[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.des deutschen Witzes. starckbebisamter, mit gekrausten und pudrier-ten Haaren vom Kopf an bis zum Wadel seines Schwantzes ausgezierter junger Teufel, der über- dies auf seinem Angesicht etliche Schönflecken nach der neuesten Mode aufgekleibt hatte. Jn- dessen wollte ich gerne wissen, was es Hrn. Pit- schel mehr zu schaffen machete, sich einen Teufel von der Grösse eines Riesen, als hingegen ei- nen von Zwergesgestalt einzubilden. Und hält er alles, was grösser ist, als die menschliche Sta- tur, vor Ungeheuer? Nimmt er denn das Maaß aller übrigen Geschöpfe bey seinem eigenen? Demnach würde er, wenn er in Liliput geboh- ren wäre, unsre grossen, ansehnliche deutschen Leiber in seiner Einbildung vor Ungeheuer und Rie- sengespenster halten. Er sollte sich doch besinnen, und dem Satan zum wenigsten eine so ansehnli- che Gestalt einräumen, als diejenige ist, mit wel- cher Homer die Zwietracht versehen hat: Er sagt von ihr im vierten B. der Jlias v. 443. sie habe den Kopf in dem Himmel droben, und gehe auf dem Erdboden; welches Hr. König noch so sehr vergrössert hat: Sie steigt vom Abgrund an mit einem einzgen Schritte Sollte Satan nicht zum wenigsten so groß und tracht, E 5
des deutſchen Witzes. ſtarckbebiſamter, mit gekrausten und pudrier-ten Haaren vom Kopf an bis zum Wadel ſeines Schwantzes ausgezierter junger Teufel, der uͤber- dies auf ſeinem Angeſicht etliche Schoͤnflecken nach der neueſten Mode aufgekleibt hatte. Jn- deſſen wollte ich gerne wiſſen, was es Hrn. Pit- ſchel mehr zu ſchaffen machete, ſich einen Teufel von der Groͤſſe eines Rieſen, als hingegen ei- nen von Zwergesgeſtalt einzubilden. Und haͤlt er alles, was groͤſſer iſt, als die menſchliche Sta- tur, vor Ungeheuer? Nimmt er denn das Maaß aller uͤbrigen Geſchoͤpfe bey ſeinem eigenen? Demnach wuͤrde er, wenn er in Liliput geboh- ren waͤre, unſre groſſen, anſehnliche deutſchen Leiber in ſeiner Einbildung vor Ungeheuer und Rie- ſengeſpenſter halten. Er ſollte ſich doch beſinnen, und dem Satan zum wenigſten eine ſo anſehnli- che Geſtalt einraͤumen, als diejenige iſt, mit wel- cher Homer die Zwietracht verſehen hat: Er ſagt von ihr im vierten B. der Jlias v. 443. ſie habe den Kopf in dem Himmel droben, und gehe auf dem Erdboden; welches Hr. Koͤnig noch ſo ſehr vergroͤſſert hat: Sie ſteigt vom Abgrund an mit einem einzgen Schritte Sollte Satan nicht zum wenigſten ſo groß und tracht, E 5
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des deutſchen Witzes.
ſtarckbebiſamter, mit gekrausten und pudrier-
ten Haaren vom Kopf an bis zum Wadel ſeines
Schwantzes ausgezierter junger Teufel, der uͤber-
dies auf ſeinem Angeſicht etliche Schoͤnflecken
nach der neueſten Mode aufgekleibt hatte. Jn-
deſſen wollte ich gerne wiſſen, was es Hrn. Pit-
ſchel mehr zu ſchaffen machete, ſich einen Teufel
von der Groͤſſe eines Rieſen, als hingegen ei-
nen von Zwergesgeſtalt einzubilden. Und haͤlt er
alles, was groͤſſer iſt, als die menſchliche Sta-
tur, vor Ungeheuer? Nimmt er denn das Maaß
aller uͤbrigen Geſchoͤpfe bey ſeinem eigenen?
Demnach wuͤrde er, wenn er in Liliput geboh-
ren waͤre, unſre groſſen, anſehnliche deutſchen
Leiber in ſeiner Einbildung vor Ungeheuer und Rie-
ſengeſpenſter halten. Er ſollte ſich doch beſinnen,
und dem Satan zum wenigſten eine ſo anſehnli-
che Geſtalt einraͤumen, als diejenige iſt, mit wel-
cher Homer die Zwietracht verſehen hat: Er ſagt
von ihr im vierten B. der Jlias v. 443. ſie habe
den Kopf in dem Himmel droben, und gehe
auf dem Erdboden; welches Hr. Koͤnig noch
ſo ſehr vergroͤſſert hat:
Sie ſteigt vom Abgrund an mit einem einzgen Schritte
Bis an des Himmels Thor. ‒ ‒ ‒ ‒
Sollte Satan nicht zum wenigſten ſo groß und
anſehnlich ſeyn, als die Zweitracht, ein Ens ra-
tionis, und zum hoͤchſten ſeine Tochter? Vir-
gil hat das Geruͤchte, welches doch nichts meh-
rers als ein Geſchoͤpfe des Poeten iſt, nicht ei-
nen Schuhe kleiner gemacht, als dieſe Zwei-
tracht,
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Zitationshilfe: | [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/73>, abgerufen am 16.02.2025. |