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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.
Jede Kriegspartei ist berechtigt, die Lieferung und die Zufuhr von Kriegs-
contrebande zu verhindern, auch wenn dieselbe von Neutralen und auf
neutralen Schiffen besorgt wird.

1. Die Freiheit des neutralen Handels darf nicht zu wirklicher Kriegs-
hülfe mißbraucht
werden, denn diese ist im Widerspruch mit wahrhaft neu-
traler Haltung
. Der Ausdruck Contrebande (urspr. contra bannum,
wider das Verbot) stammt aus dem Mittelalter, als die Päpste unter der Strafe
des Banns (der Excommunication) den Christen verboten, den Ungläubigen, welche
bekriegt wurden, Waffen zuzuführen. Die Rücksichten auf die offenbare Unter-
stützung einer Kriegspartei in ihrer Kriegsführung
überwiegt hier
über die Rücksicht auf die Handelsfreiheit der Neutralen. Der Kriegsstat kann das
nicht dulden, ohne Gefahr für seine Kriegsführung, und ist berechtigt, die Contre-
bande wegzunehmen, weil in ihrer Zufuhr die beabsichtigte Kriegshülfe offen-
bar wird.

2. Im Allgemeinen wird dieser Grundsatz von allen civilisirten, auch von
den neutralen Staten anerkannt, z. B. von der bewaffneten Neutralität von
1780 und von dem Pariser Congreß von 1856. Aber über die Ausdehnung
des Begriffs der Contrebande und über die Mittel, sie zu verhindern, war von jeher
viel Streit. England, als die größte Seemacht, war lange Zeit geneigt, jenen Be-
griff und diese Mittel möglichst weit auszudehnen; und hinwieder die neutralen
Staten, welche vorzugsweise ihren Handel schützen wollten, suchten im Gegentheil
den Begriff möglichst zu beschränken und das Verfahren gegen neutrale Schiffe und
Güter, welchen Contrebande vorgeworfen wurde, zu ermäßigen. Allmählich haben
sich die Ansichten genähert, obwohl sie noch hin und her schwanken. Heute sind alle
Seemächte zugleich stark interessirt, daß nicht im Seekrieg der neutrale Seehandel zu
sehr belästigt und gefährdet werde, und keine ist mehr davor sicher, daß nicht eine
schroffe und übertriebene Anwendung der Mittel gegen die Contrebande auch ihre
Handelsinteressen schwer verletze.

802.

Als Kriegscontrebande sind zu betrachten diejenigen Sachen, welche
einer Kriegspartei zum Behuf und zur Unterstützung der Kriegsführung
als Kriegsmittel und Kriegsausrüstung zugeführt werden.

Daß die Zufuhr solcher Sachen als Contrebande zu beurtheilen sei,
ergibt sich aus dem Grundgedanken mit logischer Nothwendigkeit; und es kann nur
in Frage kommen, einmal ob wirklich im besondern Fall gewisse Sachen der Kriegs-
führung als Mittel zudienen (§ 803) und ob die Absicht der Kriegshülfe vorhanden
oder auch erforderlich sei (§ 806), um die Wegnahme der Contrebande zu begrün-
den. Im Einzelnen kann die Thatfrage oder die Rechtsfrage streitig sein.

Bluntschli, Das Völkerrecht. 28

Recht der Neutralität.
Jede Kriegspartei iſt berechtigt, die Lieferung und die Zufuhr von Kriegs-
contrebande zu verhindern, auch wenn dieſelbe von Neutralen und auf
neutralen Schiffen beſorgt wird.

1. Die Freiheit des neutralen Handels darf nicht zu wirklicher Kriegs-
hülfe mißbraucht
werden, denn dieſe iſt im Widerſpruch mit wahrhaft neu-
traler Haltung
. Der Ausdruck Contrebande (urſpr. contra bannum,
wider das Verbot) ſtammt aus dem Mittelalter, als die Päpſte unter der Strafe
des Banns (der Excommunication) den Chriſten verboten, den Ungläubigen, welche
bekriegt wurden, Waffen zuzuführen. Die Rückſichten auf die offenbare Unter-
ſtützung einer Kriegspartei in ihrer Kriegsführung
überwiegt hier
über die Rückſicht auf die Handelsfreiheit der Neutralen. Der Kriegsſtat kann das
nicht dulden, ohne Gefahr für ſeine Kriegsführung, und iſt berechtigt, die Contre-
bande wegzunehmen, weil in ihrer Zufuhr die beabſichtigte Kriegshülfe offen-
bar wird.

2. Im Allgemeinen wird dieſer Grundſatz von allen civiliſirten, auch von
den neutralen Staten anerkannt, z. B. von der bewaffneten Neutralität von
1780 und von dem Pariſer Congreß von 1856. Aber über die Ausdehnung
des Begriffs der Contrebande und über die Mittel, ſie zu verhindern, war von jeher
viel Streit. England, als die größte Seemacht, war lange Zeit geneigt, jenen Be-
griff und dieſe Mittel möglichſt weit auszudehnen; und hinwieder die neutralen
Staten, welche vorzugsweiſe ihren Handel ſchützen wollten, ſuchten im Gegentheil
den Begriff möglichſt zu beſchränken und das Verfahren gegen neutrale Schiffe und
Güter, welchen Contrebande vorgeworfen wurde, zu ermäßigen. Allmählich haben
ſich die Anſichten genähert, obwohl ſie noch hin und her ſchwanken. Heute ſind alle
Seemächte zugleich ſtark intereſſirt, daß nicht im Seekrieg der neutrale Seehandel zu
ſehr beläſtigt und gefährdet werde, und keine iſt mehr davor ſicher, daß nicht eine
ſchroffe und übertriebene Anwendung der Mittel gegen die Contrebande auch ihre
Handelsintereſſen ſchwer verletze.

802.

Als Kriegscontrebande ſind zu betrachten diejenigen Sachen, welche
einer Kriegspartei zum Behuf und zur Unterſtützung der Kriegsführung
als Kriegsmittel und Kriegsausrüſtung zugeführt werden.

Daß die Zufuhr ſolcher Sachen als Contrebande zu beurtheilen ſei,
ergibt ſich aus dem Grundgedanken mit logiſcher Nothwendigkeit; und es kann nur
in Frage kommen, einmal ob wirklich im beſondern Fall gewiſſe Sachen der Kriegs-
führung als Mittel zudienen (§ 803) und ob die Abſicht der Kriegshülfe vorhanden
oder auch erforderlich ſei (§ 806), um die Wegnahme der Contrebande zu begrün-
den. Im Einzelnen kann die Thatfrage oder die Rechtsfrage ſtreitig ſein.

Bluntſchli, Das Völkerrecht. 28
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[433/0455] Recht der Neutralität. Jede Kriegspartei iſt berechtigt, die Lieferung und die Zufuhr von Kriegs- contrebande zu verhindern, auch wenn dieſelbe von Neutralen und auf neutralen Schiffen beſorgt wird. 1. Die Freiheit des neutralen Handels darf nicht zu wirklicher Kriegs- hülfe mißbraucht werden, denn dieſe iſt im Widerſpruch mit wahrhaft neu- traler Haltung. Der Ausdruck Contrebande (urſpr. contra bannum, wider das Verbot) ſtammt aus dem Mittelalter, als die Päpſte unter der Strafe des Banns (der Excommunication) den Chriſten verboten, den Ungläubigen, welche bekriegt wurden, Waffen zuzuführen. Die Rückſichten auf die offenbare Unter- ſtützung einer Kriegspartei in ihrer Kriegsführung überwiegt hier über die Rückſicht auf die Handelsfreiheit der Neutralen. Der Kriegsſtat kann das nicht dulden, ohne Gefahr für ſeine Kriegsführung, und iſt berechtigt, die Contre- bande wegzunehmen, weil in ihrer Zufuhr die beabſichtigte Kriegshülfe offen- bar wird. 2. Im Allgemeinen wird dieſer Grundſatz von allen civiliſirten, auch von den neutralen Staten anerkannt, z. B. von der bewaffneten Neutralität von 1780 und von dem Pariſer Congreß von 1856. Aber über die Ausdehnung des Begriffs der Contrebande und über die Mittel, ſie zu verhindern, war von jeher viel Streit. England, als die größte Seemacht, war lange Zeit geneigt, jenen Be- griff und dieſe Mittel möglichſt weit auszudehnen; und hinwieder die neutralen Staten, welche vorzugsweiſe ihren Handel ſchützen wollten, ſuchten im Gegentheil den Begriff möglichſt zu beſchränken und das Verfahren gegen neutrale Schiffe und Güter, welchen Contrebande vorgeworfen wurde, zu ermäßigen. Allmählich haben ſich die Anſichten genähert, obwohl ſie noch hin und her ſchwanken. Heute ſind alle Seemächte zugleich ſtark intereſſirt, daß nicht im Seekrieg der neutrale Seehandel zu ſehr beläſtigt und gefährdet werde, und keine iſt mehr davor ſicher, daß nicht eine ſchroffe und übertriebene Anwendung der Mittel gegen die Contrebande auch ihre Handelsintereſſen ſchwer verletze. 802. Als Kriegscontrebande ſind zu betrachten diejenigen Sachen, welche einer Kriegspartei zum Behuf und zur Unterſtützung der Kriegsführung als Kriegsmittel und Kriegsausrüſtung zugeführt werden. Daß die Zufuhr ſolcher Sachen als Contrebande zu beurtheilen ſei, ergibt ſich aus dem Grundgedanken mit logiſcher Nothwendigkeit; und es kann nur in Frage kommen, einmal ob wirklich im beſondern Fall gewiſſe Sachen der Kriegs- führung als Mittel zudienen (§ 803) und ob die Abſicht der Kriegshülfe vorhanden oder auch erforderlich ſei (§ 806), um die Wegnahme der Contrebande zu begrün- den. Im Einzelnen kann die Thatfrage oder die Rechtsfrage ſtreitig ſein. Bluntſchli, Das Völkerrecht. 28

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/455>, abgerufen am 23.11.2024.