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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Verl. Paradies. I. B.
lich fanden die Worte, mit Seufzern unter-
mischt, einen Weg.

O ihr Myriaden unsterblicher Geister, o
ihr Heere, die ihres gleichen nicht haben, den
Allmächtigen ausgenommen, mit welchem selbst
ihr dennoch nicht ohne Ruhm gefochten habet,
wiewohl der Ausgang des Streits für euch
entsetzlich war, wie dieser Platz und diese ent-
setzliche Veränderung zu erkennen geben, wo-
von man nicht ohne Zorn reden kan: Alleine
was vor eine Gemütheskraft, was vor eine
Gabe, das Künftige vorherzusehen oder zu er-
rathen, konnte aus der tiefen Betrachtung
des Vergangenen oder des Gegenwärtigen be-
fahren, daß eine solche vereinigte Göttermacht,

welche
Die Worte mit Seufzern untermischt) Der Grund-
Text hat: Die Worte mit Seufzern unterflochten; wovon
Bentley sagt, es übertreffe alle menschliche Geschicklichkeit,
und komme Satan vor eigen zu. Daher er davor lesen
will, mit Seufzern unterbrochen. Seine Critick scheint
auf dem Grund zu beruhen, daß es in der That nicht an-
gehe, die Worte und die Seufzer unter einander zu flech-
ten. Alleine wer hat jemahls zur Rechtfertigung einer
Metapher gefodert, daß das, was verglichen wird, und
das, womit es verglichen wird, nur ein Ding und eben
dasselbe seyn? Es ist genug, daß die Bilder, die verwech-
selt werden, eine offenbare Aehnlichkeit mit einander ha-
ben. Der betrügliche Schein, da etwas für das andere
gesetzet wird, kan dem Verstande dann nicht verborgen blei-
ben. Und wie will Bentley seine erwehlte Lesart anderst,
als auf eben diese Weise beschützen? Worte mit Seufzern
brechen und unterbrechen, ist eben so wohl, als sie unter-
flechten, eine Metapher, die etwas betrügliches in sich hat,
und gehet in der That eben so wenig an.
C 4

Verl. Paradies. I. B.
lich fanden die Worte, mit Seufzern unter-
miſcht, einen Weg.

O ihr Myriaden unſterblicher Geiſter, o
ihr Heere, die ihres gleichen nicht haben, den
Allmaͤchtigen ausgenommen, mit welchem ſelbſt
ihr dennoch nicht ohne Ruhm gefochten habet,
wiewohl der Ausgang des Streits fuͤr euch
entſetzlich war, wie dieſer Platz und dieſe ent-
ſetzliche Veraͤnderung zu erkennen geben, wo-
von man nicht ohne Zorn reden kan: Alleine
was vor eine Gemuͤtheskraft, was vor eine
Gabe, das Kuͤnftige vorherzuſehen oder zu er-
rathen, konnte aus der tiefen Betrachtung
des Vergangenen oder des Gegenwaͤrtigen be-
fahren, daß eine ſolche vereinigte Goͤttermacht,

welche
Die Worte mit Seufzern untermiſcht) Der Grund-
Text hat: Die Worte mit Seufzern unterflochten; wovon
Bentley ſagt, es uͤbertreffe alle menſchliche Geſchicklichkeit,
und komme Satan vor eigen zu. Daher er davor leſen
will, mit Seufzern unterbrochen. Seine Critick ſcheint
auf dem Grund zu beruhen, daß es in der That nicht an-
gehe, die Worte und die Seufzer unter einander zu flech-
ten. Alleine wer hat jemahls zur Rechtfertigung einer
Metapher gefodert, daß das, was verglichen wird, und
das, womit es verglichen wird, nur ein Ding und eben
daſſelbe ſeyn? Es iſt genug, daß die Bilder, die verwech-
ſelt werden, eine offenbare Aehnlichkeit mit einander ha-
ben. Der betruͤgliche Schein, da etwas fuͤr das andere
geſetzet wird, kan dem Verſtande dann nicht verborgen blei-
ben. Und wie will Bentley ſeine erwehlte Lesart anderſt,
als auf eben dieſe Weiſe beſchuͤtzen? Worte mit Seufzern
brechen und unterbrechen, iſt eben ſo wohl, als ſie unter-
flechten, eine Metapher, die etwas betruͤgliches in ſich hat,
und gehet in der That eben ſo wenig an.
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[39/0055] Verl. Paradies. I. B. lich fanden die Worte, mit Seufzern unter- miſcht, einen Weg. O ihr Myriaden unſterblicher Geiſter, o ihr Heere, die ihres gleichen nicht haben, den Allmaͤchtigen ausgenommen, mit welchem ſelbſt ihr dennoch nicht ohne Ruhm gefochten habet, wiewohl der Ausgang des Streits fuͤr euch entſetzlich war, wie dieſer Platz und dieſe ent- ſetzliche Veraͤnderung zu erkennen geben, wo- von man nicht ohne Zorn reden kan: Alleine was vor eine Gemuͤtheskraft, was vor eine Gabe, das Kuͤnftige vorherzuſehen oder zu er- rathen, konnte aus der tiefen Betrachtung des Vergangenen oder des Gegenwaͤrtigen be- fahren, daß eine ſolche vereinigte Goͤttermacht, welche Die Worte mit Seufzern untermiſcht) Der Grund- Text hat: Die Worte mit Seufzern unterflochten; wovon Bentley ſagt, es uͤbertreffe alle menſchliche Geſchicklichkeit, und komme Satan vor eigen zu. Daher er davor leſen will, mit Seufzern unterbrochen. Seine Critick ſcheint auf dem Grund zu beruhen, daß es in der That nicht an- gehe, die Worte und die Seufzer unter einander zu flech- ten. Alleine wer hat jemahls zur Rechtfertigung einer Metapher gefodert, daß das, was verglichen wird, und das, womit es verglichen wird, nur ein Ding und eben daſſelbe ſeyn? Es iſt genug, daß die Bilder, die verwech- ſelt werden, eine offenbare Aehnlichkeit mit einander ha- ben. Der betruͤgliche Schein, da etwas fuͤr das andere geſetzet wird, kan dem Verſtande dann nicht verborgen blei- ben. Und wie will Bentley ſeine erwehlte Lesart anderſt, als auf eben dieſe Weiſe beſchuͤtzen? Worte mit Seufzern brechen und unterbrechen, iſt eben ſo wohl, als ſie unter- flechten, eine Metapher, die etwas betruͤgliches in ſich hat, und gehet in der That eben ſo wenig an. C 4

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/55>, abgerufen am 28.04.2024.