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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von der Poesie

Also hat der Poet bey jeder Gelegenheit die
Affecte, in welche die Schiffenden versetzet wor-
den, geschickt ausgedrücket, und damit den Le-
ser in eben dergleichen Affecte gestürtzet. Als die
Gesellschaft bey Neuenburg gesehen, daß der Rhein
ein gutes Stück von der Stadt weggerissen, mel-
det der Poet,

"daß sie es sehr betrauret, und den
"Rhein um Bedauren gebeten habe, daß er sei-
"nen Zorn wollte verfliessen, und diese Stadt
"einmahl der Ruhe geniessen lassen."

Die Freu-
de, so sie empfunden, als sie zuerst aus der Aar
in den Rhein getreten, drücket er dergestalt aus:

"Da freueten sich die Reisegefehrten als sie nun
"den Rhein rauschen hörten, und wünschten sich
"auf ein neues Glück, daß der Rhein sie glücklich
"fortschickete."

Doch diese Character und Affecte werden noch
lebhafter in ihren Reden ausgedrücket: Jhre er-
ste Anrede an den Rhein ist sehr poetisch und mit
geschickten poetischen Beweggründen eingeführet:

"O Rhein, diene du uns nun mit deinem hel-
"len Flusse zur Förderniß. Laß uns deiner Gunst
"geniessen, dieweil du doch bey uns entspringest,
"am Vogelberg bey den Luchtmanen im Rhein-
"zierland, von alten Ahnen; und wir dein Thal,
"dadurch du rinnst, mit Feldbau, dem schönsten
"Dienste auszieren. Schalte dieses Wagschiff-
"lein nach seinem Begehren; wir wollens dir
"doch verehren; leite es nach Straßburg, da-
"vor du doch gerne und mit Begierde läufest,
"weil es deinen Strohm wie ein Gestein im Rin-
"ge versetzet, zieret und ergetzet."

Von
Von der Poeſie

Alſo hat der Poet bey jeder Gelegenheit die
Affecte, in welche die Schiffenden verſetzet wor-
den, geſchickt ausgedruͤcket, und damit den Le-
ſer in eben dergleichen Affecte geſtuͤrtzet. Als die
Geſellſchaft bey Neuenburg geſehen, daß der Rhein
ein gutes Stuͤck von der Stadt weggeriſſen, mel-
det der Poet,

„daß ſie es ſehr betrauret, und den
„Rhein um Bedauren gebeten habe, daß er ſei-
„nen Zorn wollte verflieſſen, und dieſe Stadt
„einmahl der Ruhe genieſſen laſſen.„

Die Freu-
de, ſo ſie empfunden, als ſie zuerſt aus der Aar
in den Rhein getreten, druͤcket er dergeſtalt aus:

„Da freueten ſich die Reiſegefehrten als ſie nun
„den Rhein rauſchen hoͤrten, und wuͤnſchten ſich
„auf ein neues Gluͤck, daß der Rhein ſie gluͤcklich
„fortſchickete.„

Doch dieſe Character und Affecte werden noch
lebhafter in ihren Reden ausgedruͤcket: Jhre er-
ſte Anrede an den Rhein iſt ſehr poetiſch und mit
geſchickten poetiſchen Beweggruͤnden eingefuͤhret:

„O Rhein, diene du uns nun mit deinem hel-
„len Fluſſe zur Foͤrderniß. Laß uns deiner Gunſt
„genieſſen, dieweil du doch bey uns entſpringeſt,
„am Vogelberg bey den Luchtmanen im Rhein-
„zierland, von alten Ahnen; und wir dein Thal,
„dadurch du rinnſt, mit Feldbau, dem ſchoͤnſten
„Dienſte auszieren. Schalte dieſes Wagſchiff-
„lein nach ſeinem Begehren; wir wollens dir
„doch verehren; leite es nach Straßburg, da-
„vor du doch gerne und mit Begierde laͤufeſt,
„weil es deinen Strohm wie ein Geſtein im Rin-
„ge verſetzet, zieret und ergetzet.„

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[62/0062] Von der Poeſie Alſo hat der Poet bey jeder Gelegenheit die Affecte, in welche die Schiffenden verſetzet wor- den, geſchickt ausgedruͤcket, und damit den Le- ſer in eben dergleichen Affecte geſtuͤrtzet. Als die Geſellſchaft bey Neuenburg geſehen, daß der Rhein ein gutes Stuͤck von der Stadt weggeriſſen, mel- det der Poet, „daß ſie es ſehr betrauret, und den „Rhein um Bedauren gebeten habe, daß er ſei- „nen Zorn wollte verflieſſen, und dieſe Stadt „einmahl der Ruhe genieſſen laſſen.„ Die Freu- de, ſo ſie empfunden, als ſie zuerſt aus der Aar in den Rhein getreten, druͤcket er dergeſtalt aus: „Da freueten ſich die Reiſegefehrten als ſie nun „den Rhein rauſchen hoͤrten, und wuͤnſchten ſich „auf ein neues Gluͤck, daß der Rhein ſie gluͤcklich „fortſchickete.„ Doch dieſe Character und Affecte werden noch lebhafter in ihren Reden ausgedruͤcket: Jhre er- ſte Anrede an den Rhein iſt ſehr poetiſch und mit geſchickten poetiſchen Beweggruͤnden eingefuͤhret: „O Rhein, diene du uns nun mit deinem hel- „len Fluſſe zur Foͤrderniß. Laß uns deiner Gunſt „genieſſen, dieweil du doch bey uns entſpringeſt, „am Vogelberg bey den Luchtmanen im Rhein- „zierland, von alten Ahnen; und wir dein Thal, „dadurch du rinnſt, mit Feldbau, dem ſchoͤnſten „Dienſte auszieren. Schalte dieſes Wagſchiff- „lein nach ſeinem Begehren; wir wollens dir „doch verehren; leite es nach Straßburg, da- „vor du doch gerne und mit Begierde laͤufeſt, „weil es deinen Strohm wie ein Geſtein im Rin- „ge verſetzet, zieret und ergetzet.„ Von

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/62>, abgerufen am 03.05.2024.