"Wären wir, heißt es, so zeitig als andere, "auf die Ausbreitung der schönen Wissenschaften "in unserer Muttersprache gerathen: So würden "vielleicht (ein schweres Vielleicht) diejenigen "izo von uns lernen müssen, welche wir uns zu "Mustern bey Beförderung der freyen Künste "vorstellen."
Auf diesen Thon muß man wissen bey seiner Armuth groß zu thun, wie jener Bett- ler, der den Edelmanu zu einer milden Beysteuer zu vermögen, ihm mit Betheurungen verheissen, sobald er würde schlachten lassen, wollte er ihm dafür gute Würste und Schinken zur Verehrung schi- ken. Wo man nicht auf gegenwärtige Verdienste pochen kan, da muß man seine Scientiam me- diam zu Hülfe ruffen, und auf das, was unter gantz andern Bedingnissen und Umständen mög- lich gewesen wäre, fein dreiste großsprechen. Aber meines Bedünkens hat es der Hr. Magister da- bey noch um etwas versehen, daß er durch das eingeschaltete Vielleicht in obiger Stelle noch ei- niges Mißtrauen bliken läßt. Woher mag wohl dieses Mißtrauen bey ihm entstanden seyn? Viel- leicht daher, daß er sich selbst heimlich erinnerte, wie so schlechten Fortgang die deutsche Poesie in einer Zeit von mehr als hundert Jahren seit des grossen Opizen Zeiten gehabt, so daß dieser grosse Vorgänger, wenn er wieder auf Erden kommen sollte, sich der meisten von seinen Nachkindern schämen würde. Weit kühner und glücklicher ist der Einfall, womit Hr. Schwabe die Schuld des schlechten Credits des deutschen Wizes von den Scribenten abzulehnen und auf die Dumm-
heit
Nachrichten
„Waͤren wir, heißt es, ſo zeitig als andere, „auf die Ausbreitung der ſchoͤnen Wiſſenſchaften „in unſerer Mutterſprache gerathen: So wuͤrden „vielleicht (ein ſchweres Vielleicht) diejenigen „izo von uns lernen muͤſſen, welche wir uns zu „Muſtern bey Befoͤrderung der freyen Kuͤnſte „vorſtellen.„
Auf dieſen Thon muß man wiſſen bey ſeiner Armuth groß zu thun, wie jener Bett- ler, der den Edelmanu zu einer milden Beyſteuer zu vermoͤgen, ihm mit Betheurungen verheiſſen, ſobald er wuͤrde ſchlachten laſſen, wollte er ihm dafuͤr gute Wuͤrſte und Schinken zur Verehrung ſchi- ken. Wo man nicht auf gegenwaͤrtige Verdienſte pochen kan, da muß man ſeine Scientiam me- diam zu Huͤlfe ruffen, und auf das, was unter gantz andern Bedingniſſen und Umſtaͤnden moͤg- lich geweſen waͤre, fein dreiſte großſprechen. Aber meines Beduͤnkens hat es der Hr. Magiſter da- bey noch um etwas verſehen, daß er durch das eingeſchaltete Vielleicht in obiger Stelle noch ei- niges Mißtrauen bliken laͤßt. Woher mag wohl dieſes Mißtrauen bey ihm entſtanden ſeyn? Viel- leicht daher, daß er ſich ſelbſt heimlich erinnerte, wie ſo ſchlechten Fortgang die deutſche Poeſie in einer Zeit von mehr als hundert Jahren ſeit des groſſen Opizen Zeiten gehabt, ſo daß dieſer groſſe Vorgaͤnger, wenn er wieder auf Erden kommen ſollte, ſich der meiſten von ſeinen Nachkindern ſchaͤmen wuͤrde. Weit kuͤhner und gluͤcklicher iſt der Einfall, womit Hr. Schwabe die Schuld des ſchlechten Credits des deutſchen Wizes von den Scribenten abzulehnen und auf die Dumm-
heit
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0146"n="144"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Nachrichten</hi></fw><lb/><cit><quote>„Waͤren wir, heißt es, ſo zeitig als andere,<lb/>„auf die Ausbreitung der ſchoͤnen Wiſſenſchaften<lb/>„in unſerer Mutterſprache gerathen: So wuͤrden<lb/>„<hirendition="#fr">vielleicht (ein ſchweres Vielleicht)</hi> diejenigen<lb/>„izo von uns lernen muͤſſen, welche wir uns zu<lb/>„Muſtern bey Befoͤrderung der freyen Kuͤnſte<lb/>„vorſtellen.„</quote></cit><p>Auf dieſen Thon muß man wiſſen<lb/>
bey ſeiner Armuth groß zu thun, wie jener Bett-<lb/>
ler, der den Edelmanu zu einer milden Beyſteuer<lb/>
zu vermoͤgen, ihm mit Betheurungen verheiſſen,<lb/>ſobald er wuͤrde ſchlachten laſſen, wollte er ihm dafuͤr<lb/>
gute Wuͤrſte und Schinken zur Verehrung ſchi-<lb/>
ken. Wo man nicht auf gegenwaͤrtige Verdienſte<lb/>
pochen kan, da muß man ſeine <hirendition="#aq">Scientiam me-<lb/>
diam</hi> zu Huͤlfe ruffen, und auf das, was unter<lb/>
gantz andern Bedingniſſen und Umſtaͤnden moͤg-<lb/>
lich geweſen waͤre, fein dreiſte großſprechen. Aber<lb/>
meines Beduͤnkens hat es der Hr. Magiſter da-<lb/>
bey noch um etwas verſehen, daß er durch das<lb/>
eingeſchaltete <hirendition="#fr">Vielleicht</hi> in obiger Stelle noch ei-<lb/>
niges Mißtrauen bliken laͤßt. Woher mag wohl<lb/>
dieſes Mißtrauen bey ihm entſtanden ſeyn? Viel-<lb/>
leicht daher, daß er ſich ſelbſt heimlich erinnerte,<lb/>
wie ſo ſchlechten Fortgang die deutſche Poeſie in<lb/>
einer Zeit von mehr als hundert Jahren ſeit des<lb/>
groſſen <hirendition="#fr">Opizen</hi> Zeiten gehabt, ſo daß dieſer groſſe<lb/>
Vorgaͤnger, wenn er wieder auf Erden kommen<lb/>ſollte, ſich der meiſten von ſeinen Nachkindern<lb/>ſchaͤmen wuͤrde. Weit kuͤhner und gluͤcklicher iſt<lb/>
der Einfall, womit Hr. Schwabe die Schuld<lb/>
des ſchlechten Credits des deutſchen Wizes von<lb/>
den Scribenten abzulehnen und auf die Dumm-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">heit</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[144/0146]
Nachrichten
„Waͤren wir, heißt es, ſo zeitig als andere,
„auf die Ausbreitung der ſchoͤnen Wiſſenſchaften
„in unſerer Mutterſprache gerathen: So wuͤrden
„vielleicht (ein ſchweres Vielleicht) diejenigen
„izo von uns lernen muͤſſen, welche wir uns zu
„Muſtern bey Befoͤrderung der freyen Kuͤnſte
„vorſtellen.„ Auf dieſen Thon muß man wiſſen
bey ſeiner Armuth groß zu thun, wie jener Bett-
ler, der den Edelmanu zu einer milden Beyſteuer
zu vermoͤgen, ihm mit Betheurungen verheiſſen,
ſobald er wuͤrde ſchlachten laſſen, wollte er ihm dafuͤr
gute Wuͤrſte und Schinken zur Verehrung ſchi-
ken. Wo man nicht auf gegenwaͤrtige Verdienſte
pochen kan, da muß man ſeine Scientiam me-
diam zu Huͤlfe ruffen, und auf das, was unter
gantz andern Bedingniſſen und Umſtaͤnden moͤg-
lich geweſen waͤre, fein dreiſte großſprechen. Aber
meines Beduͤnkens hat es der Hr. Magiſter da-
bey noch um etwas verſehen, daß er durch das
eingeſchaltete Vielleicht in obiger Stelle noch ei-
niges Mißtrauen bliken laͤßt. Woher mag wohl
dieſes Mißtrauen bey ihm entſtanden ſeyn? Viel-
leicht daher, daß er ſich ſelbſt heimlich erinnerte,
wie ſo ſchlechten Fortgang die deutſche Poeſie in
einer Zeit von mehr als hundert Jahren ſeit des
groſſen Opizen Zeiten gehabt, ſo daß dieſer groſſe
Vorgaͤnger, wenn er wieder auf Erden kommen
ſollte, ſich der meiſten von ſeinen Nachkindern
ſchaͤmen wuͤrde. Weit kuͤhner und gluͤcklicher iſt
der Einfall, womit Hr. Schwabe die Schuld
des ſchlechten Credits des deutſchen Wizes von
den Scribenten abzulehnen und auf die Dumm-
heit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/146>, abgerufen am 24.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.