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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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der herrschenden Poeten.
Beschaffenheit der verblümten Redensarten,
wenn sie gut seyn sollen
(R), entworffen, aber
ein ungestümer Querwind hatte sie noch vor ih-
rer Geburt in den Limbo der Eitelkeit getragen,
wo sie mit Schottgeds Entdekungen der Kunst-
streiche Virgils in der Aeneis
(S) im Wirbel
herumflatert, bis ein deutscher Astolfo dahin flie-
get, sie mit Kabuchs Leid um seinen Muffel da-
selbst aufzufangen. Waschbe ward er in der poe-
tischen Göttersprache genannt, in der Sächsischen
hieß er Schwabe. Er suchte den gefallenen Muth
seiner Bundsgenossen mit diesen Worten wieder
aufzurichten.

Man wird mir nicht übel nehmen können, herr-
schende Dichter, wenn die Hertzhaftigkeit dieser
beyden sonst nicht unvernünftigen Leute, die zu ei-
nem stillen und schlägefaulen Leiden rathen, in
ein ziemlich schlechtes Ansehen bey mir kömmt.
Man dächte, daß die unblutigen Stiche, die
Tirller empfangen hat, ihn nicht auf seine blossen
Fabeln, sondern auf die Haut getroffen, und bis
in das Hertz durchgedrungen hätten. Sie ent-
stuhnden doch nur von Worten, und Worte wer-
den ohne Wundtranck und Pflaster mit Worten
geheilet, woran wir einen reichen Vorrath ha-
ben. Wollen wir den schweizerischen Tadlern An-
laß geben, mit einem grossen Scheine zu rüh-
men, daß sie uns mundtod gemacht haben? Dann
wird sich niemand mehr scheuen, auf uns, als

todten
(R) Jn der Vorrede zu Hrn. Gottscheds Gedichten.
(S) Hr. Gottsched hatte dieses in der Vorrede zu der
ersten Herausgabe seiner Dichtkunst versprochen.
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der herrſchenden Poeten.
Beſchaffenheit der verbluͤmten Redensarten,
wenn ſie gut ſeyn ſollen
(R), entworffen, aber
ein ungeſtuͤmer Querwind hatte ſie noch vor ih-
rer Geburt in den Limbo der Eitelkeit getragen,
wo ſie mit Schottgeds Entdekungen der Kunſt-
ſtreiche Virgils in der Aeneis
(S) im Wirbel
herumflatert, bis ein deutſcher Aſtolfo dahin flie-
get, ſie mit Kabuchs Leid um ſeinen Muffel da-
ſelbſt aufzufangen. Waſchbe ward er in der poe-
tiſchen Goͤtterſprache genannt, in der Saͤchſiſchen
hieß er Schwabe. Er ſuchte den gefallenen Muth
ſeiner Bundsgenoſſen mit dieſen Worten wieder
aufzurichten.

Man wird mir nicht uͤbel nehmen koͤnnen, herr-
ſchende Dichter, wenn die Hertzhaftigkeit dieſer
beyden ſonſt nicht unvernuͤnftigen Leute, die zu ei-
nem ſtillen und ſchlaͤgefaulen Leiden rathen, in
ein ziemlich ſchlechtes Anſehen bey mir koͤmmt.
Man daͤchte, daß die unblutigen Stiche, die
Tirller empfangen hat, ihn nicht auf ſeine bloſſen
Fabeln, ſondern auf die Haut getroffen, und bis
in das Hertz durchgedrungen haͤtten. Sie ent-
ſtuhnden doch nur von Worten, und Worte wer-
den ohne Wundtranck und Pflaſter mit Worten
geheilet, woran wir einen reichen Vorrath ha-
ben. Wollen wir den ſchweizeriſchen Tadlern An-
laß geben, mit einem groſſen Scheine zu ruͤh-
men, daß ſie uns mundtod gemacht haben? Dann
wird ſich niemand mehr ſcheuen, auf uns, als

todten
(R) Jn der Vorrede zu Hrn. Gottſcheds Gedichten.
(S) Hr. Gottſched hatte dieſes in der Vorrede zu der
erſten Herausgabe ſeiner Dichtkunſt verſprochen.
M 5
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[185/0187] der herrſchenden Poeten. Beſchaffenheit der verbluͤmten Redensarten, wenn ſie gut ſeyn ſollen (R), entworffen, aber ein ungeſtuͤmer Querwind hatte ſie noch vor ih- rer Geburt in den Limbo der Eitelkeit getragen, wo ſie mit Schottgeds Entdekungen der Kunſt- ſtreiche Virgils in der Aeneis (S) im Wirbel herumflatert, bis ein deutſcher Aſtolfo dahin flie- get, ſie mit Kabuchs Leid um ſeinen Muffel da- ſelbſt aufzufangen. Waſchbe ward er in der poe- tiſchen Goͤtterſprache genannt, in der Saͤchſiſchen hieß er Schwabe. Er ſuchte den gefallenen Muth ſeiner Bundsgenoſſen mit dieſen Worten wieder aufzurichten. Man wird mir nicht uͤbel nehmen koͤnnen, herr- ſchende Dichter, wenn die Hertzhaftigkeit dieſer beyden ſonſt nicht unvernuͤnftigen Leute, die zu ei- nem ſtillen und ſchlaͤgefaulen Leiden rathen, in ein ziemlich ſchlechtes Anſehen bey mir koͤmmt. Man daͤchte, daß die unblutigen Stiche, die Tirller empfangen hat, ihn nicht auf ſeine bloſſen Fabeln, ſondern auf die Haut getroffen, und bis in das Hertz durchgedrungen haͤtten. Sie ent- ſtuhnden doch nur von Worten, und Worte wer- den ohne Wundtranck und Pflaſter mit Worten geheilet, woran wir einen reichen Vorrath ha- ben. Wollen wir den ſchweizeriſchen Tadlern An- laß geben, mit einem groſſen Scheine zu ruͤh- men, daß ſie uns mundtod gemacht haben? Dann wird ſich niemand mehr ſcheuen, auf uns, als todten (R) Jn der Vorrede zu Hrn. Gottſcheds Gedichten. (S) Hr. Gottſched hatte dieſes in der Vorrede zu der erſten Herausgabe ſeiner Dichtkunſt verſprochen. M 5

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/187>, abgerufen am 02.05.2024.