[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.Von dem Sinnreichen Untergang eines Tytannen, entdecket ein Froh-locken bey allen; daß auch ein sterbender He- rodes sein Testament zu einem Blut-Urtheile machen muß, damit, wo nicht sein Abschied, doch zum wenigsten das Angedencken seiner Grausamkeit nasse Augen verursachen möge. Da ist nichts gemeiners, als daß man die Lob- schriften und Ehrenpforten mit Füssen tritt, daran Heucheley oder Zwang gearbeitet hat. Diese vortreffliche Stelle ist vielmehr ein Exempel einer starcken und nachdrücklichen, als einer scharf- sinnigen Schreibart; weil darinne keine Aehnlich- keiten der Dinge vorkommen, hingegen kräftige Ausdrückungen, die uns lebhafte und hohe Begrif- fe erwecken. Der Untergang eines Tyrannen entdecket ein Frolocken bey allen; dieses läßt euch gedencken, daß man beym Leben eines Ty- rannen nur nicht einmahl die Freiheit hat, die Em- pfindungen seines Hertzens an den Tag zu geben; daß dieses Frolocken schon zuvor in der Hoffnung oder dem Wunsche der gedrückten Unterthanen ver- borgen gelegen. Also stecket die gantze Kraft dieses Ausdrucks in dem Worte entdecken, und daß diese Würckung dem Untergange zugeschrieben wird; sobald ihr dieses verändert, so verliert sich bey gleichem Verstande der Nachdruck dieses Sa- zes; wenn ihr z. E. saget: Ueber dem Tode ei- nes Tyrannen entstehet ein allgemeines Frolo- ken. Diese Art des Ausdrucks ist bey weitem nicht von der Stärcke, als die, deren sich Canitz bedient hat. Von gleicher Art sind auch folgende Ausdrücke: Das Testament zu einem Blutur- theil
Von dem Sinnreichen Untergang eines Tytannen, entdecket ein Froh-locken bey allen; daß auch ein ſterbender He- rodes ſein Teſtament zu einem Blut-Urtheile machen muß, damit, wo nicht ſein Abſchied, doch zum wenigſten das Angedencken ſeiner Grauſamkeit naſſe Augen verurſachen moͤge. Da iſt nichts gemeiners, als daß man die Lob- ſchriften und Ehrenpforten mit Fuͤſſen tritt, daran Heucheley oder Zwang gearbeitet hat. Dieſe vortreffliche Stelle iſt vielmehr ein Exempel einer ſtarcken und nachdruͤcklichen, als einer ſcharf- ſinnigen Schreibart; weil darinne keine Aehnlich- keiten der Dinge vorkommen, hingegen kraͤftige Ausdruͤckungen, die uns lebhafte und hohe Begrif- fe erwecken. Der Untergang eines Tyrannen entdecket ein Frolocken bey allen; dieſes laͤßt euch gedencken, daß man beym Leben eines Ty- rannen nur nicht einmahl die Freiheit hat, die Em- pfindungen ſeines Hertzens an den Tag zu geben; daß dieſes Frolocken ſchon zuvor in der Hoffnung oder dem Wunſche der gedruͤckten Unterthanen ver- borgen gelegen. Alſo ſtecket die gantze Kraft dieſes Ausdrucks in dem Worte entdecken, und daß dieſe Wuͤrckung dem Untergange zugeſchrieben wird; ſobald ihr dieſes veraͤndert, ſo verliert ſich bey gleichem Verſtande der Nachdruck dieſes Sa- zes; wenn ihr z. E. ſaget: Ueber dem Tode ei- nes Tyrannen entſtehet ein allgemeines Frolo- ken. Dieſe Art des Ausdrucks iſt bey weitem nicht von der Staͤrcke, als die, deren ſich Canitz bedient hat. Von gleicher Art ſind auch folgende Ausdruͤcke: Das Teſtament zu einem Blutur- theil
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Von dem Sinnreichen
Untergang eines Tytannen, entdecket ein Froh-
locken bey allen; daß auch ein ſterbender He-
rodes ſein Teſtament zu einem Blut-Urtheile
machen muß, damit, wo nicht ſein Abſchied,
doch zum wenigſten das Angedencken ſeiner
Grauſamkeit naſſe Augen verurſachen moͤge.
Da iſt nichts gemeiners, als daß man die Lob-
ſchriften und Ehrenpforten mit Fuͤſſen tritt,
daran Heucheley oder Zwang gearbeitet hat.
Dieſe vortreffliche Stelle iſt vielmehr ein Exempel
einer ſtarcken und nachdruͤcklichen, als einer ſcharf-
ſinnigen Schreibart; weil darinne keine Aehnlich-
keiten der Dinge vorkommen, hingegen kraͤftige
Ausdruͤckungen, die uns lebhafte und hohe Begrif-
fe erwecken. Der Untergang eines Tyrannen
entdecket ein Frolocken bey allen; dieſes laͤßt
euch gedencken, daß man beym Leben eines Ty-
rannen nur nicht einmahl die Freiheit hat, die Em-
pfindungen ſeines Hertzens an den Tag zu geben;
daß dieſes Frolocken ſchon zuvor in der Hoffnung
oder dem Wunſche der gedruͤckten Unterthanen ver-
borgen gelegen. Alſo ſtecket die gantze Kraft dieſes
Ausdrucks in dem Worte entdecken, und daß
dieſe Wuͤrckung dem Untergange zugeſchrieben
wird; ſobald ihr dieſes veraͤndert, ſo verliert ſich
bey gleichem Verſtande der Nachdruck dieſes Sa-
zes; wenn ihr z. E. ſaget: Ueber dem Tode ei-
nes Tyrannen entſtehet ein allgemeines Frolo-
ken. Dieſe Art des Ausdrucks iſt bey weitem
nicht von der Staͤrcke, als die, deren ſich Canitz
bedient hat. Von gleicher Art ſind auch folgende
Ausdruͤcke: Das Teſtament zu einem Blutur-
theil
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