[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.Das Complot Wir kämen in Gefahr, daß dergleichen Prüffungdenjenigen, der sie anstellete, selber mit Scrupeln an- füllete, und vielleicht gar auf die Seite unsrer Geg- ner lenkete. Gehet lieber mit Stillschweigen vor- bey, daß die Schriften unsrer Widersacher syste- matisch und dogmatisch seyn; gebet vielmehr zn verstehen, daß sie in Kleinigkeiten bestehen, daß es Grübeleyen sind, dictatorische Aussprüche, Ge- spötte über abgesonderte Stellen aus Poeten, de- nen sie gern eins haben versezen wollen. Hütet euch wahrhafte und ausführliche Auszüge daraus zu verfassen. Ziehet nichts davon mit ihren eigenen Worten, noch in seinem Zusammenhang an. Es ist euch eigentlich nicht darum zu thun, daß ihr ei- ne gründliche Wissenschaft bekommet, vielweniger dienet es euch, daß ihr andern dazu behülflich seyd, ob die Kunstbücher der Schweizer in dem Grund und Erweise ihrer critischen Lehrsätze, nach wel- chen sie unsre Schriften verurtheilen, recht haben, oder nicht, ob sie irren, oder wir, ob sie noch et- was gutes haben, oder ob alles darinnen verwerf- lich sey. Das alles hilft uns nicht, und giebt uns keinen Trost. Wir setzen kein Mißtrauen in un- sern empfindenden Geschmak, und unterwerfen ihn nicht erst der Untersuchung; und dieser sagt uns ohne Untersuchung, daß der schweizerische Ge- schmak falsch, irrig und verdammlich ist, weil er dem unsrigen zuwider läuft. Vermeidet darum alle Prüffung, so viel als ihr könnet. Entfernet euch von der Hauptfrage, und springet auf hun- dert Nebensachen. Widerstehet der hochmüthigen Begierde die angefochtenen Stellen zu retten, wel- ches
Das Complot Wir kaͤmen in Gefahr, daß dergleichen Pruͤffungdenjenigen, der ſie anſtellete, ſelber mit Scrupeln an- fuͤllete, und vielleicht gar auf die Seite unſrer Geg- ner lenkete. Gehet lieber mit Stillſchweigen vor- bey, daß die Schriften unſrer Widerſacher ſyſte- matiſch und dogmatiſch ſeyn; gebet vielmehr zn verſtehen, daß ſie in Kleinigkeiten beſtehen, daß es Gruͤbeleyen ſind, dictatoriſche Ausſpruͤche, Ge- ſpoͤtte uͤber abgeſonderte Stellen aus Poeten, de- nen ſie gern eins haben verſezen wollen. Huͤtet euch wahrhafte und ausfuͤhrliche Auszuͤge daraus zu verfaſſen. Ziehet nichts davon mit ihren eigenen Worten, noch in ſeinem Zuſammenhang an. Es iſt euch eigentlich nicht darum zu thun, daß ihr ei- ne gruͤndliche Wiſſenſchaft bekommet, vielweniger dienet es euch, daß ihr andern dazu behuͤlflich ſeyd, ob die Kunſtbuͤcher der Schweizer in dem Grund und Erweiſe ihrer critiſchen Lehrſaͤtze, nach wel- chen ſie unſre Schriften verurtheilen, recht haben, oder nicht, ob ſie irren, oder wir, ob ſie noch et- was gutes haben, oder ob alles darinnen verwerf- lich ſey. Das alles hilft uns nicht, und giebt uns keinen Troſt. Wir ſetzen kein Mißtrauen in un- ſern empfindenden Geſchmak, und unterwerfen ihn nicht erſt der Unterſuchung; und dieſer ſagt uns ohne Unterſuchung, daß der ſchweizeriſche Ge- ſchmak falſch, irrig und verdammlich iſt, weil er dem unſrigen zuwider laͤuft. Vermeidet darum alle Pruͤffung, ſo viel als ihr koͤnnet. Entfernet euch von der Hauptfrage, und ſpringet auf hun- dert Nebenſachen. Widerſtehet der hochmuͤthigen Begierde die angefochtenen Stellen zu retten, wel- ches
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Das Complot
Wir kaͤmen in Gefahr, daß dergleichen Pruͤffung
denjenigen, der ſie anſtellete, ſelber mit Scrupeln an-
fuͤllete, und vielleicht gar auf die Seite unſrer Geg-
ner lenkete. Gehet lieber mit Stillſchweigen vor-
bey, daß die Schriften unſrer Widerſacher ſyſte-
matiſch und dogmatiſch ſeyn; gebet vielmehr zn
verſtehen, daß ſie in Kleinigkeiten beſtehen, daß es
Gruͤbeleyen ſind, dictatoriſche Ausſpruͤche, Ge-
ſpoͤtte uͤber abgeſonderte Stellen aus Poeten, de-
nen ſie gern eins haben verſezen wollen. Huͤtet
euch wahrhafte und ausfuͤhrliche Auszuͤge daraus
zu verfaſſen. Ziehet nichts davon mit ihren eigenen
Worten, noch in ſeinem Zuſammenhang an. Es
iſt euch eigentlich nicht darum zu thun, daß ihr ei-
ne gruͤndliche Wiſſenſchaft bekommet, vielweniger
dienet es euch, daß ihr andern dazu behuͤlflich ſeyd,
ob die Kunſtbuͤcher der Schweizer in dem Grund
und Erweiſe ihrer critiſchen Lehrſaͤtze, nach wel-
chen ſie unſre Schriften verurtheilen, recht haben,
oder nicht, ob ſie irren, oder wir, ob ſie noch et-
was gutes haben, oder ob alles darinnen verwerf-
lich ſey. Das alles hilft uns nicht, und giebt uns
keinen Troſt. Wir ſetzen kein Mißtrauen in un-
ſern empfindenden Geſchmak, und unterwerfen
ihn nicht erſt der Unterſuchung; und dieſer ſagt
uns ohne Unterſuchung, daß der ſchweizeriſche Ge-
ſchmak falſch, irrig und verdammlich iſt, weil er
dem unſrigen zuwider laͤuft. Vermeidet darum
alle Pruͤffung, ſo viel als ihr koͤnnet. Entfernet
euch von der Hauptfrage, und ſpringet auf hun-
dert Nebenſachen. Widerſtehet der hochmuͤthigen
Begierde die angefochtenen Stellen zu retten, wel-
ches
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