[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.Verl. Paradies. I. B. Chaos und der alten Nacht erschreckete. Au-genblicklich sah man in dem düstern Licht zehn- tausend Panniere in die Luft emporsteigen, und von Aurora-Farbe schimmern; mit ihnen stieg ein ungeheurer Wald von Spiessen in die Höhe; und Helme, und Schilde erschienen gedrange und dichtgeschlossen, in einer Schlachtordnung von einer unmenschlichen Breite. Nun ziehen sie in einem vollkommenen Phalanx nach der do- rischen Melodie anmuthiger Flöten und Pfeifen; einer Melodie, welche die Helden des Alter- thums auf den höchsten Grad der Großmuth erhub, wann sie eine Schlacht antraten, und ihnen an statt der Wuth eine gesezte Dapferkeit ein- Nach der Dorischen Melodie) Wie der Poet im zwölf- ten B. in den Gesichtern, die Adam vor Augen geleget worden, die Plätze, die damahls noch ohne Nahmen waren, bey ihren Nahmen genannt, so sie nach der Zeit empfangen haben; also hat er hier dieser Melodie den Nah- men gegeben, den sie lange hernach in Griechenland be- kommen hat. Es ist so viel als wenn er gesagt hätte: Von dieser Art war nach der Zeit die Dorische Melodie. Was von der Würckung dieser Melodie folget, ist noch bey weitem nicht zulänglich, die höllischen Geister, wie Magni geglaubt hat, in einen Stand zu setzen, daß sie den seligen Engeln schier nichts mehr zu mißgönnen hatten; denn die Ruhe und Stille, so sie in der Brust verursach- te, und die Verjagung der Angst und der Pein, so ihr durch eine poetische Vergrösserung zugeschrieben wird, sind nur flüchtige und betrügliche Symptomata, von keiner Dauer und von keiner Sicherheit. Die unruhigen Gedan- ken wurden nicht aus dem Wege geraumet, sondern nur eingeschläffert, der Schmertze nicht geheilet, sondern nur gebannet. C [Critische Samml.]
Verl. Paradies. I. B. Chaos und der alten Nacht erſchreckete. Au-genblicklich ſah man in dem duͤſtern Licht zehn- tauſend Panniere in die Luft emporſteigen, und von Aurora-Farbe ſchimmern; mit ihnen ſtieg ein ungeheurer Wald von Spieſſen in die Hoͤhe; und Helme, und Schilde erſchienen gedrange und dichtgeſchloſſen, in einer Schlachtordnung von einer unmenſchlichen Breite. Nun ziehen ſie in einem vollkommenen Phalanx nach der do- riſchen Melodie anmuthiger Floͤten und Pfeifen; einer Melodie, welche die Helden des Alter- thums auf den hoͤchſten Grad der Großmuth erhub, wann ſie eine Schlacht antraten, und ihnen an ſtatt der Wuth eine geſezte Dapferkeit ein- Nach der Doriſchen Melodie) Wie der Poet im zwoͤlf- ten B. in den Geſichtern, die Adam vor Augen geleget worden, die Plaͤtze, die damahls noch ohne Nahmen waren, bey ihren Nahmen genannt, ſo ſie nach der Zeit empfangen haben; alſo hat er hier dieſer Melodie den Nah- men gegeben, den ſie lange hernach in Griechenland be- kommen hat. Es iſt ſo viel als wenn er geſagt haͤtte: Von dieſer Art war nach der Zeit die Doriſche Melodie. Was von der Wuͤrckung dieſer Melodie folget, iſt noch bey weitem nicht zulaͤnglich, die hoͤlliſchen Geiſter, wie Magni geglaubt hat, in einen Stand zu ſetzen, daß ſie den ſeligen Engeln ſchier nichts mehr zu mißgoͤnnen hatten; denn die Ruhe und Stille, ſo ſie in der Bruſt verurſach- te, und die Verjagung der Angſt und der Pein, ſo ihr durch eine poetiſche Vergroͤſſerung zugeſchrieben wird, ſind nur fluͤchtige und betruͤgliche Symptomata, von keiner Dauer und von keiner Sicherheit. Die unruhigen Gedan- ken wurden nicht aus dem Wege geraumet, ſondern nur eingeſchlaͤffert, der Schmertze nicht geheilet, ſondern nur gebannet. C [Critiſche Sam̃l.]
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Verl. Paradies. I. B.
Chaos und der alten Nacht erſchreckete. Au-
genblicklich ſah man in dem duͤſtern Licht zehn-
tauſend Panniere in die Luft emporſteigen, und
von Aurora-Farbe ſchimmern; mit ihnen ſtieg
ein ungeheurer Wald von Spieſſen in die Hoͤhe;
und Helme, und Schilde erſchienen gedrange
und dichtgeſchloſſen, in einer Schlachtordnung
von einer unmenſchlichen Breite. Nun ziehen
ſie in einem vollkommenen Phalanx nach der do-
riſchen Melodie anmuthiger Floͤten und Pfeifen;
einer Melodie, welche die Helden des Alter-
thums auf den hoͤchſten Grad der Großmuth
erhub, wann ſie eine Schlacht antraten, und
ihnen an ſtatt der Wuth eine geſezte Dapferkeit
ein-
Nach der Doriſchen Melodie) Wie der Poet im zwoͤlf-
ten B. in den Geſichtern, die Adam vor Augen geleget
worden, die Plaͤtze, die damahls noch ohne Nahmen
waren, bey ihren Nahmen genannt, ſo ſie nach der Zeit
empfangen haben; alſo hat er hier dieſer Melodie den Nah-
men gegeben, den ſie lange hernach in Griechenland be-
kommen hat. Es iſt ſo viel als wenn er geſagt haͤtte:
Von dieſer Art war nach der Zeit die Doriſche Melodie.
Was von der Wuͤrckung dieſer Melodie folget, iſt noch
bey weitem nicht zulaͤnglich, die hoͤlliſchen Geiſter, wie
Magni geglaubt hat, in einen Stand zu ſetzen, daß ſie
den ſeligen Engeln ſchier nichts mehr zu mißgoͤnnen hatten;
denn die Ruhe und Stille, ſo ſie in der Bruſt verurſach-
te, und die Verjagung der Angſt und der Pein, ſo ihr
durch eine poetiſche Vergroͤſſerung zugeſchrieben wird,
ſind nur fluͤchtige und betruͤgliche Symptomata, von keiner
Dauer und von keiner Sicherheit. Die unruhigen Gedan-
ken wurden nicht aus dem Wege geraumet, ſondern nur
eingeſchlaͤffert, der Schmertze nicht geheilet, ſondern nur
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