Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Versuch eines Gedichtes
Wie nun die Heerde sich in ihre Hürd begeben,
Gieng David in die Höhl, die ware gleich daneben,
Jn welcher stuhnd sein Bett, in einem Stein gehaut,
Das ehmals Esaus Fleiß hat selbsten so gebaut,
Wann er war auf der Jagd, war hie bey Nacht sein Bleiben,
Denn nahe hie herum pflag er die Jagd zu treiben,
Jn einem weiten Wald, der seine Lüste stillt
Und seine Müh belohnt, mit manchem edlen Wild.
Jezt wohnte David hie, des Jacobs edler Saame,
Der da nach Gottes Schluß den Seegen Esau nahme.370.
Diß fiele David ein, als er sich legt zur Ruh,
Und schloß er lang darum die Augen noch nicht zu.
Geht es jezt auch nicht so? dacht er in dem Gemüthe,
Mich hebet Gott empor nach seiner Wunder-Güte,
Und wehlet mich für Saul, die Erstgeburt ist sein,
Der Königliche Thron, doch soll er werden mein.
O grosser Wunder-Gott! als Esau ward gebohren,
War er verworffen schon, und Jacob war erkohren.
Was kan der Mensch dann thun? er ist ja eh erwehlt,
Und eh verworffen schon, eh er noch auf der Welt.380.
Ach Gott! du siehst zuvor der Menschen ihre Sinnen,
Eh sie gebohren sind, weist du schon ihre Beginnen,
Du straffest drum zuvor, was nachmahls wird gethan,
Die Sünderrott, und läst in allem Recht bestahn.
Nun Esau der ist Saul, da ich mich Jacob gleiche,
Jch sehe schon zuvor, wie ich ihm gar nicht weiche
Jn mancher Noth und Angst, die ihm zu Handen kam,
Als er für Esaus Grimm die Flucht zu Handen nahm.
So wird mirs auch noch gehn, ich werde noch erleben
Beym Scepter Ungemach, beym Throne Angst und Beben.390.
Doch, Herr, ich bin bereit! Ach Herr, ich bin dein Knecht,
Nach
[Spaltenumbruch] ferhunde bewachen läßt. Da-
durch verbindet er in der That
den aufmercksamen Leser an die
Person seines Helden. Er hat
wohl gewußt, daß die Sachen
den Leser nicht rühren, wann sie
nicht umständlich ausgebildet
werden. Aber wenn er sich vorge-
[Spaltenumbruch] nommen hat, der Person Davids so
genau zu folgen, und alle schönen
Stellen so umständlich vorzustel-
len, so hat er eine kürtzere Mate-
rte, und nicht einen Lebens-Lauf
vor sich nehmen sollen. So muß
er nothwendig das Maaß eines
vernünftigen Werks überschreiten.
Verſuch eines Gedichtes
Wie nun die Heerde ſich in ihre Huͤrd begeben,
Gieng David in die Hoͤhl, die ware gleich daneben,
Jn welcher ſtuhnd ſein Bett, in einem Stein gehaut,
Das ehmals Eſaus Fleiß hat ſelbſten ſo gebaut,
Wann er war auf der Jagd, war hie bey Nacht ſein Bleiben,
Denn nahe hie herum pflag er die Jagd zu treiben,
Jn einem weiten Wald, der ſeine Luͤſte ſtillt
Und ſeine Muͤh belohnt, mit manchem edlen Wild.
Jezt wohnte David hie, des Jacobs edler Saame,
Der da nach Gottes Schluß den Seegen Eſau nahme.370.
Diß fiele David ein, als er ſich legt zur Ruh,
Und ſchloß er lang darum die Augen noch nicht zu.
Geht es jezt auch nicht ſo? dacht er in dem Gemuͤthe,
Mich hebet Gott empor nach ſeiner Wunder-Guͤte,
Und wehlet mich fuͤr Saul, die Erſtgeburt iſt ſein,
Der Koͤnigliche Thron, doch ſoll er werden mein.
O groſſer Wunder-Gott! als Eſau ward gebohren,
War er verworffen ſchon, und Jacob war erkohren.
Was kan der Menſch dann thun? er iſt ja eh erwehlt,
Und eh verworffen ſchon, eh er noch auf der Welt.380.
Ach Gott! du ſiehſt zuvor der Menſchen ihre Sinnen,
Eh ſie gebohren ſind, weiſt du ſchon ihre Beginnen,
Du ſtraffeſt drum zuvor, was nachmahls wird gethan,
Die Suͤnderrott, und laͤſt in allem Recht beſtahn.
Nun Eſau der iſt Saul, da ich mich Jacob gleiche,
Jch ſehe ſchon zuvor, wie ich ihm gar nicht weiche
Jn mancher Noth und Angſt, die ihm zu Handen kam,
Als er fuͤr Eſaus Grimm die Flucht zu Handen nahm.
So wird mirs auch noch gehn, ich werde noch erleben
Beym Scepter Ungemach, beym Throne Angſt und Bebẽ.390.
Doch, Herr, ich bin bereit! Ach Herr, ich bin dein Knecht,
Nach
[Spaltenumbruch] ferhunde bewachen laͤßt. Da-
durch verbindet er in der That
den aufmerckſamen Leſer an die
Perſon ſeines Helden. Er hat
wohl gewußt, daß die Sachen
den Leſer nicht ruͤhren, wann ſie
nicht umſtaͤndlich ausgebildet
werden. Aber wenn er ſich vorge-
[Spaltenumbruch] nommen hat, der Perſon Davids ſo
genau zu folgen, und alle ſchoͤnen
Stellen ſo umſtaͤndlich vorzuſtel-
len, ſo hat er eine kuͤrtzere Mate-
rte, und nicht einen Lebens-Lauf
vor ſich nehmen ſollen. So muß
er nothwendig das Maaß eines
vernuͤnftigen Werks uͤberſchreitẽ.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0032" n="32"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ver&#x017F;uch eines Gedichtes</hi> </fw><lb/>
          <l>Wie nun die Heerde &#x017F;ich in ihre Hu&#x0364;rd begeben,</l><lb/>
          <l>Gieng David in die Ho&#x0364;hl, die ware gleich daneben,</l><lb/>
          <l>Jn welcher &#x017F;tuhnd &#x017F;ein Bett, in einem Stein gehaut,</l><lb/>
          <l>Das ehmals E&#x017F;aus Fleiß hat &#x017F;elb&#x017F;ten &#x017F;o gebaut,</l><lb/>
          <l>Wann er war auf der Jagd, war hie bey Nacht &#x017F;ein Bleiben,</l><lb/>
          <l>Denn nahe hie herum pflag er die Jagd zu treiben,</l><lb/>
          <l>Jn einem weiten Wald, der &#x017F;eine Lu&#x0364;&#x017F;te &#x017F;tillt</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;eine Mu&#x0364;h belohnt, mit manchem edlen Wild.</l><lb/>
          <l>Jezt wohnte David hie, des Jacobs edler Saame,</l><lb/>
          <l>Der da nach Gottes Schluß den Seegen E&#x017F;au nahme.<note place="right">370.</note></l><lb/>
          <l>Diß fiele David ein, als er &#x017F;ich legt zur Ruh,</l><lb/>
          <l>Und &#x017F;chloß er lang darum die Augen noch nicht zu.</l><lb/>
          <l>Geht es jezt auch nicht &#x017F;o? dacht er in dem Gemu&#x0364;the,</l><lb/>
          <l>Mich hebet Gott empor nach &#x017F;einer Wunder-Gu&#x0364;te,</l><lb/>
          <l>Und wehlet mich fu&#x0364;r Saul, die Er&#x017F;tgeburt i&#x017F;t &#x017F;ein,</l><lb/>
          <l>Der Ko&#x0364;nigliche Thron, doch &#x017F;oll er werden mein.</l><lb/>
          <l>O gro&#x017F;&#x017F;er Wunder-Gott! als E&#x017F;au ward gebohren,</l><lb/>
          <l>War er verworffen &#x017F;chon, und Jacob war erkohren.</l><lb/>
          <l>Was kan der Men&#x017F;ch dann thun? er i&#x017F;t ja eh erwehlt,</l><lb/>
          <l>Und eh verworffen &#x017F;chon, eh er noch auf der Welt.<note place="right">380.</note></l><lb/>
          <l>Ach Gott! du &#x017F;ieh&#x017F;t zuvor der Men&#x017F;chen ihre Sinnen,</l><lb/>
          <l>Eh &#x017F;ie gebohren &#x017F;ind, wei&#x017F;t du &#x017F;chon ihre Beginnen,</l><lb/>
          <l>Du &#x017F;traffe&#x017F;t drum zuvor, was nachmahls wird gethan,</l><lb/>
          <l>Die Su&#x0364;nderrott, und la&#x0364;&#x017F;t in allem Recht be&#x017F;tahn.</l><lb/>
          <l>Nun E&#x017F;au der i&#x017F;t Saul, da ich mich Jacob gleiche,</l><lb/>
          <l>Jch &#x017F;ehe &#x017F;chon zuvor, wie ich ihm gar nicht weiche</l><lb/>
          <l>Jn mancher Noth und Ang&#x017F;t, die ihm zu Handen kam,</l><lb/>
          <l>Als er fu&#x0364;r E&#x017F;aus Grimm die Flucht zu Handen nahm.</l><lb/>
          <l>So wird mirs auch noch gehn, ich werde noch erleben</l><lb/>
          <l>Beym Scepter Ungemach, beym Throne Ang&#x017F;t und Bebe&#x0303;.<note place="right">390.</note></l><lb/>
          <l>Doch, Herr, ich bin bereit! Ach Herr, ich bin dein Knecht,</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Nach</fw><lb/>
          <note xml:id="f04" prev="#f03" place="foot"><cb/>
ferhunde bewachen la&#x0364;ßt. Da-<lb/>
durch verbindet er in der That<lb/>
den aufmerck&#x017F;amen Le&#x017F;er an die<lb/>
Per&#x017F;on &#x017F;eines Helden. Er hat<lb/>
wohl gewußt, daß die Sachen<lb/>
den Le&#x017F;er nicht ru&#x0364;hren, wann &#x017F;ie<lb/>
nicht um&#x017F;ta&#x0364;ndlich ausgebildet<lb/>
werden. Aber wenn er &#x017F;ich vorge-<lb/><cb/>
nommen hat, der Per&#x017F;on Davids &#x017F;o<lb/>
genau zu folgen, und alle &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Stellen &#x017F;o um&#x017F;ta&#x0364;ndlich vorzu&#x017F;tel-<lb/>
len, &#x017F;o hat er eine ku&#x0364;rtzere Mate-<lb/>
rte, und nicht einen Lebens-Lauf<lb/>
vor &#x017F;ich nehmen &#x017F;ollen. So muß<lb/>
er nothwendig das Maaß eines<lb/>
vernu&#x0364;nftigen Werks u&#x0364;ber&#x017F;chreite&#x0303;.</note><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0032] Verſuch eines Gedichtes Wie nun die Heerde ſich in ihre Huͤrd begeben, Gieng David in die Hoͤhl, die ware gleich daneben, Jn welcher ſtuhnd ſein Bett, in einem Stein gehaut, Das ehmals Eſaus Fleiß hat ſelbſten ſo gebaut, Wann er war auf der Jagd, war hie bey Nacht ſein Bleiben, Denn nahe hie herum pflag er die Jagd zu treiben, Jn einem weiten Wald, der ſeine Luͤſte ſtillt Und ſeine Muͤh belohnt, mit manchem edlen Wild. Jezt wohnte David hie, des Jacobs edler Saame, Der da nach Gottes Schluß den Seegen Eſau nahme. Diß fiele David ein, als er ſich legt zur Ruh, Und ſchloß er lang darum die Augen noch nicht zu. Geht es jezt auch nicht ſo? dacht er in dem Gemuͤthe, Mich hebet Gott empor nach ſeiner Wunder-Guͤte, Und wehlet mich fuͤr Saul, die Erſtgeburt iſt ſein, Der Koͤnigliche Thron, doch ſoll er werden mein. O groſſer Wunder-Gott! als Eſau ward gebohren, War er verworffen ſchon, und Jacob war erkohren. Was kan der Menſch dann thun? er iſt ja eh erwehlt, Und eh verworffen ſchon, eh er noch auf der Welt. Ach Gott! du ſiehſt zuvor der Menſchen ihre Sinnen, Eh ſie gebohren ſind, weiſt du ſchon ihre Beginnen, Du ſtraffeſt drum zuvor, was nachmahls wird gethan, Die Suͤnderrott, und laͤſt in allem Recht beſtahn. Nun Eſau der iſt Saul, da ich mich Jacob gleiche, Jch ſehe ſchon zuvor, wie ich ihm gar nicht weiche Jn mancher Noth und Angſt, die ihm zu Handen kam, Als er fuͤr Eſaus Grimm die Flucht zu Handen nahm. So wird mirs auch noch gehn, ich werde noch erleben Beym Scepter Ungemach, beym Throne Angſt und Bebẽ. Doch, Herr, ich bin bereit! Ach Herr, ich bin dein Knecht, Nach ferhunde bewachen laͤßt. Da- durch verbindet er in der That den aufmerckſamen Leſer an die Perſon ſeines Helden. Er hat wohl gewußt, daß die Sachen den Leſer nicht ruͤhren, wann ſie nicht umſtaͤndlich ausgebildet werden. Aber wenn er ſich vorge- nommen hat, der Perſon Davids ſo genau zu folgen, und alle ſchoͤnen Stellen ſo umſtaͤndlich vorzuſtel- len, ſo hat er eine kuͤrtzere Mate- rte, und nicht einen Lebens-Lauf vor ſich nehmen ſollen. So muß er nothwendig das Maaß eines vernuͤnftigen Werks uͤberſchreitẽ.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/32
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung10_1743/32>, abgerufen am 27.04.2024.