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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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und dem Scharfsinnigen.
chert, hat er ausser einer bald nach der Geburt
wieder erblichenen Johannen, keine als diese
einzige Tochter erzeuget. So werden die Edel-
gesteine nur einzeln gefunden; und so sparsam
war das Verhängniß gegen denjenigen mit
Töchtern, der das gemeine Wesen zur Toch-
ter hatte.
Diese Stelle ist zwar sinnreich; aber
nicht scharfsinnig, weil die Aehnlichkeiten in den
Vergleichungen allzuweit entfernt sind. Jch will
gerne zugeben, daß Edelgesteine nur einzeln gefunden
werden; aber einzele Töchter sind nicht allemal Edel-
gesteine, u. es ist eben keine Nothwendigkeit, daß die
Auferziehung schlimm seyn müsse, wo viele Töchter
sind. Man kan diese Edelgesteine, ich meine wolgesit-
tete Töchter, eben so oft in volckreichen Haushaltun-
gen antreffen, als wo nur einzele Töchter sind. Fer-
ner; was ist für eine grössere Aehnlichkeit zwischen ei-
ner Tochter und dem gemeinen Wesen, als zwischen
einem Sohne und demselben? Was heißt, das ge-
meine Wesen zur Tochter haben?
Nichts anders,
als für die Wohlfarth desselben getreulich wachen
und sorgen. Warum muß aber der so wenig Töch-
ter haben, dem die Wohlfarth des gemeinen We-
sens angelegen ist? Es ist also diese Stelle, wie-
wol sie sinnreich ist, dennoch ein frostiges Spiel
der Einbildung, oder, des Geistes. Opitz hat
dieses Sinnbild geschickt angewendet, in dem
dritten B. der Poet. Wälder.

Die durch viel Frömmigkeit ihr Kind, das Vaterland,
Vielmehr geschüzet hat, als jemand mit der Hand.

Das dritte Beyspiel ist aus des Herrn von Ca-
niz
Klag-Rede über die damahlige Brandenbur-
gische Churprincessin Henriette genommen. Der

Unter-
G 2

und dem Scharfſinnigen.
chert, hat er auſſer einer bald nach der Geburt
wieder erblichenen Johannen, keine als dieſe
einzige Tochter erzeuget. So werden die Edel-
geſteine nur einzeln gefunden; und ſo ſparſam
war das Verhaͤngniß gegen denjenigen mit
Toͤchtern, der das gemeine Weſen zur Toch-
ter hatte.
Dieſe Stelle iſt zwar ſinnreich; aber
nicht ſcharfſinnig, weil die Aehnlichkeiten in den
Vergleichungen allzuweit entfernt ſind. Jch will
gerne zugeben, daß Edelgeſteine nur einzeln gefunden
werden; aber einzele Toͤchter ſind nicht allemal Edel-
geſteine, u. es iſt eben keine Nothwendigkeit, daß die
Auferziehung ſchlimm ſeyn muͤſſe, wo viele Toͤchter
ſind. Man kan dieſe Edelgeſteine, ich meine wolgeſit-
tete Toͤchter, eben ſo oft in volckreichen Haushaltun-
gen antreffen, als wo nur einzele Toͤchter ſind. Fer-
ner; was iſt fuͤr eine groͤſſere Aehnlichkeit zwiſchen ei-
ner Tochter und dem gemeinen Weſen, als zwiſchen
einem Sohne und demſelben? Was heißt, das ge-
meine Weſen zur Tochter haben?
Nichts anders,
als fuͤr die Wohlfarth deſſelben getreulich wachen
und ſorgen. Warum muß aber der ſo wenig Toͤch-
ter haben, dem die Wohlfarth des gemeinen We-
ſens angelegen iſt? Es iſt alſo dieſe Stelle, wie-
wol ſie ſinnreich iſt, dennoch ein froſtiges Spiel
der Einbildung, oder, des Geiſtes. Opitz hat
dieſes Sinnbild geſchickt angewendet, in dem
dritten B. der Poet. Waͤlder.

Die durch viel Froͤmmigkeit ihr Kind, das Vaterland,
Vielmehr geſchuͤzet hat, als jemand mit der Hand.

Das dritte Beyſpiel iſt aus des Herrn von Ca-
niz
Klag-Rede uͤber die damahlige Brandenbur-
giſche Churprinceſſin Henriette genommen. Der

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G 2
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[99/0115] und dem Scharfſinnigen. chert, hat er auſſer einer bald nach der Geburt wieder erblichenen Johannen, keine als dieſe einzige Tochter erzeuget. So werden die Edel- geſteine nur einzeln gefunden; und ſo ſparſam war das Verhaͤngniß gegen denjenigen mit Toͤchtern, der das gemeine Weſen zur Toch- ter hatte. Dieſe Stelle iſt zwar ſinnreich; aber nicht ſcharfſinnig, weil die Aehnlichkeiten in den Vergleichungen allzuweit entfernt ſind. Jch will gerne zugeben, daß Edelgeſteine nur einzeln gefunden werden; aber einzele Toͤchter ſind nicht allemal Edel- geſteine, u. es iſt eben keine Nothwendigkeit, daß die Auferziehung ſchlimm ſeyn muͤſſe, wo viele Toͤchter ſind. Man kan dieſe Edelgeſteine, ich meine wolgeſit- tete Toͤchter, eben ſo oft in volckreichen Haushaltun- gen antreffen, als wo nur einzele Toͤchter ſind. Fer- ner; was iſt fuͤr eine groͤſſere Aehnlichkeit zwiſchen ei- ner Tochter und dem gemeinen Weſen, als zwiſchen einem Sohne und demſelben? Was heißt, das ge- meine Weſen zur Tochter haben? Nichts anders, als fuͤr die Wohlfarth deſſelben getreulich wachen und ſorgen. Warum muß aber der ſo wenig Toͤch- ter haben, dem die Wohlfarth des gemeinen We- ſens angelegen iſt? Es iſt alſo dieſe Stelle, wie- wol ſie ſinnreich iſt, dennoch ein froſtiges Spiel der Einbildung, oder, des Geiſtes. Opitz hat dieſes Sinnbild geſchickt angewendet, in dem dritten B. der Poet. Waͤlder. Die durch viel Froͤmmigkeit ihr Kind, das Vaterland, Vielmehr geſchuͤzet hat, als jemand mit der Hand. Das dritte Beyſpiel iſt aus des Herrn von Ca- niz Klag-Rede uͤber die damahlige Brandenbur- giſche Churprinceſſin Henriette genommen. Der Unter- G 2

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/115>, abgerufen am 24.11.2024.