[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.von den Dichtungen. ben nach ihren verschiedenen Graden aufs genaue-ste anzeigen soll: Dessen Erfindung u. Zurüstung wird im XXXIV. St. weitläuftig beschrieben: Und man darf sich nur ein gewöhnliches Thermo- meter, dessen Röhre mit einem himmelblauen Saft angefüllet ist, in seinem Sinne vorstellen, so wird man mich der Mühe einer weitläuftigen Beschrei- bung gerne überheben. Der Unterschied lieget in der seltsamen Würckung, massen der himmelblaue Saft in diesem Thermometer nach dem Grade steiget oder fällt, nach dem die Scribenten oder auch die Redenden in ihrem Vortrage die Stär- ke eines gesunden Verstandes mehr oder weniger zeigen und beweisen. So stieg in dem Versuch, welchen der Vetter des Patrioten angestellt, der blaue Saft bey Lesung Virgils um einige Grade empor; hergegen sanck er ziemlich tief in der Röh- re, so bald derselbe anstatt Virgils eine alte Logick zur Hand nahm. Eine frostige und recht aben- theurliche Dichtung, die niemand zweifeln läßt, daß nicht der Erfinder derselben, aus Mangel ei- nes gesunden Witzes, einer durch Kunst zubereite- ten Maschine bedürfte, den guten und schlimmen Geschmack zu unterscheiden! Jch habe nicht ein- mahl nöthig zu erinnern, daß diese abentheurliche Maschine in Absicht auf ihre Würckung gegen alle Wahrscheinlichkeit anläuft. Doch ich will aus Freygebigkeit zugeben, daß die Verfertigung ei- ner solchen nicht allerdings unmöglich wäre; was würde eine solche zur Verbesserung des Geschmaks vor Dienste thun? Wo ist immer ein Mensch so gar dumm und ohne Geschmack, der nicht eben so F 3
von den Dichtungen. ben nach ihren verſchiedenen Graden aufs genaue-ſte anzeigen ſoll: Deſſen Erfindung u. Zuruͤſtung wird im XXXIV. St. weitlaͤuftig beſchrieben: Und man darf ſich nur ein gewoͤhnliches Thermo- meter, deſſen Roͤhre mit einem him̃elblauen Saft angefuͤllet iſt, in ſeinem Sinne vorſtellen, ſo wird man mich der Muͤhe einer weitlaͤuftigen Beſchrei- bung gerne uͤberheben. Der Unterſchied lieget in der ſeltſamen Wuͤrckung, maſſen der himmelblaue Saft in dieſem Thermometer nach dem Grade ſteiget oder faͤllt, nach dem die Scribenten oder auch die Redenden in ihrem Vortrage die Staͤr- ke eines geſunden Verſtandes mehr oder weniger zeigen und beweiſen. So ſtieg in dem Verſuch, welchen der Vetter des Patrioten angeſtellt, der blaue Saft bey Leſung Virgils um einige Grade empor; hergegen ſanck er ziemlich tief in der Roͤh- re, ſo bald derſelbe anſtatt Virgils eine alte Logick zur Hand nahm. Eine froſtige und recht aben- theurliche Dichtung, die niemand zweifeln laͤßt, daß nicht der Erfinder derſelben, aus Mangel ei- nes geſunden Witzes, einer durch Kunſt zubereite- ten Maſchine beduͤrfte, den guten und ſchlimmen Geſchmack zu unterſcheiden! Jch habe nicht ein- mahl noͤthig zu erinnern, daß dieſe abentheurliche Maſchine in Abſicht auf ihre Wuͤrckung gegen alle Wahrſcheinlichkeit anlaͤuft. Doch ich will aus Freygebigkeit zugeben, daß die Verfertigung ei- ner ſolchen nicht allerdings unmoͤglich waͤre; was wuͤrde eine ſolche zur Verbeſſerung des Geſchmaks vor Dienſte thun? Wo iſt immer ein Menſch ſo gar dumm und ohne Geſchmack, der nicht eben ſo F 3
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von den Dichtungen.
ben nach ihren verſchiedenen Graden aufs genaue-
ſte anzeigen ſoll: Deſſen Erfindung u. Zuruͤſtung
wird im XXXIV. St. weitlaͤuftig beſchrieben:
Und man darf ſich nur ein gewoͤhnliches Thermo-
meter, deſſen Roͤhre mit einem him̃elblauen Saft
angefuͤllet iſt, in ſeinem Sinne vorſtellen, ſo wird
man mich der Muͤhe einer weitlaͤuftigen Beſchrei-
bung gerne uͤberheben. Der Unterſchied lieget in
der ſeltſamen Wuͤrckung, maſſen der himmelblaue
Saft in dieſem Thermometer nach dem Grade
ſteiget oder faͤllt, nach dem die Scribenten oder
auch die Redenden in ihrem Vortrage die Staͤr-
ke eines geſunden Verſtandes mehr oder weniger
zeigen und beweiſen. So ſtieg in dem Verſuch,
welchen der Vetter des Patrioten angeſtellt, der
blaue Saft bey Leſung Virgils um einige Grade
empor; hergegen ſanck er ziemlich tief in der Roͤh-
re, ſo bald derſelbe anſtatt Virgils eine alte Logick
zur Hand nahm. Eine froſtige und recht aben-
theurliche Dichtung, die niemand zweifeln laͤßt,
daß nicht der Erfinder derſelben, aus Mangel ei-
nes geſunden Witzes, einer durch Kunſt zubereite-
ten Maſchine beduͤrfte, den guten und ſchlimmen
Geſchmack zu unterſcheiden! Jch habe nicht ein-
mahl noͤthig zu erinnern, daß dieſe abentheurliche
Maſchine in Abſicht auf ihre Wuͤrckung gegen alle
Wahrſcheinlichkeit anlaͤuft. Doch ich will aus
Freygebigkeit zugeben, daß die Verfertigung ei-
ner ſolchen nicht allerdings unmoͤglich waͤre; was
wuͤrde eine ſolche zur Verbeſſerung des Geſchmaks
vor Dienſte thun? Wo iſt immer ein Menſch ſo
gar dumm und ohne Geſchmack, der nicht eben
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