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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742.

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Echo
seine Fteyheit zu denken, was er will, beruffet.
Meinethalben kan er denken, die Schweitzer woh-
nen hinter den mit ewigem Schnee bedeckten Al-
pen in den Spälten und Klüften der Felsen; sie
sehen den Himmel und das Licht des Tages nie-
mahls als nach einer unterirrdischen Reise von et-
lichen Stunden, und essen nichts als Haberstroh
und Pumpernikel. Diese willkürliche Freyheit
wird ihm niemand streitig machen: Aber wenn er
dergleichen possierliche Träume in offentlichem Dru-
ke für baare Wahrheiten ausstreuet und zu Markt
trägt, so muß ers sich gefallen lassen, daß unsre
gröbsten Schweitzer Bauren, die niemahls über
einen Steinwurff von dem väterlichen Felsen
sich verlaufen haben,
wenn sie in ihrer Höle
bey dem düstern Licht einer brennenden Lampe die
Belustigungen des deutschen Witzes lesen, sich
über seine dumme Unwissenheit recht hertzlich lustig
machen.

Nachdem ich nun unwidersprechlich erwiesen
habe, daß daß Ergäntzungsstücke Hrn. D. Tril-
ler
zum Verfasser habe, so muß ich noch eine
wichtige Probe von dem critischen Geschmacke die-
ses Leipzigischen Sprachrichters darlegen. Er sagt
auf der 172sten Seite mit einer gravitätischen
Dorfschultzenmine:

"Jch bin nebst andern ehrli-
"chen Deutschen der Meinung, daß das Ergän-
"zungsstücke
gewiß einen Schweitzer zum Va-
"ter habe. Denn es ist meines Erachtens so
"schweitzerisch, daß es nicht schweitzerischer seyn
"könnte. Und da es uns einmahl den Nahmen
"seines" Verfassers nicht hat sagen wollen: So
"wür-

Echo
ſeine Fteyheit zu denken, was er will, beruffet.
Meinethalben kan er denken, die Schweitzer woh-
nen hinter den mit ewigem Schnee bedeckten Al-
pen in den Spaͤlten und Kluͤften der Felſen; ſie
ſehen den Himmel und das Licht des Tages nie-
mahls als nach einer unterirrdiſchen Reiſe von et-
lichen Stunden, und eſſen nichts als Haberſtroh
und Pumpernikel. Dieſe willkuͤrliche Freyheit
wird ihm niemand ſtreitig machen: Aber wenn er
dergleichen poſſierliche Traͤume in offentlichem Dru-
ke fuͤr baare Wahrheiten ausſtreuet und zu Markt
traͤgt, ſo muß ers ſich gefallen laſſen, daß unſre
groͤbſten Schweitzer Bauren, die niemahls uͤber
einen Steinwurff von dem vaͤterlichen Felſen
ſich verlaufen haben,
wenn ſie in ihrer Hoͤle
bey dem duͤſtern Licht einer brennenden Lampe die
Beluſtigungen des deutſchen Witzes leſen, ſich
uͤber ſeine dumme Unwiſſenheit recht hertzlich luſtig
machen.

Nachdem ich nun unwiderſprechlich erwieſen
habe, daß daß Ergaͤntzungsſtuͤcke Hrn. D. Tril-
ler
zum Verfaſſer habe, ſo muß ich noch eine
wichtige Probe von dem critiſchen Geſchmacke die-
ſes Leipzigiſchen Sprachrichters darlegen. Er ſagt
auf der 172ſten Seite mit einer gravitaͤtiſchen
Dorfſchultzenmine:

„Jch bin nebſt andern ehrli-
„chen Deutſchen der Meinung, daß das Ergaͤn-
„zungsſtuͤcke
gewiß einen Schweitzer zum Va-
„ter habe. Denn es iſt meines Erachtens ſo
„ſchweitzeriſch, daß es nicht ſchweitzeriſcher ſeyn
„koͤnnte. Und da es uns einmahl den Nahmen
„ſeines„ Verfaſſers nicht hat ſagen wollen: So
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[68/0070] Echo ſeine Fteyheit zu denken, was er will, beruffet. Meinethalben kan er denken, die Schweitzer woh- nen hinter den mit ewigem Schnee bedeckten Al- pen in den Spaͤlten und Kluͤften der Felſen; ſie ſehen den Himmel und das Licht des Tages nie- mahls als nach einer unterirrdiſchen Reiſe von et- lichen Stunden, und eſſen nichts als Haberſtroh und Pumpernikel. Dieſe willkuͤrliche Freyheit wird ihm niemand ſtreitig machen: Aber wenn er dergleichen poſſierliche Traͤume in offentlichem Dru- ke fuͤr baare Wahrheiten ausſtreuet und zu Markt traͤgt, ſo muß ers ſich gefallen laſſen, daß unſre groͤbſten Schweitzer Bauren, die niemahls uͤber einen Steinwurff von dem vaͤterlichen Felſen ſich verlaufen haben, wenn ſie in ihrer Hoͤle bey dem duͤſtern Licht einer brennenden Lampe die Beluſtigungen des deutſchen Witzes leſen, ſich uͤber ſeine dumme Unwiſſenheit recht hertzlich luſtig machen. Nachdem ich nun unwiderſprechlich erwieſen habe, daß daß Ergaͤntzungsſtuͤcke Hrn. D. Tril- ler zum Verfaſſer habe, ſo muß ich noch eine wichtige Probe von dem critiſchen Geſchmacke die- ſes Leipzigiſchen Sprachrichters darlegen. Er ſagt auf der 172ſten Seite mit einer gravitaͤtiſchen Dorfſchultzenmine: „Jch bin nebſt andern ehrli- „chen Deutſchen der Meinung, daß das Ergaͤn- „zungsſtuͤcke gewiß einen Schweitzer zum Va- „ter habe. Denn es iſt meines Erachtens ſo „ſchweitzeriſch, daß es nicht ſchweitzeriſcher ſeyn „koͤnnte. Und da es uns einmahl den Nahmen „ſeines„ Verfaſſers nicht hat ſagen wollen: So „wuͤr-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742/70>, abgerufen am 02.05.2024.