lb/>
          <l>Kan ich dir &#x017F;agen nicht, ich bliebe ohn zu &#x017F;prechen</l><lb/>
          <l>Ein gute Weil; zulezt &#x017F;agt ich: Soll man wohl brechen</l><lb/>
          <l>Das Recht, wenn man mich &#x017F;ieht? Ja freylich, &#x017F;prache er.</l><lb/>
          <l>O wahrlich, wandt ich ein, dieß giebt uns &#x017F;chlechte Ehr,</l><lb/>
          <l>Die uns der Sieg gebiehrt. Warum, &#x017F;agt er hiegegen,</l><lb/>
          <l>Wer darf &#x017F;ich wider mich und meinen Willen legen?</l><lb/>
          <l>Es komm mir Adriel, trotz daß er hab den Muth,</l><lb/>
          <l>Die &#x017F;cho&#x0364;ne Jungfrau &#x017F;oll be&#x017F;itzen &#x017F;tets &#x017F;ein Gut.<note place="right">700.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wann</fw><lb/><lb/>
</l>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0042] Verſuch eines Gedichtes Und haͤtte gern gewollt, daß er fuͤr uns den Sieg Davon getragen haͤtt, in dieſem Guͤter-Krieg. Der Richter bathe uns darauf zum Abendeſſen, Und ſezt er ſich zu mir; ich konnte nicht vergeſſen Des Adriels Verluſt, es daurt mir allzuſehr, Daß da ſein Erb und Gut uns hoͤrt, und ſein nicht mehr. Joel, der wie geſagt, mich liebte als ſein Leben, Wollt auch fuͤrnehmlich izt mir dieß zu ſpuͤren geben, Weil wir verbunden ihm, daß er alſo gericht, Daher er einen Haß bey mir vermuthet nicht; Und ſagte drum zu mir: der ſchoͤnſten Jungfrau wegen Hat heut mein Richterſtab ſich willig muͤſſen legen, Nur ihrer Schoͤnheit iſt der Sieg den ſie erlangt, Die da fuͤr Jſrael fuͤr allen andern prangt. Jch waͤre nicht geweſt dem Adriel ſo herbe, Wann deine Wunderſchoͤn verdiente nicht ſein Erbe; Haͤtt ich die nicht geſehn, waͤr die Ahinoam Auch nicht ſo reich wie jezt. Wie dieſes ich aufnahm, Kan ich dir ſagen nicht, ich bliebe ohn zu ſprechen Ein gute Weil; zulezt ſagt ich: Soll man wohl brechen Das Recht, wenn man mich ſieht? Ja freylich, ſprache er. O wahrlich, wandt ich ein, dieß giebt uns ſchlechte Ehr, Die uns der Sieg gebiehrt. Warum, ſagt er hiegegen, Wer darf ſich wider mich und meinen Willen legen? Es komm mir Adriel, trotz daß er hab den Muth, Die ſchoͤne Jungfrau ſoll beſitzen ſtets ſein Gut. Wann V. 685. Der ſchoͤnſten Jungfrau wegen hat heut mein Richterſtab ꝛc.) Von dieſer Verliebung des Joels hat die wahre Geſchichte nicht ein Wort. Der Poet hat ſie in dieſelbe auf die bloſſe Nach- richt von Joels ungerechtem Ge- richte und verderbtem Hertzen eingeſchoben. Er iſt dazu in ſo weit berechtiget geweſen, als ein Poet alle Urſachen der Begegniſſe erklaͤren muß, welche zu dem Ge- webe ſeiner Materie gehoͤren, daher man ihn Meiſter daruͤber laffen, und von ihm nicht fodern muß, daß er die Sachen ſage, wie ſie wuͤrcklich geweſen, wann er ſie nur ſagt wie ſie ſeyn koͤnten oder ſollten, und deßfalls die Wahr- ſcheinlichkeit und die Nothwen- digkeit in Obacht nimmt. Der Fehler iſt, daß uns die Perſon Joels gantz gleichguͤltig iſt, zu- mahl da ſeine Geſchicht den Da- vid nichts angehet, den Lauf des Gedichtes hemmet, und den Ein- druck zerſtreuet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/42
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/42>, abgerufen am 22.11.2024.