Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
des sechszehnten Jahrhunderts.

Wenn sein Gedichte von der Flöhhetze mit
diesem Fehler nicht besudelt wäre, so dürften
wir es wegen vieler poetischer Gedancken und
Vorstellungen, in welchen sich eine natürliche
Fähigkeit zur Poesie zeiget, desto freyer an-
preisen. Ein Floh klaget der Mücke seine Noth,
die ihm und andern von seinem Geschlechte von
den Weibern angethan wird: Die Mücke be-
gegnet ihm mit Trost und Rath auf das freund-
lichste. Dem ist die Verantwortung der Wei-
ber auf der Flöhe Verkleinerung angehänget,
samt dem Flöhurtheile. Der Floh fängt seine
Klage an:

"Wem soll ich meine Noth kla-
"gen? Den Menschen kan ich sie nicht wohl
"sagen, wiewohl sie von Natur erkennen,
"was gut, und was recht zu nennen sey;
"dieweil sie mir gar gehässig sind; denn der
"Gehässige spricht unrechtmässig. Soll ich sie
"denn meines gleichen sagen, so wird man
"mir hinwiderklagen: Das ist denn Klage um
"Gegenklage, welche keinem etwas frommen
"mag. Es muß einer seyn, der sie beur-
"theilet, und nach dem Rechten darüber
"spricht. Derohalben will ich zu dem fliehen,
"von welchem wir alle den Anfang ziehen,
"der nach seiner Güte und Macht nicht das
"geringste Geschöpfe verachtet, und überall
"gantz nichts verwahrloset, ohne dessen Wil-
"len kein Thier sein Haar läßt. Darum o
"hoher Jupiter, gewähre nun mich armes
"Thiergen. Jch bin eine lebendige Todten-
"leiche; das machet ein unzartes Frauenbild.
"- O
E 5
des ſechszehnten Jahrhunderts.

Wenn ſein Gedichte von der Floͤhhetze mit
dieſem Fehler nicht beſudelt waͤre, ſo duͤrften
wir es wegen vieler poetiſcher Gedancken und
Vorſtellungen, in welchen ſich eine natuͤrliche
Faͤhigkeit zur Poeſie zeiget, deſto freyer an-
preiſen. Ein Floh klaget der Muͤcke ſeine Noth,
die ihm und andern von ſeinem Geſchlechte von
den Weibern angethan wird: Die Muͤcke be-
gegnet ihm mit Troſt und Rath auf das freund-
lichſte. Dem iſt die Verantwortung der Wei-
ber auf der Floͤhe Verkleinerung angehaͤnget,
ſamt dem Floͤhurtheile. Der Floh faͤngt ſeine
Klage an:

„Wem ſoll ich meine Noth kla-
„gen? Den Menſchen kan ich ſie nicht wohl
„ſagen, wiewohl ſie von Natur erkennen,
„was gut, und was recht zu nennen ſey;
„dieweil ſie mir gar gehaͤſſig ſind; denn der
„Gehaͤſſige ſpricht unrechtmaͤſſig. Soll ich ſie
„denn meines gleichen ſagen, ſo wird man
„mir hinwiderklagen: Das iſt denn Klage um
„Gegenklage, welche keinem etwas frommen
„mag. Es muß einer ſeyn, der ſie beur-
„theilet, und nach dem Rechten daruͤber
„ſpricht. Derohalben will ich zu dem fliehen,
„von welchem wir alle den Anfang ziehen,
„der nach ſeiner Guͤte und Macht nicht das
„geringſte Geſchoͤpfe verachtet, und uͤberall
„gantz nichts verwahrloſet, ohne deſſen Wil-
„len kein Thier ſein Haar laͤßt. Darum o
„hoher Jupiter, gewaͤhre nun mich armes
„Thiergen. Jch bin eine lebendige Todten-
„leiche; das machet ein unzartes Frauenbild.
„- O
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0073" n="73"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">des &#x017F;echszehnten Jahrhunderts.</hi> </fw><lb/>
        <p>Wenn &#x017F;ein Gedichte von der Flo&#x0364;hhetze mit<lb/>
die&#x017F;em Fehler nicht be&#x017F;udelt wa&#x0364;re, &#x017F;o du&#x0364;rften<lb/>
wir es wegen vieler poeti&#x017F;cher Gedancken und<lb/>
Vor&#x017F;tellungen, in welchen &#x017F;ich eine natu&#x0364;rliche<lb/>
Fa&#x0364;higkeit zur Poe&#x017F;ie zeiget, de&#x017F;to freyer an-<lb/>
prei&#x017F;en. Ein Floh klaget der Mu&#x0364;cke &#x017F;eine Noth,<lb/>
die ihm und andern von &#x017F;einem Ge&#x017F;chlechte von<lb/>
den Weibern angethan wird: Die Mu&#x0364;cke be-<lb/>
gegnet ihm mit Tro&#x017F;t und Rath auf das freund-<lb/>
lich&#x017F;te. Dem i&#x017F;t die Verantwortung der Wei-<lb/>
ber auf der Flo&#x0364;he Verkleinerung angeha&#x0364;nget,<lb/>
&#x017F;amt dem Flo&#x0364;hurtheile. Der Floh fa&#x0364;ngt &#x017F;eine<lb/>
Klage an:</p>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Wem &#x017F;oll ich meine Noth kla-<lb/>
&#x201E;gen? Den Men&#x017F;chen kan ich &#x017F;ie nicht wohl<lb/>
&#x201E;&#x017F;agen, wiewohl &#x017F;ie von Natur erkennen,<lb/>
&#x201E;was gut, und was recht zu nennen &#x017F;ey;<lb/>
&#x201E;dieweil &#x017F;ie mir gar geha&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;ind; denn der<lb/>
&#x201E;Geha&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige &#x017F;pricht unrechtma&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig. Soll ich &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;denn meines gleichen &#x017F;agen, &#x017F;o wird man<lb/>
&#x201E;mir hinwiderklagen: Das i&#x017F;t denn Klage um<lb/>
&#x201E;Gegenklage, welche keinem etwas frommen<lb/>
&#x201E;mag. Es muß einer &#x017F;eyn, der &#x017F;ie beur-<lb/>
&#x201E;theilet, und nach dem Rechten daru&#x0364;ber<lb/>
&#x201E;&#x017F;pricht. Derohalben will ich zu dem fliehen,<lb/>
&#x201E;von welchem wir alle den Anfang ziehen,<lb/>
&#x201E;der nach &#x017F;einer Gu&#x0364;te und Macht nicht das<lb/>
&#x201E;gering&#x017F;te Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe verachtet, und u&#x0364;berall<lb/>
&#x201E;gantz nichts verwahrlo&#x017F;et, ohne de&#x017F;&#x017F;en Wil-<lb/>
&#x201E;len kein Thier &#x017F;ein Haar la&#x0364;ßt. Darum o<lb/>
&#x201E;hoher Jupiter, gewa&#x0364;hre nun mich armes<lb/>
&#x201E;Thiergen. Jch bin eine lebendige Todten-<lb/>
&#x201E;leiche; das machet ein unzartes Frauenbild.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;- O</fw><lb/></quote>
        </cit>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0073] des ſechszehnten Jahrhunderts. Wenn ſein Gedichte von der Floͤhhetze mit dieſem Fehler nicht beſudelt waͤre, ſo duͤrften wir es wegen vieler poetiſcher Gedancken und Vorſtellungen, in welchen ſich eine natuͤrliche Faͤhigkeit zur Poeſie zeiget, deſto freyer an- preiſen. Ein Floh klaget der Muͤcke ſeine Noth, die ihm und andern von ſeinem Geſchlechte von den Weibern angethan wird: Die Muͤcke be- gegnet ihm mit Troſt und Rath auf das freund- lichſte. Dem iſt die Verantwortung der Wei- ber auf der Floͤhe Verkleinerung angehaͤnget, ſamt dem Floͤhurtheile. Der Floh faͤngt ſeine Klage an: „Wem ſoll ich meine Noth kla- „gen? Den Menſchen kan ich ſie nicht wohl „ſagen, wiewohl ſie von Natur erkennen, „was gut, und was recht zu nennen ſey; „dieweil ſie mir gar gehaͤſſig ſind; denn der „Gehaͤſſige ſpricht unrechtmaͤſſig. Soll ich ſie „denn meines gleichen ſagen, ſo wird man „mir hinwiderklagen: Das iſt denn Klage um „Gegenklage, welche keinem etwas frommen „mag. Es muß einer ſeyn, der ſie beur- „theilet, und nach dem Rechten daruͤber „ſpricht. Derohalben will ich zu dem fliehen, „von welchem wir alle den Anfang ziehen, „der nach ſeiner Guͤte und Macht nicht das „geringſte Geſchoͤpfe verachtet, und uͤberall „gantz nichts verwahrloſet, ohne deſſen Wil- „len kein Thier ſein Haar laͤßt. Darum o „hoher Jupiter, gewaͤhre nun mich armes „Thiergen. Jch bin eine lebendige Todten- „leiche; das machet ein unzartes Frauenbild. „- O E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/73
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/73>, abgerufen am 23.11.2024.