Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite
des deutschen Witzes.

Der Vormund der Deutschen sagt uns in
dem Verfolge mit einem absolutern Tone, als
einer der izo weis, was er sagt, und nicht mehr
zweifelt: Eine deutsche Einbildung könne
sich, wenn nicht bald ein anderer Zusammen-
hang der Dinge entstehe, nimmermehr Geister
von so feinem Zeuge, daß ein Weltkreis unter
ihnen erschüttert, wenn sie den Fuß regen, als
wahrscheinlich vorstellen.
Fragen wir die ge-
lehrtesten und die unwissendsten Deutschen, ob
ihnen dieses in der That so unwahrscheinlich vor-
komme, so werden die leztern geradezu beken-
nen, daß es ihnen noch niemahls in den Sinn
gekommen, die Frage bey sich selbst zu machen,
ob dieses wahrscheinlich sey oder nicht. Die Un-
wissenden pflegen nicht zu untersuchen, sie sparen
sich diese Mühe, und glauben etwas lieber. Was
die Gelehrten anlanget, so wissen sie, daß eine
gantz geringe Stärcke dazu vonnöthen ist, einen
Planeten, oder gantzen Weltkreis zu bewegen,
so fern einer nur von dem Wirbel desselben, oder
dessen anziehenden Kraft frey ist. Archimedes
hat nichts weiters gefodert, als ein Plätzgen,
worauf er den Fuß setzen könnte, so wollte er
die Erden aufheben.

- - Des ubi stem, & terram tibi sede movebo.

Nun sind die Englischen Geister nicht mit uns in
den unsrigen oder sonst einen Weltkreis einge-
schlossen. Wir können daneben mit vielen Exem-
peln beweisen, daß Gelehrte und Ungelehrte in
ihrer Einbildung dergleichen Vorstellungen ohne
Mühe haben vertragen können. Als der Schutz-

geist
[Crit. Samml. VI. St.] E
des deutſchen Witzes.

Der Vormund der Deutſchen ſagt uns in
dem Verfolge mit einem abſolutern Tone, als
einer der izo weis, was er ſagt, und nicht mehr
zweifelt: Eine deutſche Einbildung koͤnne
ſich, wenn nicht bald ein anderer Zuſammen-
hang der Dinge entſtehe, nimmermehr Geiſter
von ſo feinem Zeuge, daß ein Weltkreis unter
ihnen erſchuͤttert, wenn ſie den Fuß regen, als
wahrſcheinlich vorſtellen.
Fragen wir die ge-
lehrteſten und die unwiſſendſten Deutſchen, ob
ihnen dieſes in der That ſo unwahrſcheinlich vor-
komme, ſo werden die leztern geradezu beken-
nen, daß es ihnen noch niemahls in den Sinn
gekommen, die Frage bey ſich ſelbſt zu machen,
ob dieſes wahrſcheinlich ſey oder nicht. Die Un-
wiſſenden pflegen nicht zu unterſuchen, ſie ſparen
ſich dieſe Muͤhe, und glauben etwas lieber. Was
die Gelehrten anlanget, ſo wiſſen ſie, daß eine
gantz geringe Staͤrcke dazu vonnoͤthen iſt, einen
Planeten, oder gantzen Weltkreis zu bewegen,
ſo fern einer nur von dem Wirbel deſſelben, oder
deſſen anziehenden Kraft frey iſt. Archimedes
hat nichts weiters gefodert, als ein Plaͤtzgen,
worauf er den Fuß ſetzen koͤnnte, ſo wollte er
die Erden aufheben.

‒ ‒ Des ubi ſtem, & terram tibi ſede movebo.

Nun ſind die Engliſchen Geiſter nicht mit uns in
den unſrigen oder ſonſt einen Weltkreis einge-
ſchloſſen. Wir koͤnnen daneben mit vielen Exem-
peln beweiſen, daß Gelehrte und Ungelehrte in
ihrer Einbildung dergleichen Vorſtellungen ohne
Muͤhe haben vertragen koͤnnen. Als der Schutz-

geiſt
[Crit. Sam̃l. VI. St.] E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0065" n="65"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">des deut&#x017F;chen Witzes.</hi> </fw><lb/>
          <p>Der Vormund der Deut&#x017F;chen &#x017F;agt uns in<lb/>
dem Verfolge mit einem ab&#x017F;olutern Tone, als<lb/>
einer der izo weis, was er &#x017F;agt, und nicht mehr<lb/>
zweifelt: <hi rendition="#fr">Eine deut&#x017F;che Einbildung ko&#x0364;nne<lb/>
&#x017F;ich, wenn nicht bald ein anderer Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang der Dinge ent&#x017F;tehe, nimmermehr Gei&#x017F;ter<lb/>
von &#x017F;o feinem Zeuge, daß ein Weltkreis unter<lb/>
ihnen er&#x017F;chu&#x0364;ttert, wenn &#x017F;ie den Fuß regen, als<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich vor&#x017F;tellen.</hi> Fragen wir die ge-<lb/>
lehrte&#x017F;ten und die unwi&#x017F;&#x017F;end&#x017F;ten Deut&#x017F;chen, ob<lb/>
ihnen die&#x017F;es in der That &#x017F;o unwahr&#x017F;cheinlich vor-<lb/>
komme, &#x017F;o werden die leztern geradezu beken-<lb/>
nen, daß es ihnen noch niemahls in den Sinn<lb/>
gekommen, die Frage bey &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu machen,<lb/>
ob die&#x017F;es wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;ey oder nicht. Die Un-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;enden pflegen nicht zu unter&#x017F;uchen, &#x017F;ie &#x017F;paren<lb/>
&#x017F;ich die&#x017F;e Mu&#x0364;he, und glauben etwas lieber. Was<lb/>
die Gelehrten anlanget, &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie, daß eine<lb/>
gantz geringe Sta&#x0364;rcke dazu vonno&#x0364;then i&#x017F;t, einen<lb/>
Planeten, oder gantzen Weltkreis zu bewegen,<lb/>
&#x017F;o fern einer nur von dem Wirbel de&#x017F;&#x017F;elben, oder<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en anziehenden Kraft frey i&#x017F;t. Archimedes<lb/>
hat nichts weiters gefodert, als ein Pla&#x0364;tzgen,<lb/>
worauf er den Fuß &#x017F;etzen ko&#x0364;nnte, &#x017F;o wollte er<lb/>
die Erden aufheben.</p><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x2012; &#x2012; <hi rendition="#aq">Des ubi &#x017F;tem, &amp; terram tibi &#x017F;ede movebo.</hi></quote>
          </cit><lb/>
          <p>Nun &#x017F;ind die Engli&#x017F;chen Gei&#x017F;ter nicht mit uns in<lb/>
den un&#x017F;rigen oder &#x017F;on&#x017F;t einen Weltkreis einge-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Wir ko&#x0364;nnen daneben mit vielen Exem-<lb/>
peln bewei&#x017F;en, daß Gelehrte und Ungelehrte in<lb/>
ihrer Einbildung dergleichen Vor&#x017F;tellungen ohne<lb/>
Mu&#x0364;he haben vertragen ko&#x0364;nnen. Als der Schutz-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">[Crit. Sam&#x0303;l. <hi rendition="#aq">VI.</hi> St.] E</fw><fw place="bottom" type="catch">gei&#x017F;t</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0065] des deutſchen Witzes. Der Vormund der Deutſchen ſagt uns in dem Verfolge mit einem abſolutern Tone, als einer der izo weis, was er ſagt, und nicht mehr zweifelt: Eine deutſche Einbildung koͤnne ſich, wenn nicht bald ein anderer Zuſammen- hang der Dinge entſtehe, nimmermehr Geiſter von ſo feinem Zeuge, daß ein Weltkreis unter ihnen erſchuͤttert, wenn ſie den Fuß regen, als wahrſcheinlich vorſtellen. Fragen wir die ge- lehrteſten und die unwiſſendſten Deutſchen, ob ihnen dieſes in der That ſo unwahrſcheinlich vor- komme, ſo werden die leztern geradezu beken- nen, daß es ihnen noch niemahls in den Sinn gekommen, die Frage bey ſich ſelbſt zu machen, ob dieſes wahrſcheinlich ſey oder nicht. Die Un- wiſſenden pflegen nicht zu unterſuchen, ſie ſparen ſich dieſe Muͤhe, und glauben etwas lieber. Was die Gelehrten anlanget, ſo wiſſen ſie, daß eine gantz geringe Staͤrcke dazu vonnoͤthen iſt, einen Planeten, oder gantzen Weltkreis zu bewegen, ſo fern einer nur von dem Wirbel deſſelben, oder deſſen anziehenden Kraft frey iſt. Archimedes hat nichts weiters gefodert, als ein Plaͤtzgen, worauf er den Fuß ſetzen koͤnnte, ſo wollte er die Erden aufheben. ‒ ‒ Des ubi ſtem, & terram tibi ſede movebo. Nun ſind die Engliſchen Geiſter nicht mit uns in den unſrigen oder ſonſt einen Weltkreis einge- ſchloſſen. Wir koͤnnen daneben mit vielen Exem- peln beweiſen, daß Gelehrte und Ungelehrte in ihrer Einbildung dergleichen Vorſtellungen ohne Muͤhe haben vertragen koͤnnen. Als der Schutz- geiſt [Crit. Sam̃l. VI. St.] E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/65
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/65>, abgerufen am 21.11.2024.