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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von den deutschen Poeten.
bestraffet, (K) so rührt dieses daher, daß die
Leser eben so wenig Scharfsinnigkeit haben, als
die Poeten, und, giebt man ihnen nur ein Blat
voll Reimen mit abentheurlichen und platten Aus-
drücken zusammengekuppelt, daß sie darüber
lachen müssen, sich im geringsten nichts um das
bekümmern, was wir geschickte Formeln und
Redensarten, auserlesene Ausdrücke, feine
Wahl, u. s. w. heissen Jch will mithin nicht
leugnen, daß man in euren Poeten nicht hier

und
Keine Laster, keine Flecken,
Sollen mir das Liljenkleid
Unberührter Reinigkeit
Durch der Liebe Schmutz bedecken,
Der auch Schnee zu Dinte macht.
(K) Der Mangel der critischen Freyheit und der Critick
in einem Lande ist ein gewisses und untrügliches Kennzei-
chen, daß die Seribenten desselben sich nach dem herrschen-
den Geschmacke richten; und aus einer blöden Gefällig-
keit allen ihren Ruhm in dem Beyfalle des grossen Haufens
suchen, dessen Geschmack gantz verderbt ist. So lange
ein Krancker seine Kranckheit nicht erkennt, so ist keine Hoff-
nung zu seiner Genesung: Wie sollte aber der zur Erkennt-
niß seines verderbten Zustandes können gebracht werden,
der alle Erinnerungen nicht nur in den Wind schlägt, son-
dern noch darüber zörnet? Jch finde in dem XII. St. der
Critischen Beyträge auf der 614ten Seite ein offenhertzi-
ges Bekenntniß von der Nothwendigkeit einer gesunden Cri-
tick: "Es ist mit allen Veränderungen des Geschmacks
"so gegangen, daß die critischen Kenner zuerst den An-
"fang dazu gemacht haben. Man critisiere also alle Ar-
"ten der Gedichte so scharf, als man kan. Wenn es nur
"nach guten Regeln geschieht; so wird man immer vielen
"die
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von den deutſchen Poeten.
beſtraffet, (K) ſo ruͤhrt dieſes daher, daß die
Leſer eben ſo wenig Scharfſinnigkeit haben, als
die Poeten, und, giebt man ihnen nur ein Blat
voll Reimen mit abentheurlichen und platten Aus-
druͤcken zuſammengekuppelt, daß ſie daruͤber
lachen muͤſſen, ſich im geringſten nichts um das
bekuͤmmern, was wir geſchickte Formeln und
Redensarten, auserleſene Ausdruͤcke, feine
Wahl, u. ſ. w. heiſſen Jch will mithin nicht
leugnen, daß man in euren Poeten nicht hier

und
Keine Laſter, keine Flecken,
Sollen mir das Liljenkleid
Unberuͤhrter Reinigkeit
Durch der Liebe Schmutz bedecken,
Der auch Schnee zu Dinte macht.
(K) Der Mangel der critiſchen Freyheit und der Critick
in einem Lande iſt ein gewiſſes und untruͤgliches Kennzei-
chen, daß die Seribenten deſſelben ſich nach dem herrſchen-
den Geſchmacke richten; und aus einer bloͤden Gefaͤllig-
keit allen ihren Ruhm in dem Beyfalle des groſſen Haufens
ſuchen, deſſen Geſchmack gantz verderbt iſt. So lange
ein Krancker ſeine Kranckheit nicht erkennt, ſo iſt keine Hoff-
nung zu ſeiner Geneſung: Wie ſollte aber der zur Erkennt-
niß ſeines verderbten Zuſtandes koͤnnen gebracht werden,
der alle Erinnerungen nicht nur in den Wind ſchlaͤgt, ſon-
dern noch daruͤber zoͤrnet? Jch finde in dem XII. St. der
Critiſchen Beytraͤge auf der 614ten Seite ein offenhertzi-
ges Bekenntniß von der Nothwendigkeit einer geſunden Cri-
tick: „Es iſt mit allen Veraͤnderungen des Geſchmacks
„ſo gegangen, daß die critiſchen Kenner zuerſt den An-
„fang dazu gemacht haben. Man critiſiere alſo alle Ar-
„ten der Gedichte ſo ſcharf, als man kan. Wenn es nur
„nach guten Regeln geſchieht; ſo wird man immer vielen
„die
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[55/0055] von den deutſchen Poeten. beſtraffet, (K) ſo ruͤhrt dieſes daher, daß die Leſer eben ſo wenig Scharfſinnigkeit haben, als die Poeten, und, giebt man ihnen nur ein Blat voll Reimen mit abentheurlichen und platten Aus- druͤcken zuſammengekuppelt, daß ſie daruͤber lachen muͤſſen, ſich im geringſten nichts um das bekuͤmmern, was wir geſchickte Formeln und Redensarten, auserleſene Ausdruͤcke, feine Wahl, u. ſ. w. heiſſen Jch will mithin nicht leugnen, daß man in euren Poeten nicht hier und (K) Der Mangel der critiſchen Freyheit und der Critick in einem Lande iſt ein gewiſſes und untruͤgliches Kennzei- chen, daß die Seribenten deſſelben ſich nach dem herrſchen- den Geſchmacke richten; und aus einer bloͤden Gefaͤllig- keit allen ihren Ruhm in dem Beyfalle des groſſen Haufens ſuchen, deſſen Geſchmack gantz verderbt iſt. So lange ein Krancker ſeine Kranckheit nicht erkennt, ſo iſt keine Hoff- nung zu ſeiner Geneſung: Wie ſollte aber der zur Erkennt- niß ſeines verderbten Zuſtandes koͤnnen gebracht werden, der alle Erinnerungen nicht nur in den Wind ſchlaͤgt, ſon- dern noch daruͤber zoͤrnet? Jch finde in dem XII. St. der Critiſchen Beytraͤge auf der 614ten Seite ein offenhertzi- ges Bekenntniß von der Nothwendigkeit einer geſunden Cri- tick: „Es iſt mit allen Veraͤnderungen des Geſchmacks „ſo gegangen, daß die critiſchen Kenner zuerſt den An- „fang dazu gemacht haben. Man critiſiere alſo alle Ar- „ten der Gedichte ſo ſcharf, als man kan. Wenn es nur „nach guten Regeln geſchieht; ſo wird man immer vielen „die Keine Laſter, keine Flecken, Sollen mir das Liljenkleid Unberuͤhrter Reinigkeit Durch der Liebe Schmutz bedecken, Der auch Schnee zu Dinte macht. D 4

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/55>, abgerufen am 27.11.2024.