[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.Das Complot Nicht ohne einen glüklichen Fortgang. Sie wardbey der Nation bekannt. Man fieng hier und dar an, sie zu verehren; ihre Gesetze wurden einge- führet. Man schrieb mit Verstand, nach Plan und Absicht, und man las mit einem sichern Ur- theile. Der herrschende Geschmak erschrak dar- über, er sah seinen Untergang vor Augen, wenn er diese Bemühungen nicht in ihrem Anfange unterdrükete. Alsobald legete er seine Sorgen Schottgeden in die Gedanken, seinem arbeitsa- men Lieblinge, der vordiesem durch seine Ein- gebungen den Unwiz in Kunstregeln verfasset, und die Regeln mit seinen eigenen Exempeln er- klärt hatte. Er redete so feines Deutsch, daß seine Ausdrüke an Gedanken reich schienen, ob sie gleich nicht eine Unze derselben in sich hatten. Alle sein Wiz war lauter Glük, und keine Frucht der Vergleichung oder Uebereinstimmung. Wenn er seine Reden hersagte, überwelzte er die Wor- te mit einer Geschwindigkeit, welche ihnen ein sanftes und fliessendes Wesen mittheilete, das ih- nen nicht eigen war.(D) Die Worte liefen seinem Bedürfniß zuvor, und stellten sich in Ver- sen oder Prosa in Ordnung, mittelst gewisser Springfedern der hochdeutschen Mechanik, nicht anderst als die Dreyfüsse des Vulcanus Geist und Leben (D) On ne peut nier, que les langues graves, com-
me l'Allemand, ne doivent etre parlees lentement & di- stinctement: Cependant les Saxons parlent avec une vo- lubilite qui frise le begayement; ils ne le font que pour donner a leur langue une douceur qu'elle n'a pas, & qui la defigure. &c. Lettre IX. sur les Allemans p. 344. Das Complot Nicht ohne einen gluͤklichen Fortgang. Sie wardbey der Nation bekannt. Man fieng hier und dar an, ſie zu verehren; ihre Geſetze wurden einge- fuͤhret. Man ſchrieb mit Verſtand, nach Plan und Abſicht, und man las mit einem ſichern Ur- theile. Der herrſchende Geſchmak erſchrak dar- uͤber, er ſah ſeinen Untergang vor Augen, wenn er dieſe Bemuͤhungen nicht in ihrem Anfange unterdruͤkete. Alſobald legete er ſeine Sorgen Schottgeden in die Gedanken, ſeinem arbeitſa- men Lieblinge, der vordieſem durch ſeine Ein- gebungen den Unwiz in Kunſtregeln verfaſſet, und die Regeln mit ſeinen eigenen Exempeln er- klaͤrt hatte. Er redete ſo feines Deutſch, daß ſeine Ausdruͤke an Gedanken reich ſchienen, ob ſie gleich nicht eine Unze derſelben in ſich hatten. Alle ſein Wiz war lauter Gluͤk, und keine Frucht der Vergleichung oder Uebereinſtimmung. Wenn er ſeine Reden herſagte, uͤberwelzte er die Wor- te mit einer Geſchwindigkeit, welche ihnen ein ſanftes und flieſſendes Weſen mittheilete, das ih- nen nicht eigen war.(D) Die Worte liefen ſeinem Beduͤrfniß zuvor, und ſtellten ſich in Ver- ſen oder Proſa in Ordnung, mittelſt gewiſſer Springfedern der hochdeutſchen Mechanik, nicht anderſt als die Dreyfuͤſſe des Vulcanus Geiſt und Leben (D) On ne peut nier, que les langues graves, com-
me l’Allemand, ne doivent être parlées lentement & di- ſtinctement: Cependant les Saxons parlent avec une vo- lubilité qui friſe le begayement; ils ne le font que pour donner à leur langue une douceur qu’elle n’a pas, & qui la defigure. &c. Lettre IX. ſur les Allemans p. 344. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="166"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Complot</hi></fw><lb/> Nicht ohne einen gluͤklichen Fortgang. Sie ward<lb/> bey der Nation bekannt. Man fieng hier und dar<lb/> an, ſie zu verehren; ihre Geſetze wurden einge-<lb/> fuͤhret. Man ſchrieb mit Verſtand, nach Plan<lb/> und Abſicht, und man las mit einem ſichern Ur-<lb/> theile. Der <hi rendition="#fr">herrſchende Geſchmak</hi> erſchrak dar-<lb/> uͤber, er ſah ſeinen Untergang vor Augen, wenn<lb/> er dieſe Bemuͤhungen nicht in ihrem Anfange<lb/> unterdruͤkete. Alſobald legete er ſeine Sorgen<lb/> Schottgeden in die Gedanken, ſeinem arbeitſa-<lb/> men Lieblinge, der vordieſem durch ſeine Ein-<lb/> gebungen den Unwiz in Kunſtregeln verfaſſet,<lb/> und die Regeln mit ſeinen eigenen Exempeln er-<lb/> klaͤrt hatte. Er redete ſo feines Deutſch, daß ſeine<lb/> Ausdruͤke an Gedanken reich ſchienen, ob ſie gleich<lb/> nicht eine Unze derſelben in ſich hatten. Alle<lb/> ſein Wiz war lauter Gluͤk, und keine Frucht<lb/> der Vergleichung oder Uebereinſtimmung. Wenn<lb/> er ſeine Reden herſagte, uͤberwelzte er die Wor-<lb/> te mit einer Geſchwindigkeit, welche ihnen ein<lb/> ſanftes und flieſſendes Weſen mittheilete, das ih-<lb/> nen nicht eigen war.<note place="foot" n="(D)"><hi rendition="#aq">On ne peut nier, que les langues graves, com-<lb/> me l’Allemand, ne doivent être parlées lentement & di-<lb/> ſtinctement: Cependant les Saxons parlent avec une vo-<lb/> lubilité qui friſe le begayement; ils ne le font que pour<lb/> donner à leur langue une douceur qu’elle n’a pas, &<lb/> qui la defigure. &c. Lettre IX. ſur les Allemans p.<lb/> 344.</hi></note> Die Worte liefen<lb/> ſeinem Beduͤrfniß zuvor, und ſtellten ſich in Ver-<lb/> ſen oder Proſa in Ordnung, mittelſt gewiſſer<lb/> Springfedern der hochdeutſchen Mechanik, nicht<lb/> anderſt als die Dreyfuͤſſe des Vulcanus Geiſt und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Leben</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [166/0168]
Das Complot
Nicht ohne einen gluͤklichen Fortgang. Sie ward
bey der Nation bekannt. Man fieng hier und dar
an, ſie zu verehren; ihre Geſetze wurden einge-
fuͤhret. Man ſchrieb mit Verſtand, nach Plan
und Abſicht, und man las mit einem ſichern Ur-
theile. Der herrſchende Geſchmak erſchrak dar-
uͤber, er ſah ſeinen Untergang vor Augen, wenn
er dieſe Bemuͤhungen nicht in ihrem Anfange
unterdruͤkete. Alſobald legete er ſeine Sorgen
Schottgeden in die Gedanken, ſeinem arbeitſa-
men Lieblinge, der vordieſem durch ſeine Ein-
gebungen den Unwiz in Kunſtregeln verfaſſet,
und die Regeln mit ſeinen eigenen Exempeln er-
klaͤrt hatte. Er redete ſo feines Deutſch, daß ſeine
Ausdruͤke an Gedanken reich ſchienen, ob ſie gleich
nicht eine Unze derſelben in ſich hatten. Alle
ſein Wiz war lauter Gluͤk, und keine Frucht
der Vergleichung oder Uebereinſtimmung. Wenn
er ſeine Reden herſagte, uͤberwelzte er die Wor-
te mit einer Geſchwindigkeit, welche ihnen ein
ſanftes und flieſſendes Weſen mittheilete, das ih-
nen nicht eigen war. (D) Die Worte liefen
ſeinem Beduͤrfniß zuvor, und ſtellten ſich in Ver-
ſen oder Proſa in Ordnung, mittelſt gewiſſer
Springfedern der hochdeutſchen Mechanik, nicht
anderſt als die Dreyfuͤſſe des Vulcanus Geiſt und
Leben
(D) On ne peut nier, que les langues graves, com-
me l’Allemand, ne doivent être parlées lentement & di-
ſtinctement: Cependant les Saxons parlent avec une vo-
lubilité qui friſe le begayement; ils ne le font que pour
donner à leur langue une douceur qu’elle n’a pas, &
qui la defigure. &c. Lettre IX. ſur les Allemans p.
344.
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