[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.Drollingers Ode Was ist ein Leib? Des Geistes Hülle,Sein Klumpe liget todt und stille, So oft ihm ein Beweger fehlt. Nicht so der Geist, der lebt und dencket, Mit schneller Macht die Sinnen lencket, Erwiegt, beschleußt, verwirfft und wehlt. So lerne dann, daß Tod und Sterben Allein in grobe Cörper dringt, Und der Verstörung Grundverderben Ein geistlichs Wesen nie bezwingt. Der Mischung Bau wird leicht zerstücket, Dich aber hat ein Seyn beglücket, Das weder Stück noch Theile kennt, Vergeblich sucht der Raub der Zeiten Dein einfach Wesen zu bestreiten, Was nicht gefügt, wird nicht getrennt. Jsts Anmerckungen.
in idem tamen verborum vitium incidit, ut si quis dicat, visum a se hominem librum scribentem. Nam etiamsi librum ab homine scribi pateat, male tamen composue- rat, feceratque ambiguum, quantum in ipso fuit. Vor- treffliche Scribenten lassen manchmahl dergleichen Unrich- tigkeiten mit Vorsatz stehen. Sie werffen damit dem Nei- de ein Bein vor, daran er nagen möge, damit sie inzwi- schen ungestöret bleiben. Drollingers Ode Was iſt ein Leib? Des Geiſtes Huͤlle,Sein Klumpe liget todt und ſtille, So oft ihm ein Beweger fehlt. Nicht ſo der Geiſt, der lebt und dencket, Mit ſchneller Macht die Sinnen lencket, Erwiegt, beſchleußt, verwirfft und wehlt. So lerne dann, daß Tod und Sterben Allein in grobe Coͤrper dringt, Und der Verſtoͤrung Grundverderben Ein geiſtlichs Weſen nie bezwingt. Der Miſchung Bau wird leicht zerſtuͤcket, Dich aber hat ein Seyn begluͤcket, Das weder Stuͤck noch Theile kennt, Vergeblich ſucht der Raub der Zeiten Dein einfach Weſen zu beſtreiten, Was nicht gefuͤgt, wird nicht getrennt. Jſts Anmerckungen.
in idem tamen verborum vitium incidit, ut ſi quis dicat, viſum à ſe hominem librum ſcribentem. Nam etiamſi librum ab homine ſcribi pateat, male tamen compoſue- rat, feceratque ambiguum, quantum in ipſo fuit. Vor- treffliche Scribenten laſſen manchmahl dergleichen Unrich- tigkeiten mit Vorſatz ſtehen. Sie werffen damit dem Nei- de ein Bein vor, daran er nagen moͤge, damit ſie inzwi- ſchen ungeſtoͤret bleiben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <pb facs="#f0186" n="184"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Drollingers Ode</hi> </fw><lb/> <l>Was iſt ein Leib? Des Geiſtes Huͤlle,</l><lb/> <l>Sein Klumpe liget todt und ſtille,</l><lb/> <l>So oft ihm ein Beweger fehlt.</l><lb/> <l>Nicht ſo der Geiſt, der lebt und dencket,</l><lb/> <l>Mit ſchneller Macht die Sinnen lencket,</l><lb/> <l>Erwiegt, beſchleußt, verwirfft und wehlt.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>So lerne dann, daß Tod und Sterben</l><lb/> <l>Allein in grobe Coͤrper dringt,</l><lb/> <l>Und der Verſtoͤrung Grundverderben</l><lb/> <l>Ein geiſtlichs Weſen nie bezwingt.</l><lb/> <l>Der Miſchung Bau wird leicht zerſtuͤcket,</l><lb/> <l>Dich aber hat ein Seyn begluͤcket,</l><lb/> <l>Das weder Stuͤck noch Theile kennt,</l><lb/> <l>Vergeblich ſucht der Raub der Zeiten</l><lb/> <l>Dein einfach Weſen zu beſtreiten,</l><lb/> <l>Was nicht gefuͤgt, wird nicht getrennt.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Jſts</fw><lb/> <note xml:id="f49" prev="#f48" place="foot" n="(*)"><hi rendition="#fr">Anmerckungen.</hi><lb/><hi rendition="#aq">in idem tamen verborum vitium incidit, ut ſi quis dicat,<lb/> viſum à ſe hominem librum ſcribentem. Nam etiamſi<lb/> librum ab homine ſcribi pateat, male tamen compoſue-<lb/> rat, feceratque ambiguum, quantum in ipſo fuit.</hi> Vor-<lb/> treffliche Scribenten laſſen manchmahl dergleichen Unrich-<lb/> tigkeiten mit Vorſatz ſtehen. Sie werffen damit dem Nei-<lb/> de ein Bein vor, daran er nagen moͤge, damit ſie inzwi-<lb/> ſchen ungeſtoͤret bleiben.</note><lb/><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [184/0186]
Drollingers Ode
Was iſt ein Leib? Des Geiſtes Huͤlle,
Sein Klumpe liget todt und ſtille,
So oft ihm ein Beweger fehlt.
Nicht ſo der Geiſt, der lebt und dencket,
Mit ſchneller Macht die Sinnen lencket,
Erwiegt, beſchleußt, verwirfft und wehlt.
So lerne dann, daß Tod und Sterben
Allein in grobe Coͤrper dringt,
Und der Verſtoͤrung Grundverderben
Ein geiſtlichs Weſen nie bezwingt.
Der Miſchung Bau wird leicht zerſtuͤcket,
Dich aber hat ein Seyn begluͤcket,
Das weder Stuͤck noch Theile kennt,
Vergeblich ſucht der Raub der Zeiten
Dein einfach Weſen zu beſtreiten,
Was nicht gefuͤgt, wird nicht getrennt.
Jſts
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(*) Anmerckungen.
in idem tamen verborum vitium incidit, ut ſi quis dicat,
viſum à ſe hominem librum ſcribentem. Nam etiamſi
librum ab homine ſcribi pateat, male tamen compoſue-
rat, feceratque ambiguum, quantum in ipſo fuit. Vor-
treffliche Scribenten laſſen manchmahl dergleichen Unrich-
tigkeiten mit Vorſatz ſtehen. Sie werffen damit dem Nei-
de ein Bein vor, daran er nagen moͤge, damit ſie inzwi-
ſchen ungeſtoͤret bleiben.
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Zitationshilfe: | [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/186>, abgerufen am 16.02.2025. |