[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.Das Complot den, durch die Musterung passiren zu lassen, istwahrhaftig zu scharf. Sie machen sich eine Pflicht auch die Fehler zu rügen, die sie in den Schriften ihrer besten Freunde entdecken. Aber was recht thörigt ist, sie loben etwas schönes in den Wer- ken eines Menschen, der ihnen nicht gut ist, recht herzlich. Mich stellet weder mein erlangter Nah- me, noch das Ansehn und Schreken meiner Fe- der, vor ihnen sicher, daß sie nicht mit kühnen Augen in meine berühmtesten Gedichte hineinse- hen, und die Fleken darinnen mit der grössesten Kaltsinnigkeit wahrnehmen. Das machet mich unruhig, und reibet mir den Schlaf aus den Au- gen. Das schlimmste ist, daß sie hier und dar Ge- hör finden. Jch sehe, wie die Critik sich ein neu- es Reich in unserm Reiche stistet, und dieses seit der Zeit, daß Silcow ihr zuerst in Deutschland einen Altar erbauet, und ihr Menschen, Sie- vers, Rodigasten, und Philippi, zum Opfer ab- gewürget hat. Wie stühnde es mit mir, wenn er mich diesen beygesellete? Er hat eben nicht Ur- sache, mit mir wol zufrieden zu seyn. Und wie, wenn Dornhage auf mich loszöge, dem es nicht gefallen kan, daß ich sein Lob mit meines Freun- des Steppo vermischet habe? Ein französischer Pralhans ist würklich aufgestanden, und hat die Frechheit gehabt, mir und dem ganzen geistrei- chen ihrem Leben niemanden anrathen; die Verstorbenen aber
etwas unparteyisch zu beurtheilen, das müßte doch ei- nem jeden Critikverständigen frey stehen. Diesen scha- det ein freyes Urtheil von ihren Schriften nicht mehr. Hr. Gottsched in seinen Gedanken vom Bathos in den Opern. Das Complot den, durch die Muſterung paſſiren zu laſſen, iſtwahrhaftig zu ſcharf. Sie machen ſich eine Pflicht auch die Fehler zu ruͤgen, die ſie in den Schriften ihrer beſten Freunde entdecken. Aber was recht thoͤrigt iſt, ſie loben etwas ſchoͤnes in den Wer- ken eines Menſchen, der ihnen nicht gut iſt, recht herzlich. Mich ſtellet weder mein erlangter Nah- me, noch das Anſehn und Schreken meiner Fe- der, vor ihnen ſicher, daß ſie nicht mit kuͤhnen Augen in meine beruͤhmteſten Gedichte hineinſe- hen, und die Fleken darinnen mit der groͤſſeſten Kaltſinnigkeit wahrnehmen. Das machet mich unruhig, und reibet mir den Schlaf aus den Au- gen. Das ſchlimmſte iſt, daß ſie hier und dar Ge- hoͤr finden. Jch ſehe, wie die Critik ſich ein neu- es Reich in unſerm Reiche ſtiſtet, und dieſes ſeit der Zeit, daß Silcow ihr zuerſt in Deutſchland einen Altar erbauet, und ihr Menſchen, Sie- vers, Rodigaſten, und Philippi, zum Opfer ab- gewuͤrget hat. Wie ſtuͤhnde es mit mir, wenn er mich dieſen beygeſellete? Er hat eben nicht Ur- ſache, mit mir wol zufrieden zu ſeyn. Und wie, wenn Dornhage auf mich loszoͤge, dem es nicht gefallen kan, daß ich ſein Lob mit meines Freun- des Steppo vermiſchet habe? Ein franzoͤſiſcher Pralhans iſt wuͤrklich aufgeſtanden, und hat die Frechheit gehabt, mir und dem ganzen geiſtrei- chen ihrem Leben niemanden anrathen; die Verſtorbenen aber
etwas unparteyiſch zu beurtheilen, das muͤßte doch ei- nem jeden Critikverſtaͤndigen frey ſtehen. Dieſen ſcha- det ein freyes Urtheil von ihren Schriften nicht mehr. Hr. Gottſched in ſeinen Gedanken vom Bathos in den Opern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0172" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Complot</hi></fw><lb/> den, durch die Muſterung paſſiren zu laſſen, iſt<lb/> wahrhaftig zu ſcharf. Sie machen ſich eine Pflicht<lb/> auch die Fehler zu ruͤgen, die ſie in den Schriften<lb/> ihrer beſten Freunde entdecken. Aber was recht<lb/> thoͤrigt iſt, ſie loben etwas ſchoͤnes in den Wer-<lb/> ken eines Menſchen, der ihnen nicht gut iſt, recht<lb/> herzlich. Mich ſtellet weder mein erlangter Nah-<lb/> me, noch das Anſehn und Schreken meiner Fe-<lb/> der, vor ihnen ſicher, daß ſie nicht mit kuͤhnen<lb/> Augen in meine beruͤhmteſten Gedichte hineinſe-<lb/> hen, und die Fleken darinnen mit der groͤſſeſten<lb/> Kaltſinnigkeit wahrnehmen. Das machet mich<lb/> unruhig, und reibet mir den Schlaf aus den Au-<lb/> gen. Das ſchlimmſte iſt, daß ſie hier und dar Ge-<lb/> hoͤr finden. Jch ſehe, wie die Critik ſich ein neu-<lb/> es Reich in unſerm Reiche ſtiſtet, und dieſes ſeit<lb/> der Zeit, daß Silcow ihr zuerſt in Deutſchland<lb/> einen Altar erbauet, und ihr Menſchen, Sie-<lb/> vers, Rodigaſten, und Philippi, zum Opfer ab-<lb/> gewuͤrget hat. Wie ſtuͤhnde es mit mir, wenn<lb/> er mich dieſen beygeſellete? Er hat eben nicht Ur-<lb/> ſache, mit mir wol zufrieden zu ſeyn. Und wie,<lb/> wenn Dornhage auf mich loszoͤge, dem es nicht<lb/> gefallen kan, daß ich ſein Lob mit meines Freun-<lb/> des Steppo vermiſchet habe? Ein franzoͤſiſcher<lb/> Pralhans iſt wuͤrklich aufgeſtanden, und hat die<lb/> Frechheit gehabt, mir und dem ganzen geiſtrei-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/><note xml:id="f10" prev="#f09" place="foot" n="(H)">ihrem Leben niemanden anrathen; die Verſtorbenen aber<lb/> etwas unparteyiſch zu beurtheilen, das muͤßte doch ei-<lb/> nem jeden Critikverſtaͤndigen frey ſtehen. Dieſen ſcha-<lb/> det ein freyes Urtheil von ihren Schriften nicht mehr.<lb/><hi rendition="#fr">Hr. Gottſched in ſeinen Gedanken vom Bathos in den<lb/> Opern.</hi></note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [170/0172]
Das Complot
den, durch die Muſterung paſſiren zu laſſen, iſt
wahrhaftig zu ſcharf. Sie machen ſich eine Pflicht
auch die Fehler zu ruͤgen, die ſie in den Schriften
ihrer beſten Freunde entdecken. Aber was recht
thoͤrigt iſt, ſie loben etwas ſchoͤnes in den Wer-
ken eines Menſchen, der ihnen nicht gut iſt, recht
herzlich. Mich ſtellet weder mein erlangter Nah-
me, noch das Anſehn und Schreken meiner Fe-
der, vor ihnen ſicher, daß ſie nicht mit kuͤhnen
Augen in meine beruͤhmteſten Gedichte hineinſe-
hen, und die Fleken darinnen mit der groͤſſeſten
Kaltſinnigkeit wahrnehmen. Das machet mich
unruhig, und reibet mir den Schlaf aus den Au-
gen. Das ſchlimmſte iſt, daß ſie hier und dar Ge-
hoͤr finden. Jch ſehe, wie die Critik ſich ein neu-
es Reich in unſerm Reiche ſtiſtet, und dieſes ſeit
der Zeit, daß Silcow ihr zuerſt in Deutſchland
einen Altar erbauet, und ihr Menſchen, Sie-
vers, Rodigaſten, und Philippi, zum Opfer ab-
gewuͤrget hat. Wie ſtuͤhnde es mit mir, wenn
er mich dieſen beygeſellete? Er hat eben nicht Ur-
ſache, mit mir wol zufrieden zu ſeyn. Und wie,
wenn Dornhage auf mich loszoͤge, dem es nicht
gefallen kan, daß ich ſein Lob mit meines Freun-
des Steppo vermiſchet habe? Ein franzoͤſiſcher
Pralhans iſt wuͤrklich aufgeſtanden, und hat die
Frechheit gehabt, mir und dem ganzen geiſtrei-
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(H)
(H) ihrem Leben niemanden anrathen; die Verſtorbenen aber
etwas unparteyiſch zu beurtheilen, das muͤßte doch ei-
nem jeden Critikverſtaͤndigen frey ſtehen. Dieſen ſcha-
det ein freyes Urtheil von ihren Schriften nicht mehr.
Hr. Gottſched in ſeinen Gedanken vom Bathos in den
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