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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

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Versuch eines Gedichtes
Ja wann es Merob ist, so liebet sie mein Sinn,
Wanns aber Michal ist, ich ihr ergeben bin.
Die Merob ist zu stoltz, sie redt von stoltzen Sinnen,
Drum wird es Michal seyn, die ich kan so gewinnen;
Nicht aus mir selber nein, aus Gottes weisem Rath,
Der sie mir ausersehn, und so gelencket hat.
Es sey dann wer es sey, ich will sie wieder lieben,
Jch lieb sie alle beyd, um keine zu betrüben.570.
Die Merob die ist schön, der Michal Lieblichkeit
Steigt über alles auf, und machet mich bereit
Zu fassen diesen Muth, Sauls Eydam dann zu werden.
Jch bin ja schon gesalbt, was schaden mir die Heerden,
Thalmais sagt ja selbst, ob ich zwar sey ein Hirt,
So zeig ich doch schon an, was aus mir werden wird.
Also dacht David hin, inzwischen diese dreye,
Dieweil sie sich allein vermeynten, ohne Scheue
Einander machten kund, was sonsten niemand wust,
Und weil Thalmais sucht hierinnen ihre Lust,580.
Zu schertzen mit sie beyd, muß Adriel sich leiden,
Und kan die so ihn liebt, für ihr nicht mehr vermeiden
Die
V. 570. Jch lieb sie alle beyd um keine zu betrüben.)
[Spaltenumbruch] Der Herr Pope hat die Gedan-
ken gehabt, daß in dem heroi-
schen Gedichte und dem Trauer-
spiele keine Liebessachen Platz
haben. Er hat geglaubt, daß al-
le zärtlichen Empfindungen, und
alles, was der Liebeständeley
gleich sieht, sich mit den erhabe-
nen und heftigen Bewegungen,
womit diese Gedichte angefüllet
sind, übel reimen. Er meinte,
man könnte, was die Liebe beträf-
fe, sich an dem begnügen, was
man davon in der Comödie, der
Elegie und der Ode vor sich fin-
det. Der Hr. la Motte hat zwar
die Liebe in den Trauerspielen
vertheidigen wollen, aber keinen
bessern Grund zu ihrer Rechtfer-
tigung vorgebracht, als daß man
[Spaltenumbruch] dem Frauenzimmer sich damit ge-
fällig machen müsse, weil dieses
fast die einzige Regung sey, um
welche sich die Leute von dem
schönern Geschlechte annehmen.
Wenn wir dennoch betrachten,
daß die wahre Liebe eine Schwach-
heit ist, die einen Menschen viel-
mehr demüthig als groß machen
kan, und ihm nur allzu gerne
etwas lächerliches anhänget, so
werden wir sie aus ernsthaften
und großmüthigen Gedichten
heraus wünschen, so oft sie nicht
mit einer grossen Vorsichtigkeit
eingeführt, und nicht von andern
edlern Regungen, so sich damit
vereinigen, erhöhet und geadelt
wird.
Verſuch eines Gedichtes
Ja wann es Merob iſt, ſo liebet ſie mein Sinn,
Wanns aber Michal iſt, ich ihr ergeben bin.
Die Merob iſt zu ſtoltz, ſie redt von ſtoltzen Sinnen,
Drum wird es Michal ſeyn, die ich kan ſo gewinnen;
Nicht aus mir ſelber nein, aus Gottes weiſem Rath,
Der ſie mir auserſehn, und ſo gelencket hat.
Es ſey dann wer es ſey, ich will ſie wieder lieben,
Jch lieb ſie alle beyd, um keine zu betruͤben.570.
Die Merob die iſt ſchoͤn, der Michal Lieblichkeit
Steigt uͤber alles auf, und machet mich bereit
Zu faſſen dieſen Muth, Sauls Eydam dann zu werden.
Jch bin ja ſchon geſalbt, was ſchaden mir die Heerden,
Thalmais ſagt ja ſelbſt, ob ich zwar ſey ein Hirt,
So zeig ich doch ſchon an, was aus mir werden wird.
Alſo dacht David hin, inzwiſchen dieſe dreye,
Dieweil ſie ſich allein vermeynten, ohne Scheue
Einander machten kund, was ſonſten niemand wuſt,
Und weil Thalmais ſucht hierinnen ihre Luſt,580.
Zu ſchertzen mit ſie beyd, muß Adriel ſich leiden,
Und kan die ſo ihn liebt, fuͤr ihr nicht mehr vermeiden
Die
V. 570. Jch lieb ſie alle beyd um keine zu betruͤben.)
[Spaltenumbruch] Der Herr Pope hat die Gedan-
ken gehabt, daß in dem heroi-
ſchen Gedichte und dem Trauer-
ſpiele keine Liebesſachen Platz
haben. Er hat geglaubt, daß al-
le zaͤrtlichen Empfindungen, und
alles, was der Liebestaͤndeley
gleich ſieht, ſich mit den erhabe-
nen und heftigen Bewegungen,
womit dieſe Gedichte angefuͤllet
ſind, uͤbel reimen. Er meinte,
man koͤnnte, was die Liebe betraͤf-
fe, ſich an dem begnuͤgen, was
man davon in der Comoͤdie, der
Elegie und der Ode vor ſich fin-
det. Der Hr. la Motte hat zwar
die Liebe in den Trauerſpielen
vertheidigen wollen, aber keinen
beſſern Grund zu ihrer Rechtfer-
tigung vorgebracht, als daß man
[Spaltenumbruch] dem Frauenzimmer ſich damit ge-
faͤllig machen muͤſſe, weil dieſes
faſt die einzige Regung ſey, um
welche ſich die Leute von dem
ſchoͤnern Geſchlechte annehmen.
Wenn wir dennoch betrachten,
daß die wahre Liebe eine Schwach-
heit iſt, die einen Menſchen viel-
mehr demuͤthig als groß machen
kan, und ihm nur allzu gerne
etwas laͤcherliches anhaͤnget, ſo
werden wir ſie aus ernſthaften
und großmuͤthigen Gedichten
heraus wuͤnſchen, ſo oft ſie nicht
mit einer groſſen Vorſichtigkeit
eingefuͤhrt, und nicht von andern
edlern Regungen, ſo ſich damit
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wird.
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[38/0038] Verſuch eines Gedichtes Ja wann es Merob iſt, ſo liebet ſie mein Sinn, Wanns aber Michal iſt, ich ihr ergeben bin. Die Merob iſt zu ſtoltz, ſie redt von ſtoltzen Sinnen, Drum wird es Michal ſeyn, die ich kan ſo gewinnen; Nicht aus mir ſelber nein, aus Gottes weiſem Rath, Der ſie mir auserſehn, und ſo gelencket hat. Es ſey dann wer es ſey, ich will ſie wieder lieben, Jch lieb ſie alle beyd, um keine zu betruͤben. Die Merob die iſt ſchoͤn, der Michal Lieblichkeit Steigt uͤber alles auf, und machet mich bereit Zu faſſen dieſen Muth, Sauls Eydam dann zu werden. Jch bin ja ſchon geſalbt, was ſchaden mir die Heerden, Thalmais ſagt ja ſelbſt, ob ich zwar ſey ein Hirt, So zeig ich doch ſchon an, was aus mir werden wird. Alſo dacht David hin, inzwiſchen dieſe dreye, Dieweil ſie ſich allein vermeynten, ohne Scheue Einander machten kund, was ſonſten niemand wuſt, Und weil Thalmais ſucht hierinnen ihre Luſt, Zu ſchertzen mit ſie beyd, muß Adriel ſich leiden, Und kan die ſo ihn liebt, fuͤr ihr nicht mehr vermeiden Die V. 570. Jch lieb ſie alle beyd um keine zu betruͤben.) Der Herr Pope hat die Gedan- ken gehabt, daß in dem heroi- ſchen Gedichte und dem Trauer- ſpiele keine Liebesſachen Platz haben. Er hat geglaubt, daß al- le zaͤrtlichen Empfindungen, und alles, was der Liebestaͤndeley gleich ſieht, ſich mit den erhabe- nen und heftigen Bewegungen, womit dieſe Gedichte angefuͤllet ſind, uͤbel reimen. Er meinte, man koͤnnte, was die Liebe betraͤf- fe, ſich an dem begnuͤgen, was man davon in der Comoͤdie, der Elegie und der Ode vor ſich fin- det. Der Hr. la Motte hat zwar die Liebe in den Trauerſpielen vertheidigen wollen, aber keinen beſſern Grund zu ihrer Rechtfer- tigung vorgebracht, als daß man dem Frauenzimmer ſich damit ge- faͤllig machen muͤſſe, weil dieſes faſt die einzige Regung ſey, um welche ſich die Leute von dem ſchoͤnern Geſchlechte annehmen. Wenn wir dennoch betrachten, daß die wahre Liebe eine Schwach- heit iſt, die einen Menſchen viel- mehr demuͤthig als groß machen kan, und ihm nur allzu gerne etwas laͤcherliches anhaͤnget, ſo werden wir ſie aus ernſthaften und großmuͤthigen Gedichten heraus wuͤnſchen, ſo oft ſie nicht mit einer groſſen Vorſichtigkeit eingefuͤhrt, und nicht von andern edlern Regungen, ſo ſich damit vereinigen, erhoͤhet und geadelt wird.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/38>, abgerufen am 24.04.2024.