Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

zur III. Gottsch. Dichtk.
den bisherigen Glantz z unsrer Muttersprache und

freyen
ses
ist
[Beginn Spaltensatz]

1730.) in unsrer Sprache
aufzuweisen, so nach den
gehörigen Regeln ausgear-
beitet, und aus keiner frem-
den Sprache übersetzt wäre.
Die Jtaliäner übertreffen uns
durch ihren Tasso, wie die
Engelländer durch ihren
Milton, denen wir noch
nichts entgegen setzen kön-
nen,
was Stich hielte.
Denn Postels Wittekind
taugt nichts,
und alle übri-
ge Heldengedichte so wir ha-
ben, sind nur elende Ueber-
setzungen.
Pietschens Sieg
Carls des VI. in Ungarn,
wo er jemahls völlig heraus-
kömmt, nachdem sein Ver-
fasser verstorben, wird eher
einer lucanischen Pharsal,
als einer Eneis des Virgil
ähnlich sehen; weil derselbe
sich nicht nach den Regeln
eines Heldengedichts hat rich-
ten wollen. Augnst im La-
ger, davon man nur den
ersten Gesang hat, hat kei-
ne so ernsthafte Handlung
zum Jnhalte, daß daraus
ein Heldengedichte werden
kan, gesetzt, daß es dem
Poeten gefiele es zum Ende
zu bringen. Denn ein blos-

[Spaltenumbruch]

wenn man es mit den Ge-
dichten der Ausländer ver-
gleicht. Von Heldengedich-
ten haben wir nicht nur un-
ter den Alten, den Theuer-
danck und Fröschmäuseler;
sondern auch einen Habspur-
gischen Ottobert, die geraub-
te Proserpina und den sächsi-
schen Wittekind. Sind die-
se noch nicht so gut als Ho-
mer, Virgil und Voltaire;
so sind sie doch nicht schlech-
ter, als das, was Mari-
no, Ariost, Chapelain, St.
Amand und Milton in die-
sem Stücke geliefert haben.
Man muß sich nur über die
sclavische Hochachtung alles
dessen, was ausländisch ist,
erheben, die uns Deutschen
bisher mehr geschadet,
als
genutzet hat. Pietschens
Sieg Carls des VI. den wir
neulich gantz zu sehen bekom-
men haben, zeigt uns zwar,
daß der Verfasser Fähigkeit
genug gehabt, ein Helden-
gedichte zu machen; wenn
ihm die Regeln desselben be-
kannt gewesen wären: Aber
selbst verdienet es noch nicht,
in diese Classe zu kommen.
Neukirchs Telemach aber,

[Ende Spaltensatz]
z Den bisherigen Glantz unsrer Muttersprache)
Beyspiele davon können folgende seyn. Jch nehme sie aus
solchen Gedichten Hrn. Prof. Gottscheds, die er seiner
Dicht-
J 2

zur III. Gottſch. Dichtk.
den bisherigen Glantz z unſrer Mutterſprache und

freyen
ſes
iſt
[Beginn Spaltensatz]

1730.) in unſrer Sprache
aufzuweiſen, ſo nach den
gehoͤrigen Regeln ausgear-
beitet, und aus keiner frem-
den Sprache uͤberſetzt waͤre.
Die Jtaliaͤner uͤbertreffen uns
durch ihren Taſſo, wie die
Engellaͤnder durch ihren
Milton, denen wir noch
nichts entgegen ſetzen koͤn-
nen,
was Stich hielte.
Denn Poſtels Wittekind
taugt nichts,
und alle uͤbri-
ge Heldengedichte ſo wir ha-
ben, ſind nur elende Ueber-
ſetzungen.
Pietſchens Sieg
Carls des VI. in Ungarn,
wo er jemahls voͤllig heraus-
koͤmmt, nachdem ſein Ver-
faſſer verſtorben, wird eher
einer lucaniſchen Pharſal,
als einer Eneis des Virgil
aͤhnlich ſehen; weil derſelbe
ſich nicht nach den Regeln
eines Heldengedichts hat rich-
ten wollen. Augnſt im La-
ger, davon man nur den
erſten Geſang hat, hat kei-
ne ſo ernſthafte Handlung
zum Jnhalte, daß daraus
ein Heldengedichte werden
kan, geſetzt, daß es dem
Poeten gefiele es zum Ende
zu bringen. Denn ein bloſ-

[Spaltenumbruch]

wenn man es mit den Ge-
dichten der Auslaͤnder ver-
gleicht. Von Heldengedich-
ten haben wir nicht nur un-
ter den Alten, den Theuer-
danck und Froͤſchmaͤuſeler;
ſondern auch einen Habſpur-
giſchen Ottobert, die geraub-
te Proſerpina und den ſaͤchſi-
ſchen Wittekind. Sind die-
ſe noch nicht ſo gut als Ho-
mer, Virgil und Voltaire;
ſo ſind ſie doch nicht ſchlech-
ter, als das, was Mari-
no, Arioſt, Chapelain, St.
Amand und Milton in die-
ſem Stuͤcke geliefert haben.
Man muß ſich nur uͤber die
ſclaviſche Hochachtung alles
deſſen, was auslaͤndiſch iſt,
erheben, die uns Deutſchen
bisher mehr geſchadet,
als
genutzet hat. Pietſchens
Sieg Carls des VI. den wir
neulich gantz zu ſehen bekom-
men haben, zeigt uns zwar,
daß der Verfaſſer Faͤhigkeit
genug gehabt, ein Helden-
gedichte zu machen; wenn
ihm die Regeln deſſelben be-
kannt geweſen waͤren: Aber
ſelbſt verdienet es noch nicht,
in dieſe Claſſe zu kommen.
Neukirchs Telemach aber,

[Ende Spaltensatz]
z Den bisherigen Glantz unſrer Mutterſprache)
Beyſpiele davon koͤnnen folgende ſeyn. Jch nehme ſie aus
ſolchen Gedichten Hrn. Prof. Gottſcheds, die er ſeiner
Dicht-
J 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0131" n="131"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zur <hi rendition="#aq">III.</hi> Gott&#x017F;ch. Dichtk.</hi></fw><lb/>
den bisherigen Glantz <note xml:id="f58" next="#f59" place="foot" n="z"><hi rendition="#fr">Den bisherigen Glantz un&#x017F;rer Mutter&#x017F;prache)</hi><lb/>
Bey&#x017F;piele davon ko&#x0364;nnen folgende &#x017F;eyn. Jch nehme &#x017F;ie aus<lb/>
&#x017F;olchen Gedichten Hrn. Prof. Gott&#x017F;cheds, die er &#x017F;einer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Dicht-</fw></note> un&#x017F;rer Mutter&#x017F;prache und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 2</fw><fw place="bottom" type="catch">freyen</fw><lb/><note next="#f11" xml:id="f10" prev="#f09" place="foot" n="y"><floatingText xml:id="t08" prev="#t07" next="#t09"><body><cb type="start"/><div next="#l03" xml:id="l02" prev="#l01" n="1"><p>1730.) in un&#x017F;rer Sprache<lb/>
aufzuwei&#x017F;en, &#x017F;o nach den<lb/>
geho&#x0364;rigen Regeln ausgear-<lb/>
beitet, und aus keiner frem-<lb/>
den Sprache u&#x0364;ber&#x017F;etzt wa&#x0364;re.<lb/>
Die Jtalia&#x0364;ner u&#x0364;bertreffen uns<lb/>
durch ihren Ta&#x017F;&#x017F;o, <hi rendition="#fr">wie die<lb/>
Engella&#x0364;nder durch ihren<lb/>
Milton, denen wir noch<lb/>
nichts entgegen &#x017F;etzen ko&#x0364;n-<lb/>
nen,</hi> was Stich hielte.<lb/>
Denn <hi rendition="#fr">Po&#x017F;tels Wittekind<lb/>
taugt nichts,</hi> und alle u&#x0364;bri-<lb/>
ge Heldengedichte &#x017F;o wir ha-<lb/>
ben, &#x017F;ind nur <hi rendition="#fr">elende Ueber-<lb/>
&#x017F;etzungen.</hi> Piet&#x017F;chens Sieg<lb/>
Carls des <hi rendition="#aq">VI.</hi> in Ungarn,<lb/>
wo er jemahls vo&#x0364;llig heraus-<lb/>
ko&#x0364;mmt, nachdem &#x017F;ein Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;torben, wird eher<lb/>
einer lucani&#x017F;chen Phar&#x017F;al,<lb/>
als einer Eneis des Virgil<lb/>
a&#x0364;hnlich &#x017F;ehen; weil der&#x017F;elbe<lb/>
&#x017F;ich nicht nach den Regeln<lb/>
eines Heldengedichts hat rich-<lb/>
ten wollen. Augn&#x017F;t im La-<lb/>
ger, davon man nur den<lb/>
er&#x017F;ten Ge&#x017F;ang hat, hat kei-<lb/>
ne &#x017F;o ern&#x017F;thafte Handlung<lb/>
zum Jnhalte, daß daraus<lb/>
ein Heldengedichte werden<lb/>
kan, ge&#x017F;etzt, daß es dem<lb/>
Poeten gefiele es zum Ende<lb/>
zu bringen. Denn ein blo&#x017F;-</p><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;es</fw></div><lb/><cb/><div next="#r03" xml:id="r02" prev="#r01" n="1"><p>wenn man es mit den Ge-<lb/>
dichten der Ausla&#x0364;nder ver-<lb/>
gleicht. Von Heldengedich-<lb/>
ten haben wir nicht nur un-<lb/>
ter den Alten, den Theuer-<lb/>
danck und Fro&#x0364;&#x017F;chma&#x0364;u&#x017F;eler;<lb/>
&#x017F;ondern auch einen Hab&#x017F;pur-<lb/>
gi&#x017F;chen Ottobert, die geraub-<lb/>
te Pro&#x017F;erpina und den &#x017F;a&#x0364;ch&#x017F;i-<lb/>
&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Wittekind.</hi> Sind die-<lb/>
&#x017F;e noch nicht &#x017F;o gut als Ho-<lb/>
mer, Virgil und Voltaire;<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie doch nicht &#x017F;chlech-<lb/>
ter, als das, was Mari-<lb/>
no, Ario&#x017F;t, Chapelain, St.<lb/>
Amand und <hi rendition="#fr">Milton</hi> in die-<lb/>
&#x017F;em Stu&#x0364;cke geliefert haben.<lb/>
Man muß &#x017F;ich nur u&#x0364;ber die<lb/>
&#x017F;clavi&#x017F;che Hochachtung alles<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, was ausla&#x0364;ndi&#x017F;ch i&#x017F;t,<lb/>
erheben, <hi rendition="#fr">die uns Deut&#x017F;chen<lb/>
bisher mehr ge&#x017F;chadet,</hi> als<lb/>
genutzet hat. Piet&#x017F;chens<lb/>
Sieg Carls des <hi rendition="#aq">VI.</hi> den wir<lb/>
neulich gantz zu &#x017F;ehen bekom-<lb/>
men haben, zeigt uns zwar,<lb/>
daß der Verfa&#x017F;&#x017F;er Fa&#x0364;higkeit<lb/>
genug gehabt, ein Helden-<lb/>
gedichte zu machen; wenn<lb/>
ihm die Regeln de&#x017F;&#x017F;elben be-<lb/>
kannt gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren: Aber<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t verdienet es noch nicht,<lb/>
in die&#x017F;e Cla&#x017F;&#x017F;e zu kommen.<lb/>
Neukirchs Telemach aber,</p><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">i&#x017F;t</fw></div><cb type="end"/></body></floatingText></note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0131] zur III. Gottſch. Dichtk. den bisherigen Glantz z unſrer Mutterſprache und freyen y z Den bisherigen Glantz unſrer Mutterſprache) Beyſpiele davon koͤnnen folgende ſeyn. Jch nehme ſie aus ſolchen Gedichten Hrn. Prof. Gottſcheds, die er ſeiner Dicht- y 1730.) in unſrer Sprache aufzuweiſen, ſo nach den gehoͤrigen Regeln ausgear- beitet, und aus keiner frem- den Sprache uͤberſetzt waͤre. Die Jtaliaͤner uͤbertreffen uns durch ihren Taſſo, wie die Engellaͤnder durch ihren Milton, denen wir noch nichts entgegen ſetzen koͤn- nen, was Stich hielte. Denn Poſtels Wittekind taugt nichts, und alle uͤbri- ge Heldengedichte ſo wir ha- ben, ſind nur elende Ueber- ſetzungen. Pietſchens Sieg Carls des VI. in Ungarn, wo er jemahls voͤllig heraus- koͤmmt, nachdem ſein Ver- faſſer verſtorben, wird eher einer lucaniſchen Pharſal, als einer Eneis des Virgil aͤhnlich ſehen; weil derſelbe ſich nicht nach den Regeln eines Heldengedichts hat rich- ten wollen. Augnſt im La- ger, davon man nur den erſten Geſang hat, hat kei- ne ſo ernſthafte Handlung zum Jnhalte, daß daraus ein Heldengedichte werden kan, geſetzt, daß es dem Poeten gefiele es zum Ende zu bringen. Denn ein bloſ- ſes wenn man es mit den Ge- dichten der Auslaͤnder ver- gleicht. Von Heldengedich- ten haben wir nicht nur un- ter den Alten, den Theuer- danck und Froͤſchmaͤuſeler; ſondern auch einen Habſpur- giſchen Ottobert, die geraub- te Proſerpina und den ſaͤchſi- ſchen Wittekind. Sind die- ſe noch nicht ſo gut als Ho- mer, Virgil und Voltaire; ſo ſind ſie doch nicht ſchlech- ter, als das, was Mari- no, Arioſt, Chapelain, St. Amand und Milton in die- ſem Stuͤcke geliefert haben. Man muß ſich nur uͤber die ſclaviſche Hochachtung alles deſſen, was auslaͤndiſch iſt, erheben, die uns Deutſchen bisher mehr geſchadet, als genutzet hat. Pietſchens Sieg Carls des VI. den wir neulich gantz zu ſehen bekom- men haben, zeigt uns zwar, daß der Verfaſſer Faͤhigkeit genug gehabt, ein Helden- gedichte zu machen; wenn ihm die Regeln deſſelben be- kannt geweſen waͤren: Aber ſelbſt verdienet es noch nicht, in dieſe Claſſe zu kommen. Neukirchs Telemach aber, iſt J 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/131
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/131>, abgerufen am 21.11.2024.