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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Das Kriegsrecht.
wieder schließen und neue Werke erbauen, denn wäre die Waffenruhe nicht eingetre-
ten, so könnte der Belagerte diese Ausbesserung durch seine Geschütze verhindern.
Ebenso wenig darf der Belagerte inzwischen neue Truppen in die Festung wer-
fen, deren Anmarsch ohne die Waffenruhe der Feind zu verhindern versuchte. Dagegen
wirkt die Ruhe immerhin stärkend für beide Theile, insofern sie sich dabei von der
Anstrengung des Kampfs erholen. Auch ist keine Partei gehindert, fern von dem
eigentlichen Kriegsschauplatz, wo daher eine Behinderung durch Feindesgewalt zunächst
nicht möglich wäre, Truppen auszuheben, zu sammeln, zum Kriege vorzubereiten.
Ausführliche Erörterungen darüber hat Vattel III. § 245 ff.

692.

In der Zwischenzeit darf die Kriegspartei wohl Plätze in Besitz
nehmen, welche von dem Feinde aufgegeben sind, aber nicht, was nur
zufällig von demselben nicht besetzt oder verwahrt ist.

Vattel § 252: "C'est une hostilite que d'enlever a l'ennemi ce qu'il
pretend retenir"
.

693.

Ob es während des Waffenstillstandes den Bewohnern gestattet sei,
unbelästigt hin und her zu gehen zwischen den beiderseits besetzten Gebieten
und den Verkehr zu erneuern, hängt theils von den Umständen ab, unter
denen derselbe geschlossen worden ist, theils von der Erlaubniß oder dem
Verbot der Kriegsgewalt. Bei dauernden und allgemeinen Waffenstill-
ständen wird die Freiheit des Verkehrs vermuthet.

Nur der allgemeine auf eine längere Zeit abgeschlossene Waffenstillstand ist ein
Bild des Friedens, und daher im Zweifel der friedliche Verkehr während des-
selben überall gestattet. Bei einer kurzen, zu bestimmten Zwecken abgeschlossenen Waffen-
ruhe stehen oft die militärischen Rücksichten auf die mögliche und oft sogar wahrschein-
liche Erneuerung des Kampfs dieser Freigebung des Verkehrs zwischen den beiden
von Truppen besetzten Gebieten im Wege.

694.

Geht die Frist zu Ende ohne Stundung der Waffenruhe, oder ohne
Erneuerung des Waffenstillstandes oder ohne Friedensschluß, so bedarf es
keiner Kündigung, sondern können die Feindseligkeiten sofort wieder auf-
genommen und fortgesetzt werden.

Die Fristbestimmung beschränkt die Dauer der Waffenruhe und des
Waffenstillstands. Ist die Frist abgelaufen, so hört damit die Wirksamkeit der Ver-

Das Kriegsrecht.
wieder ſchließen und neue Werke erbauen, denn wäre die Waffenruhe nicht eingetre-
ten, ſo könnte der Belagerte dieſe Ausbeſſerung durch ſeine Geſchütze verhindern.
Ebenſo wenig darf der Belagerte inzwiſchen neue Truppen in die Feſtung wer-
fen, deren Anmarſch ohne die Waffenruhe der Feind zu verhindern verſuchte. Dagegen
wirkt die Ruhe immerhin ſtärkend für beide Theile, inſofern ſie ſich dabei von der
Anſtrengung des Kampfs erholen. Auch iſt keine Partei gehindert, fern von dem
eigentlichen Kriegsſchauplatz, wo daher eine Behinderung durch Feindesgewalt zunächſt
nicht möglich wäre, Truppen auszuheben, zu ſammeln, zum Kriege vorzubereiten.
Ausführliche Erörterungen darüber hat Vattel III. § 245 ff.

692.

In der Zwiſchenzeit darf die Kriegspartei wohl Plätze in Beſitz
nehmen, welche von dem Feinde aufgegeben ſind, aber nicht, was nur
zufällig von demſelben nicht beſetzt oder verwahrt iſt.

Vattel § 252: „C’est une hostilité que d’enlever à l’ennemi ce qu’il
prétend retenir“
.

693.

Ob es während des Waffenſtillſtandes den Bewohnern geſtattet ſei,
unbeläſtigt hin und her zu gehen zwiſchen den beiderſeits beſetzten Gebieten
und den Verkehr zu erneuern, hängt theils von den Umſtänden ab, unter
denen derſelbe geſchloſſen worden iſt, theils von der Erlaubniß oder dem
Verbot der Kriegsgewalt. Bei dauernden und allgemeinen Waffenſtill-
ſtänden wird die Freiheit des Verkehrs vermuthet.

Nur der allgemeine auf eine längere Zeit abgeſchloſſene Waffenſtillſtand iſt ein
Bild des Friedens, und daher im Zweifel der friedliche Verkehr während des-
ſelben überall geſtattet. Bei einer kurzen, zu beſtimmten Zwecken abgeſchloſſenen Waffen-
ruhe ſtehen oft die militäriſchen Rückſichten auf die mögliche und oft ſogar wahrſchein-
liche Erneuerung des Kampfs dieſer Freigebung des Verkehrs zwiſchen den beiden
von Truppen beſetzten Gebieten im Wege.

694.

Geht die Friſt zu Ende ohne Stundung der Waffenruhe, oder ohne
Erneuerung des Waffenſtillſtandes oder ohne Friedensſchluß, ſo bedarf es
keiner Kündigung, ſondern können die Feindſeligkeiten ſofort wieder auf-
genommen und fortgeſetzt werden.

Die Friſtbeſtimmung beſchränkt die Dauer der Waffenruhe und des
Waffenſtillſtands. Iſt die Friſt abgelaufen, ſo hört damit die Wirkſamkeit der Ver-

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[377/0399] Das Kriegsrecht. wieder ſchließen und neue Werke erbauen, denn wäre die Waffenruhe nicht eingetre- ten, ſo könnte der Belagerte dieſe Ausbeſſerung durch ſeine Geſchütze verhindern. Ebenſo wenig darf der Belagerte inzwiſchen neue Truppen in die Feſtung wer- fen, deren Anmarſch ohne die Waffenruhe der Feind zu verhindern verſuchte. Dagegen wirkt die Ruhe immerhin ſtärkend für beide Theile, inſofern ſie ſich dabei von der Anſtrengung des Kampfs erholen. Auch iſt keine Partei gehindert, fern von dem eigentlichen Kriegsſchauplatz, wo daher eine Behinderung durch Feindesgewalt zunächſt nicht möglich wäre, Truppen auszuheben, zu ſammeln, zum Kriege vorzubereiten. Ausführliche Erörterungen darüber hat Vattel III. § 245 ff. 692. In der Zwiſchenzeit darf die Kriegspartei wohl Plätze in Beſitz nehmen, welche von dem Feinde aufgegeben ſind, aber nicht, was nur zufällig von demſelben nicht beſetzt oder verwahrt iſt. Vattel § 252: „C’est une hostilité que d’enlever à l’ennemi ce qu’il prétend retenir“. 693. Ob es während des Waffenſtillſtandes den Bewohnern geſtattet ſei, unbeläſtigt hin und her zu gehen zwiſchen den beiderſeits beſetzten Gebieten und den Verkehr zu erneuern, hängt theils von den Umſtänden ab, unter denen derſelbe geſchloſſen worden iſt, theils von der Erlaubniß oder dem Verbot der Kriegsgewalt. Bei dauernden und allgemeinen Waffenſtill- ſtänden wird die Freiheit des Verkehrs vermuthet. Nur der allgemeine auf eine längere Zeit abgeſchloſſene Waffenſtillſtand iſt ein Bild des Friedens, und daher im Zweifel der friedliche Verkehr während des- ſelben überall geſtattet. Bei einer kurzen, zu beſtimmten Zwecken abgeſchloſſenen Waffen- ruhe ſtehen oft die militäriſchen Rückſichten auf die mögliche und oft ſogar wahrſchein- liche Erneuerung des Kampfs dieſer Freigebung des Verkehrs zwiſchen den beiden von Truppen beſetzten Gebieten im Wege. 694. Geht die Friſt zu Ende ohne Stundung der Waffenruhe, oder ohne Erneuerung des Waffenſtillſtandes oder ohne Friedensſchluß, ſo bedarf es keiner Kündigung, ſondern können die Feindſeligkeiten ſofort wieder auf- genommen und fortgeſetzt werden. Die Friſtbeſtimmung beſchränkt die Dauer der Waffenruhe und des Waffenſtillſtands. Iſt die Friſt abgelaufen, ſo hört damit die Wirkſamkeit der Ver-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/399>, abgerufen am 22.11.2024.