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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

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der Critik bey den Deutschen.
So ist es auch geschehn. Jch habe manche Nacht
Und manchen Tag geschwizt; allein ich muß gestehen,
Daß ich ihm noch umsonst versuche nachzugehen.

Jn den folgenden Zeilen saget er uns auch, wem
er diese Veränderung seines Geschmackes zu dan-
ken habe:

O grausamer Horaz, was hat dich doch bewegt,
Daß du uns so viel Last im Dichten aufgelegt?
So bald ich nur dein Buch mit Lust und Ernst gelesen,
So ist mir auch nicht mehr im Schreiben wohl gewesen. etc.

Jn der Satyre auf unverständige Poeten hat er
von seinem ersten Sündenstande und hernach ge-
folgten Bekehrung mit demselben bußfertigen Her-
zen geredet:

Ein halb mit Pikelschertz vermengtes Operettchen,
Ein stinkender Roman von rasenden Chrysettchen,
Ein geiles Myrthenlied, und ein nach dem Adon
Des üppigen Marin erbauter Venusthron,
Der der Geliebten Schoos bis auf den Grund entdecket,
Und Büsch und Brünnen draus, und Vogelnester hecket
- - - - - - - -
Ein rohes Trauerspiel, in dem die Regeln fehlen,
Und so viel Schnizer fast, als Sylben sind, zu zehlen;
Ein Brief, den Adam schon der Eva zugesandt,
Da beyde dazumahl doch keine Schrift gekandt;
Ein kreissendes Sonnet, das mit dem Tode ringet,
Und der Gedanken Rad, so wie die Reimen zwinget,
Und ein nach Pöbelart gepriesner Buhlerblick
Jst oft bey dieser Zeit das gröste Meisterstück.
So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen,
Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen,
Der Reime dürren Leib mit Purpur ausgeschmückt,
Und abgeborgte Kraft den Wörtern angeflickt;
So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben;
Allein sobald ich nur der Spure nachgegraben,
Auf
G 3
der Critik bey den Deutſchen.
So iſt es auch geſchehn. Jch habe manche Nacht
Und manchen Tag geſchwizt; allein ich muß geſtehen,
Daß ich ihm noch umſonſt verſuche nachzugehen.

Jn den folgenden Zeilen ſaget er uns auch, wem
er dieſe Veraͤnderung ſeines Geſchmackes zu dan-
ken habe:

O grauſamer Horaz, was hat dich doch bewegt,
Daß du uns ſo viel Laſt im Dichten aufgelegt?
So bald ich nur dein Buch mit Luſt und Ernſt geleſen,
So iſt mir auch nicht mehr im Schreiben wohl geweſen. ꝛc.

Jn der Satyre auf unverſtaͤndige Poeten hat er
von ſeinem erſten Suͤndenſtande und hernach ge-
folgten Bekehrung mit demſelben bußfertigen Her-
zen geredet:

Ein halb mit Pikelſchertz vermengtes Operettchen,
Ein ſtinkender Roman von raſenden Chryſettchen,
Ein geiles Myrthenlied, und ein nach dem Adon
Des uͤppigen Marin erbauter Venusthron,
Der der Geliebten Schoos bis auf den Grund entdecket,
Und Buͤſch und Bruͤnnen draus, und Vogelneſter hecket
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Ein rohes Trauerſpiel, in dem die Regeln fehlen,
Und ſo viel Schnizer faſt, als Sylben ſind, zu zehlen;
Ein Brief, den Adam ſchon der Eva zugeſandt,
Da beyde dazumahl doch keine Schrift gekandt;
Ein kreiſſendes Sonnet, das mit dem Tode ringet,
Und der Gedanken Rad, ſo wie die Reimen zwinget,
Und ein nach Poͤbelart geprieſner Buhlerblick
Jſt oft bey dieſer Zeit das groͤſte Meiſterſtuͤck.
So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen,
Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen,
Der Reime duͤrren Leib mit Purpur ausgeſchmuͤckt,
Und abgeborgte Kraft den Woͤrtern angeflickt;
So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben;
Allein ſobald ich nur der Spure nachgegraben,
Auf
G 3
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[101/0103] der Critik bey den Deutſchen. So iſt es auch geſchehn. Jch habe manche Nacht Und manchen Tag geſchwizt; allein ich muß geſtehen, Daß ich ihm noch umſonſt verſuche nachzugehen. Jn den folgenden Zeilen ſaget er uns auch, wem er dieſe Veraͤnderung ſeines Geſchmackes zu dan- ken habe: O grauſamer Horaz, was hat dich doch bewegt, Daß du uns ſo viel Laſt im Dichten aufgelegt? So bald ich nur dein Buch mit Luſt und Ernſt geleſen, So iſt mir auch nicht mehr im Schreiben wohl geweſen. ꝛc. Jn der Satyre auf unverſtaͤndige Poeten hat er von ſeinem erſten Suͤndenſtande und hernach ge- folgten Bekehrung mit demſelben bußfertigen Her- zen geredet: Ein halb mit Pikelſchertz vermengtes Operettchen, Ein ſtinkender Roman von raſenden Chryſettchen, Ein geiles Myrthenlied, und ein nach dem Adon Des uͤppigen Marin erbauter Venusthron, Der der Geliebten Schoos bis auf den Grund entdecket, Und Buͤſch und Bruͤnnen draus, und Vogelneſter hecket ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ein rohes Trauerſpiel, in dem die Regeln fehlen, Und ſo viel Schnizer faſt, als Sylben ſind, zu zehlen; Ein Brief, den Adam ſchon der Eva zugeſandt, Da beyde dazumahl doch keine Schrift gekandt; Ein kreiſſendes Sonnet, das mit dem Tode ringet, Und der Gedanken Rad, ſo wie die Reimen zwinget, Und ein nach Poͤbelart geprieſner Buhlerblick Jſt oft bey dieſer Zeit das groͤſte Meiſterſtuͤck. So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen, Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen, Der Reime duͤrren Leib mit Purpur ausgeſchmuͤckt, Und abgeborgte Kraft den Woͤrtern angeflickt; So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben; Allein ſobald ich nur der Spure nachgegraben, Auf G 3

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/103>, abgerufen am 03.05.2024.