[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.Das Complot wie ich denn hoffen darf, so werden sich solchenoch wol ausfinden lassen. Uberdies mögte ich wissen, ob diese spitzfündigen Grübler in Homers, Virgils, Miltons, Opizens Kopfe gesessen seyn, als sie ihre Gedichte geschrieben haben? Haben sie die Seelen dieser Dichter gesehen, wie sie ihre Ge- danken, Vorstellungen, Einfälle verarbeitet ha- ben? Man sollte es schier glauben; mit solcher Gewißheit wissen sie uns von dem Ursprung, der Geburt, dem Anwachse eines jeden absonderli- chen Gedankens in der Jlias, der Odyssea, und der Eneis Nachrichten zu geben. Es scheint daß diese Gedichte von ihnen vor ein mechanisches Uhrwerk angesehen werden, wo die Gedanken dem Geist nicht kraft seiner Natur ohne seinen Beytrag eingefallen, sondern wie die Räder und Springfedern geschmiedet, und in einander ge- stossen worden. Jch traue die Allwissenheit nie- manden zu/ daß er es werde wissen können, wie der Poet auf diesen oder jenen Gedanken kommen können/ oder müssen/ da er es oft selbst nicht weis. (I i) Jch muß derer lachen/ die glauben, daß Virgil alle Worte mit Fleiß und grossem Bedacht hingeschrieben/ und in einem jeden eine besondere Schönheit gesucht habe. (K k) Jhr sehet, daß ich Stofs genug vor mir habe, Scrupel einzustreuen, und Zwei- fel und Mißtrauen zu erweken, welches schon genug ist, die Lehrsäze der Schweizerischen Kunst- hof- (I i) Sehet meine Sächsische Correspondenz vom 30sten Octob. 1739. (K k) Sehet oben die Note F f bl. 195.
Das Complot wie ich denn hoffen darf, ſo werden ſich ſolchenoch wol ausfinden laſſen. Uberdies moͤgte ich wiſſen, ob dieſe ſpitzfuͤndigen Gruͤbler in Homers, Virgils, Miltons, Opizens Kopfe geſeſſen ſeyn, als ſie ihre Gedichte geſchrieben haben? Haben ſie die Seelen dieſer Dichter geſehen, wie ſie ihre Ge- danken, Vorſtellungen, Einfaͤlle verarbeitet ha- ben? Man ſollte es ſchier glauben; mit ſolcher Gewißheit wiſſen ſie uns von dem Urſprung, der Geburt, dem Anwachſe eines jeden abſonderli- chen Gedankens in der Jlias, der Odyſſea, und der Eneis Nachrichten zu geben. Es ſcheint daß dieſe Gedichte von ihnen vor ein mechaniſches Uhrwerk angeſehen werden, wo die Gedanken dem Geiſt nicht kraft ſeiner Natur ohne ſeinen Beytrag eingefallen, ſondern wie die Raͤder und Springfedern geſchmiedet, und in einander ge- ſtoſſen worden. Jch traue die Allwiſſenheit nie- manden zu/ daß er es werde wiſſen koͤnnen, wie der Poet auf dieſen oder jenen Gedanken kommen koͤnnen/ oder muͤſſen/ da er es oft ſelbſt nicht weis. (I i) Jch muß derer lachen/ die glauben, daß Virgil alle Worte mit Fleiß und groſſem Bedacht hingeſchrieben/ und in einem jeden eine beſondere Schoͤnheit geſucht habe. (K k) Jhr ſehet, daß ich Stofs genug vor mir habe, Scrupel einzuſtreuen, und Zwei- fel und Mißtrauen zu erweken, welches ſchon genug iſt, die Lehrſaͤze der Schweizeriſchen Kunſt- hof- (I i) Sehet meine Saͤchſiſche Correſpondenz vom 30ſten Octob. 1739. (K k) Sehet oben die Note F f bl. 195.
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Das Complot
wie ich denn hoffen darf, ſo werden ſich ſolche
noch wol ausfinden laſſen. Uberdies moͤgte ich
wiſſen, ob dieſe ſpitzfuͤndigen Gruͤbler in Homers,
Virgils, Miltons, Opizens Kopfe geſeſſen ſeyn,
als ſie ihre Gedichte geſchrieben haben? Haben ſie
die Seelen dieſer Dichter geſehen, wie ſie ihre Ge-
danken, Vorſtellungen, Einfaͤlle verarbeitet ha-
ben? Man ſollte es ſchier glauben; mit ſolcher
Gewißheit wiſſen ſie uns von dem Urſprung, der
Geburt, dem Anwachſe eines jeden abſonderli-
chen Gedankens in der Jlias, der Odyſſea, und
der Eneis Nachrichten zu geben. Es ſcheint daß
dieſe Gedichte von ihnen vor ein mechaniſches
Uhrwerk angeſehen werden, wo die Gedanken
dem Geiſt nicht kraft ſeiner Natur ohne ſeinen
Beytrag eingefallen, ſondern wie die Raͤder und
Springfedern geſchmiedet, und in einander ge-
ſtoſſen worden. Jch traue die Allwiſſenheit nie-
manden zu/ daß er es werde wiſſen koͤnnen,
wie der Poet auf dieſen oder jenen Gedanken
kommen koͤnnen/ oder muͤſſen/ da er es oft ſelbſt
nicht weis. (I i) Jch muß derer lachen/ die
glauben, daß Virgil alle Worte mit Fleiß
und groſſem Bedacht hingeſchrieben/ und in
einem jeden eine beſondere Schoͤnheit geſucht
habe. (K k) Jhr ſehet, daß ich Stofs genug
vor mir habe, Scrupel einzuſtreuen, und Zwei-
fel und Mißtrauen zu erweken, welches ſchon
genug iſt, die Lehrſaͤze der Schweizeriſchen Kunſt-
hof-
(I i) Sehet meine Saͤchſiſche Correſpondenz vom 30ſten
Octob. 1739.
(K k) Sehet oben die Note F f bl. 195.
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