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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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drr herrschenden Poeten.
der graue Morgen den Tag wiedergebracht,
setzte er sorgfältige Mahnungsschreiben an die
vornehmsten Häupter der Dichter in den poeti-
schen Provinzen Deutschlandes auf; worinnen
er die Gefahr, so über ihnen schwebete, ängst-
lich vorstellete, und sie bat, daß sie mit ihm auf
Tiberkopfs Parnasse in einen Synodus zusam-
mentreten wollten, der an St. Ulrichs Abend
in den geheimen Schatten der mitternächtlichen
Stunden sollte gehalten werden. Göniken lud
er nicht ein, er hielt ihn stark im Verdacht,
daß er den Schweizern insgeheim günstig wäre,
weil sie die Schönheiten seines Augusts im La-
ger mit willigerm Herzen gelobet, als desselben
Fehler getadelt hatten. Gönik war in der That
mit ihnen nicht übel zufrieden. Er wußte daß
man Leute, deren Fähigkeit man nur für
mittelmässig hält, schon lobt, wenn sie ihre
Sachen nur nicht schlecht machen: Aber von
wem man sich eine grössere Stärke vermu-
thet, dem nichts schenket, bis er vollkommen
ist.
(K) Sie erschienen alle an dem anberaum-
ten Abend in voller Anzahl. Hundert und mehr
Söhne des herrschenden Geschmaks, und je-
der war ein Dichterkönig, jeder war mächtig ge-
nug die Monarchie seines Vaters zu regieren,
und der göttlichen Critik seiner Feindin zu wie-
derstehen. Korbs alleine blieb daheim, weil er
den Ruhm, so er für den kleinern Theil seines
Jrdischen Vergnügens empfangen hatte, vor ei-

nen
(K) Dieses ist aus dem fünfzehnten Beytrage genom-
men. bl. 487.

drr herrſchenden Poeten.
der graue Morgen den Tag wiedergebracht,
ſetzte er ſorgfaͤltige Mahnungsſchreiben an die
vornehmſten Haͤupter der Dichter in den poeti-
ſchen Provinzen Deutſchlandes auf; worinnen
er die Gefahr, ſo uͤber ihnen ſchwebete, aͤngſt-
lich vorſtellete, und ſie bat, daß ſie mit ihm auf
Tiberkopfs Parnaſſe in einen Synodus zuſam-
mentreten wollten, der an St. Ulrichs Abend
in den geheimen Schatten der mitternaͤchtlichen
Stunden ſollte gehalten werden. Goͤniken lud
er nicht ein, er hielt ihn ſtark im Verdacht,
daß er den Schweizern insgeheim guͤnſtig waͤre,
weil ſie die Schoͤnheiten ſeines Auguſts im La-
ger mit willigerm Herzen gelobet, als deſſelben
Fehler getadelt hatten. Goͤnik war in der That
mit ihnen nicht uͤbel zufrieden. Er wußte daß
man Leute, deren Faͤhigkeit man nur fuͤr
mittelmaͤſſig haͤlt, ſchon lobt, wenn ſie ihre
Sachen nur nicht ſchlecht machen: Aber von
wem man ſich eine groͤſſere Staͤrke vermu-
thet, dem nichts ſchenket, bis er vollkommen
iſt.
(K) Sie erſchienen alle an dem anberaum-
ten Abend in voller Anzahl. Hundert und mehr
Soͤhne des herrſchenden Geſchmaks, und je-
der war ein Dichterkoͤnig, jeder war maͤchtig ge-
nug die Monarchie ſeines Vaters zu regieren,
und der goͤttlichen Critik ſeiner Feindin zu wie-
derſtehen. Korbs alleine blieb daheim, weil er
den Ruhm, ſo er fuͤr den kleinern Theil ſeines
Jrdiſchen Vergnuͤgens empfangen hatte, vor ei-

nen
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men. bl. 487.
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[173/0175] drr herrſchenden Poeten. der graue Morgen den Tag wiedergebracht, ſetzte er ſorgfaͤltige Mahnungsſchreiben an die vornehmſten Haͤupter der Dichter in den poeti- ſchen Provinzen Deutſchlandes auf; worinnen er die Gefahr, ſo uͤber ihnen ſchwebete, aͤngſt- lich vorſtellete, und ſie bat, daß ſie mit ihm auf Tiberkopfs Parnaſſe in einen Synodus zuſam- mentreten wollten, der an St. Ulrichs Abend in den geheimen Schatten der mitternaͤchtlichen Stunden ſollte gehalten werden. Goͤniken lud er nicht ein, er hielt ihn ſtark im Verdacht, daß er den Schweizern insgeheim guͤnſtig waͤre, weil ſie die Schoͤnheiten ſeines Auguſts im La- ger mit willigerm Herzen gelobet, als deſſelben Fehler getadelt hatten. Goͤnik war in der That mit ihnen nicht uͤbel zufrieden. Er wußte daß man Leute, deren Faͤhigkeit man nur fuͤr mittelmaͤſſig haͤlt, ſchon lobt, wenn ſie ihre Sachen nur nicht ſchlecht machen: Aber von wem man ſich eine groͤſſere Staͤrke vermu- thet, dem nichts ſchenket, bis er vollkommen iſt. (K) Sie erſchienen alle an dem anberaum- ten Abend in voller Anzahl. Hundert und mehr Soͤhne des herrſchenden Geſchmaks, und je- der war ein Dichterkoͤnig, jeder war maͤchtig ge- nug die Monarchie ſeines Vaters zu regieren, und der goͤttlichen Critik ſeiner Feindin zu wie- derſtehen. Korbs alleine blieb daheim, weil er den Ruhm, ſo er fuͤr den kleinern Theil ſeines Jrdiſchen Vergnuͤgens empfangen hatte, vor ei- nen (K) Dieſes iſt aus dem fuͤnfzehnten Beytrage genom- men. bl. 487.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/175>, abgerufen am 02.05.2024.