[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.Von dem Mechanismo gen versichert, der grosse Corneille der Frantzo-sen habe noch weniger Antheil an seinem Cid, als sich dieser grosse Hr. Gottsched von seinem Cato aus Bescheidenheit zugeeignet. Wenn künftig dem Hr. Gottsched gefallen wird, die süsse Hoff- nung zu erfüllen, welche er uns zu Anmerckungen über des Aristoteles Dichtkunst gemachet hat, so wird ihm sein Cato allein die geschicktesten Exem- pel leihen, auf welche er sich in seinen Erläuterun- gen beruffen kan. Da er solche in den Griechischen Dichtern vergeblich gesucht hätte, hat er gantz klüglich gehandelt, daß er das Muster und Exem- pel zu den Kunstlehren der Tragödie selbst verfer- tiget hat, wodurch der Leser zum Empfang dersel- ben vorbereitet, und die Kunst noch vor ihrer dog- matischen Erklärung durch das Werck und die Er- fahrung bekräftiget wird. Ein aufmercksames Ge- müthes-Auge kan sie gantz deutlich darinnen erbli- ken, und im Geist vorhersehen, was es von der ver- sprochenen Aristotelisch-Gottschedischen Dichtkunst zu gewarten hat. Jch habe dem kunstreichen Me- chanismo in dieser Tragödie mit allem Fleisse nach- gespüret, und manches darinn entdecket, das un- gemein dienen kan, die deutsche Schaubühne ohne grossen Aufwand von unserm Eigenthum mit Ori- ginal-Stücken zu bereichern. Jch getraue mir so gar die Kunsträder und Springfedern der mechani- schen Arbeit des Poeten von einem zum andern ausgespähet zu haben. Sobald der Hr. Verfasser bey sich beschlossen, recht-
Von dem Mechaniſmo gen verſichert, der groſſe Corneille der Frantzo-ſen habe noch weniger Antheil an ſeinem Cid, als ſich dieſer groſſe Hr. Gottſched von ſeinem Cato aus Beſcheidenheit zugeeignet. Wenn kuͤnftig dem Hr. Gottſched gefallen wird, die ſuͤſſe Hoff- nung zu erfuͤllen, welche er uns zu Anmerckungen uͤber des Ariſtoteles Dichtkunſt gemachet hat, ſo wird ihm ſein Cato allein die geſchickteſten Exem- pel leihen, auf welche er ſich in ſeinen Erlaͤuterun- gen beruffen kan. Da er ſolche in den Griechiſchen Dichtern vergeblich geſucht haͤtte, hat er gantz kluͤglich gehandelt, daß er das Muſter und Exem- pel zu den Kunſtlehren der Tragoͤdie ſelbſt verfer- tiget hat, wodurch der Leſer zum Empfang derſel- ben vorbereitet, und die Kunſt noch vor ihrer dog- matiſchen Erklaͤrung durch das Werck und die Er- fahrung bekraͤftiget wird. Ein aufmerckſames Ge- muͤthes-Auge kan ſie gantz deutlich darinnen erbli- ken, und im Geiſt vorherſehen, was es von der ver- ſprochenen Ariſtoteliſch-Gottſchediſchen Dichtkunſt zu gewarten hat. Jch habe dem kunſtreichen Me- chaniſmo in dieſer Tragoͤdie mit allem Fleiſſe nach- geſpuͤret, und manches darinn entdecket, das un- gemein dienen kan, die deutſche Schaubuͤhne ohne groſſen Aufwand von unſerm Eigenthum mit Ori- ginal-Stuͤcken zu bereichern. Jch getraue mir ſo gar die Kunſtraͤder und Springfedern der mechani- ſchen Arbeit des Poeten von einem zum andern ausgeſpaͤhet zu haben. Sobald der Hr. Verfaſſer bey ſich beſchloſſen, recht-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0082" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Mechaniſmo</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">gen</hi> verſichert, der <hi rendition="#fr">groſſe</hi> Corneille der Frantzo-<lb/> ſen habe noch weniger Antheil an ſeinem Cid, als<lb/> ſich dieſer <hi rendition="#fr">groſſe</hi> Hr. Gottſched von ſeinem Cato<lb/> aus Beſcheidenheit zugeeignet. Wenn kuͤnftig<lb/> dem Hr. Gottſched gefallen wird, die ſuͤſſe Hoff-<lb/> nung zu erfuͤllen, welche er uns zu Anmerckungen<lb/> uͤber des Ariſtoteles Dichtkunſt gemachet hat, ſo<lb/> wird ihm ſein Cato allein die geſchickteſten Exem-<lb/> pel leihen, auf welche er ſich in ſeinen Erlaͤuterun-<lb/> gen beruffen kan. Da er ſolche in den Griechiſchen<lb/> Dichtern vergeblich geſucht haͤtte, hat er gantz<lb/> kluͤglich gehandelt, daß er das Muſter und Exem-<lb/> pel zu den Kunſtlehren der Tragoͤdie ſelbſt verfer-<lb/> tiget hat, wodurch der Leſer zum Empfang derſel-<lb/> ben vorbereitet, und die Kunſt noch vor ihrer dog-<lb/> matiſchen Erklaͤrung durch das Werck und die Er-<lb/> fahrung bekraͤftiget wird. Ein aufmerckſames Ge-<lb/> muͤthes-Auge kan ſie gantz deutlich darinnen erbli-<lb/> ken, und im Geiſt vorherſehen, was es von der ver-<lb/> ſprochenen Ariſtoteliſch-Gottſchediſchen Dichtkunſt<lb/> zu gewarten hat. Jch habe dem kunſtreichen Me-<lb/> chaniſmo in dieſer Tragoͤdie mit allem Fleiſſe nach-<lb/> geſpuͤret, und manches darinn entdecket, das un-<lb/> gemein dienen kan, die deutſche Schaubuͤhne ohne<lb/> groſſen Aufwand von unſerm Eigenthum mit Ori-<lb/> ginal-Stuͤcken zu bereichern. Jch getraue mir ſo<lb/> gar die Kunſtraͤder und Springfedern der mechani-<lb/> ſchen Arbeit des Poeten von einem zum andern<lb/> ausgeſpaͤhet zu haben.</p><lb/> <p>Sobald der Hr. Verfaſſer bey ſich beſchloſſen,<lb/> eine deutſche Original-Tragoͤdie von Cato zu ver-<lb/> fertigen, hat er ſich vor allen Dingen in einen<lb/> <fw place="bottom" type="catch">recht-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0082]
Von dem Mechaniſmo
gen verſichert, der groſſe Corneille der Frantzo-
ſen habe noch weniger Antheil an ſeinem Cid, als
ſich dieſer groſſe Hr. Gottſched von ſeinem Cato
aus Beſcheidenheit zugeeignet. Wenn kuͤnftig
dem Hr. Gottſched gefallen wird, die ſuͤſſe Hoff-
nung zu erfuͤllen, welche er uns zu Anmerckungen
uͤber des Ariſtoteles Dichtkunſt gemachet hat, ſo
wird ihm ſein Cato allein die geſchickteſten Exem-
pel leihen, auf welche er ſich in ſeinen Erlaͤuterun-
gen beruffen kan. Da er ſolche in den Griechiſchen
Dichtern vergeblich geſucht haͤtte, hat er gantz
kluͤglich gehandelt, daß er das Muſter und Exem-
pel zu den Kunſtlehren der Tragoͤdie ſelbſt verfer-
tiget hat, wodurch der Leſer zum Empfang derſel-
ben vorbereitet, und die Kunſt noch vor ihrer dog-
matiſchen Erklaͤrung durch das Werck und die Er-
fahrung bekraͤftiget wird. Ein aufmerckſames Ge-
muͤthes-Auge kan ſie gantz deutlich darinnen erbli-
ken, und im Geiſt vorherſehen, was es von der ver-
ſprochenen Ariſtoteliſch-Gottſchediſchen Dichtkunſt
zu gewarten hat. Jch habe dem kunſtreichen Me-
chaniſmo in dieſer Tragoͤdie mit allem Fleiſſe nach-
geſpuͤret, und manches darinn entdecket, das un-
gemein dienen kan, die deutſche Schaubuͤhne ohne
groſſen Aufwand von unſerm Eigenthum mit Ori-
ginal-Stuͤcken zu bereichern. Jch getraue mir ſo
gar die Kunſtraͤder und Springfedern der mechani-
ſchen Arbeit des Poeten von einem zum andern
ausgeſpaͤhet zu haben.
Sobald der Hr. Verfaſſer bey ſich beſchloſſen,
eine deutſche Original-Tragoͤdie von Cato zu ver-
fertigen, hat er ſich vor allen Dingen in einen
recht-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/82 |
Zitationshilfe: | [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/82>, abgerufen am 16.07.2024. |