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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den glücklichen Umständen
wöhnliche Sprache dieses metaphorische Kleid an-
gezogen hat?



Auf eine Sprache thut die Religion eines Lan-
des, und die Sitten der Zeiten einen mächtigen
und sonderbaren Einfluß. Wir haben eine Men-
ge Exempel wie ein steifer Glaube einer Secte
die Leute von derselben so kräftig beweget, in dem
beliebten Jdioma zu reden und zu schreiben. Sie
führen es in ihren täglichen Geschäften ein, und
alludiren darauf in ihren Lustbarkeiten; insonder-
heit wann die Lehre den Schwung hat, und im
Flor ist. Was vor grosse Vortheile würde nun
ein Poet von einer Religion haben, welche so
allegorisch wäre, wie ehmals die Egyptische ge-
wesen war? Wo die Leute bewunderten was
sie nicht verstuhnden, und unbekannte Kräfte fürch-
teten und ehreten, in der Einbildung, daß sie
vermögend wären, ihnen viel gutes oder viel böses
zu thun? Wo die Gottesgelahrtheit, der Glau-
be, und die feyerlichen Ceremonien nach dieser
Neigung eingerichtet sind? Es folget nothwen-
dig, daß diese Lehre in einer kurtzen Zeit mit den
Sitten des Volkes vermischet werden, sich in
ihre Sprache eindringen, und allgemeinen Bey-
fall erhalten muß. Jn diesem Fall würde die
Allegorie ungesucht in die Schreibart des Poeten
hineinkommen.

Die

Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden
woͤhnliche Sprache dieſes metaphoriſche Kleid an-
gezogen hat?



Auf eine Sprache thut die Religion eines Lan-
des, und die Sitten der Zeiten einen maͤchtigen
und ſonderbaren Einfluß. Wir haben eine Men-
ge Exempel wie ein ſteifer Glaube einer Secte
die Leute von derſelben ſo kraͤftig beweget, in dem
beliebten Jdioma zu reden und zu ſchreiben. Sie
fuͤhren es in ihren taͤglichen Geſchaͤften ein, und
alludiren darauf in ihren Luſtbarkeiten; inſonder-
heit wann die Lehre den Schwung hat, und im
Flor iſt. Was vor groſſe Vortheile wuͤrde nun
ein Poet von einer Religion haben, welche ſo
allegoriſch waͤre, wie ehmals die Egyptiſche ge-
weſen war? Wo die Leute bewunderten was
ſie nicht verſtuhnden, und unbekannte Kraͤfte fuͤrch-
teten und ehreten, in der Einbildung, daß ſie
vermoͤgend waͤren, ihnen viel gutes oder viel boͤſes
zu thun? Wo die Gottesgelahrtheit, der Glau-
be, und die feyerlichen Ceremonien nach dieſer
Neigung eingerichtet ſind? Es folget nothwen-
dig, daß dieſe Lehre in einer kurtzen Zeit mit den
Sitten des Volkes vermiſchet werden, ſich in
ihre Sprache eindringen, und allgemeinen Bey-
fall erhalten muß. Jn dieſem Fall wuͤrde die
Allegorie ungeſucht in die Schreibart des Poeten
hineinkommen.

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[18/0018] Von den gluͤcklichen Umſtaͤnden woͤhnliche Sprache dieſes metaphoriſche Kleid an- gezogen hat? Auf eine Sprache thut die Religion eines Lan- des, und die Sitten der Zeiten einen maͤchtigen und ſonderbaren Einfluß. Wir haben eine Men- ge Exempel wie ein ſteifer Glaube einer Secte die Leute von derſelben ſo kraͤftig beweget, in dem beliebten Jdioma zu reden und zu ſchreiben. Sie fuͤhren es in ihren taͤglichen Geſchaͤften ein, und alludiren darauf in ihren Luſtbarkeiten; inſonder- heit wann die Lehre den Schwung hat, und im Flor iſt. Was vor groſſe Vortheile wuͤrde nun ein Poet von einer Religion haben, welche ſo allegoriſch waͤre, wie ehmals die Egyptiſche ge- weſen war? Wo die Leute bewunderten was ſie nicht verſtuhnden, und unbekannte Kraͤfte fuͤrch- teten und ehreten, in der Einbildung, daß ſie vermoͤgend waͤren, ihnen viel gutes oder viel boͤſes zu thun? Wo die Gottesgelahrtheit, der Glau- be, und die feyerlichen Ceremonien nach dieſer Neigung eingerichtet ſind? Es folget nothwen- dig, daß dieſe Lehre in einer kurtzen Zeit mit den Sitten des Volkes vermiſchet werden, ſich in ihre Sprache eindringen, und allgemeinen Bey- fall erhalten muß. Jn dieſem Fall wuͤrde die Allegorie ungeſucht in die Schreibart des Poeten hineinkommen. Die

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/18>, abgerufen am 28.03.2024.