ben. Warum solten wir so viel Jahre zubrin- gen, den Geschmak zu suchen, der doch schon gefunden ist? Die Betrachtungen der Schrif- ten der vortrefflichen ausländischen Scribenten sowohl der alten als der neuen, wohlüberlegte Anmerckungen darüber, wovon sie selbst schon gründliche Lehrbücher geschrieben haben, leh- ren uns viele Sachen, auf welche das eigne Erfinden den fertigsten Geist sehr langsam und sptäh geführt hätte; man kan sich in einem Tage derer Kunst- und Handgriffe bemächti- gen, welche den Erfindern viele Jahre Arbeit und Nachsuchen gekostet haben. Wir wollen darum der Hoffnung, diese allgemeine Verbes- serung zum Stande gebracht zu sehen, kein solch entferntes Ziel sezen, das weit über un- ser Leben hinausreichet. Statt die Gemü- ther durch dergleichen zaghafte Ausrechnungen niederzuschlagen, wollen wir vielmehr unser Bestes thun, und denn andern überlassen nach- zusehen, wie weit wir es gebracht haben.
Jn dieser Gemüthesverfassung ist man auf das Vorhaben gefallen, unter dem Titel ei- ner eritisch-poetischen Sammlung ein Werk anzufangen, in welchem den Scribenten, die zu unsren Zeiten mit Poesie, Wohlredenheit, Critick, Sprachlehre, umgehen, Lob und Ta- del nach Verdienen zugetheilet würde; worin- nen die Urtheile nicht auf die veränderlichen
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ben. Warum ſolten wir ſo viel Jahre zubrin- gen, den Geſchmak zu ſuchen, der doch ſchon gefunden iſt? Die Betrachtungen der Schrif- ten der vortrefflichen auslaͤndiſchen Scribenten ſowohl der alten als der neuen, wohluͤberlegte Anmerckungen daruͤber, wovon ſie ſelbſt ſchon gruͤndliche Lehrbuͤcher geſchrieben haben, leh- ren uns viele Sachen, auf welche das eigne Erfinden den fertigſten Geiſt ſehr langſam und ſptaͤh gefuͤhrt haͤtte; man kan ſich in einem Tage derer Kunſt- und Handgriffe bemaͤchti- gen, welche den Erfindern viele Jahre Arbeit und Nachſuchen gekoſtet haben. Wir wollen darum der Hoffnung, dieſe allgemeine Verbeſ- ſerung zum Stande gebracht zu ſehen, kein ſolch entferntes Ziel ſezen, das weit uͤber un- ſer Leben hinausreichet. Statt die Gemuͤ- ther durch dergleichen zaghafte Ausrechnungen niederzuſchlagen, wollen wir vielmehr unſer Beſtes thun, und denn andern uͤberlaſſen nach- zuſehen, wie weit wir es gebracht haben.
Jn dieſer Gemuͤthesverfaſſung iſt man auf das Vorhaben gefallen, unter dem Titel ei- ner eritiſch-poetiſchen Sammlung ein Werk anzufangen, in welchem den Scribenten, die zu unſren Zeiten mit Poeſie, Wohlredenheit, Critick, Sprachlehre, umgehen, Lob und Ta- del nach Verdienen zugetheilet wuͤrde; worin- nen die Urtheile nicht auf die veraͤnderlichen
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[0011]
ben. Warum ſolten wir ſo viel Jahre zubrin-
gen, den Geſchmak zu ſuchen, der doch ſchon
gefunden iſt? Die Betrachtungen der Schrif-
ten der vortrefflichen auslaͤndiſchen Scribenten
ſowohl der alten als der neuen, wohluͤberlegte
Anmerckungen daruͤber, wovon ſie ſelbſt ſchon
gruͤndliche Lehrbuͤcher geſchrieben haben, leh-
ren uns viele Sachen, auf welche das eigne
Erfinden den fertigſten Geiſt ſehr langſam und
ſptaͤh gefuͤhrt haͤtte; man kan ſich in einem
Tage derer Kunſt- und Handgriffe bemaͤchti-
gen, welche den Erfindern viele Jahre Arbeit
und Nachſuchen gekoſtet haben. Wir wollen
darum der Hoffnung, dieſe allgemeine Verbeſ-
ſerung zum Stande gebracht zu ſehen, kein
ſolch entferntes Ziel ſezen, das weit uͤber un-
ſer Leben hinausreichet. Statt die Gemuͤ-
ther durch dergleichen zaghafte Ausrechnungen
niederzuſchlagen, wollen wir vielmehr unſer
Beſtes thun, und denn andern uͤberlaſſen nach-
zuſehen, wie weit wir es gebracht haben.
Jn dieſer Gemuͤthesverfaſſung iſt man auf
das Vorhaben gefallen, unter dem Titel ei-
ner eritiſch-poetiſchen Sammlung ein Werk
anzufangen, in welchem den Scribenten, die
zu unſren Zeiten mit Poeſie, Wohlredenheit,
Critick, Sprachlehre, umgehen, Lob und Ta-
del nach Verdienen zugetheilet wuͤrde; worin-
nen die Urtheile nicht auf die veraͤnderlichen
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/11>, abgerufen am 27.07.2024.
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