Bodin sieht in dem Stat "eine Rechtsordnung einer Mehrzahl von Familien und ihrer gemeinsamen Güter in Form der souveränen Gewalt." 2 Ihm ist der Stat vornehmlich auf die Familie, das Gemeingut und die Souveränetät gegründet und er tadelt es an dem antiken Statsgedanken, dasz auf das Glück und Wohlergehen zu viel gesehen werde. Er hat dem Absolutismus des französischen Königthums durch seine Lehre von der Souveränetät des Statsherrschers eine wissenschaftliche Stütze verschafft.
Hugo Grotius lehnt sich noch an die Begriffsbestimmung von Cicero an; aber es ist bei ihm doch ganz deutlich die Wendung zu bemerken zu dem modernen Statsgedanken. Er gründet den Stat, wie die Alten, auf die menschliche Natur, aber er denkt dabei weniger als die Alten an die Menschheit oder ein ganzes Volk; er sieht voraus auf die Einzeln- menschen, die Individuen. Sein Satz: "Hominis proprium sociale" ist keine glückliche Uebertragung des Aristotelischen: o anthropos zoon politikon. Aber sie ist charakteristisch dafür, dasz der moderne Geist nicht wie der antike erst den Stat, und dann das Individuum, sondern vorerst an die Ein- zelnen und dann an ihre Verbindung denkt. Ueberdem sind die scharfe Sonderung der religiösen Gemeinschaft der Kirche von der weltlichen und politischen Statsgemeinschaft und die entschiedene Betonung der persönlichen Freiheit zwei Merk- male der modernen Auffassung des holländischen Autors. Er erklärt den Stat als "die vollkommene Vereinigung freier Menschen, welche sich zum Genusz des Rechts und zum Zwecke gemeinsamer Wohlfahrt verbinden." 3 Die Persönlich- keit des States war ihm nicht unbekannt, aber sie beherrscht
2 De la Republique. I. 1. "Republique est un droit gouvernement de plusieurs mesnages et de ce qui leur est commun avec puissance souveraine."
3Hugo Grotius de J. B. I. I. §. 14. "Est civitas coetus perfectus liberorum hominum, juris fruendi et communis utilitatis causa sociatus." I. 3. §. 7. Prolegom. §. 16. Vgl. Leo, Weltgeschichte IV. S. 149.
Erstes Buch. Der Statsbegriff.
Bodin sieht in dem Stat „eine Rechtsordnung einer Mehrzahl von Familien und ihrer gemeinsamen Güter in Form der souveränen Gewalt.“ 2 Ihm ist der Stat vornehmlich auf die Familie, das Gemeingut und die Souveränetät gegründet und er tadelt es an dem antiken Statsgedanken, dasz auf das Glück und Wohlergehen zu viel gesehen werde. Er hat dem Absolutismus des französischen Königthums durch seine Lehre von der Souveränetät des Statsherrschers eine wissenschaftliche Stütze verschafft.
Hugo Grotius lehnt sich noch an die Begriffsbestimmung von Cicero an; aber es ist bei ihm doch ganz deutlich die Wendung zu bemerken zu dem modernen Statsgedanken. Er gründet den Stat, wie die Alten, auf die menschliche Natur, aber er denkt dabei weniger als die Alten an die Menschheit oder ein ganzes Volk; er sieht voraus auf die Einzeln- menschen, die Individuen. Sein Satz: „Hominis proprium sociale“ ist keine glückliche Uebertragung des Aristotelischen: ὁ ἄνϑϱωπος ζῶον πολιτιϰόν. Aber sie ist charakteristisch dafür, dasz der moderne Geist nicht wie der antike erst den Stat, und dann das Individuum, sondern vorerst an die Ein- zelnen und dann an ihre Verbindung denkt. Ueberdem sind die scharfe Sonderung der religiösen Gemeinschaft der Kirche von der weltlichen und politischen Statsgemeinschaft und die entschiedene Betonung der persönlichen Freiheit zwei Merk- male der modernen Auffassung des holländischen Autors. Er erklärt den Stat als „die vollkommene Vereinigung freier Menschen, welche sich zum Genusz des Rechts und zum Zwecke gemeinsamer Wohlfahrt verbinden.“ 3 Die Persönlich- keit des States war ihm nicht unbekannt, aber sie beherrscht
2 De la République. I. 1. „République est un droit gouvernement de plusieurs mesnages et de ce qui leur est commun avec puissance souveraine.“
3Hugo Grotius de J. B. I. I. §. 14. „Est civitas coetus perfectus liberorum hominum, juris fruendi et communis utilitatis causa sociatus.“ I. 3. §. 7. Prolegom. §. 16. Vgl. Leo, Weltgeschichte IV. S. 149.
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Erstes Buch. Der Statsbegriff.
Bodin sieht in dem Stat „eine Rechtsordnung einer
Mehrzahl von Familien und ihrer gemeinsamen Güter in Form
der souveränen Gewalt.“ 2 Ihm ist der Stat vornehmlich auf
die Familie, das Gemeingut und die Souveränetät gegründet
und er tadelt es an dem antiken Statsgedanken, dasz auf das
Glück und Wohlergehen zu viel gesehen werde. Er hat dem
Absolutismus des französischen Königthums durch seine Lehre
von der Souveränetät des Statsherrschers eine wissenschaftliche
Stütze verschafft.
Hugo Grotius lehnt sich noch an die Begriffsbestimmung
von Cicero an; aber es ist bei ihm doch ganz deutlich die
Wendung zu bemerken zu dem modernen Statsgedanken. Er
gründet den Stat, wie die Alten, auf die menschliche Natur,
aber er denkt dabei weniger als die Alten an die Menschheit
oder ein ganzes Volk; er sieht voraus auf die Einzeln-
menschen, die Individuen. Sein Satz: „Hominis proprium
sociale“ ist keine glückliche Uebertragung des Aristotelischen:
ὁ ἄνϑϱωπος ζῶον πολιτιϰόν. Aber sie ist charakteristisch
dafür, dasz der moderne Geist nicht wie der antike erst den
Stat, und dann das Individuum, sondern vorerst an die Ein-
zelnen und dann an ihre Verbindung denkt. Ueberdem sind
die scharfe Sonderung der religiösen Gemeinschaft der Kirche
von der weltlichen und politischen Statsgemeinschaft und die
entschiedene Betonung der persönlichen Freiheit zwei Merk-
male der modernen Auffassung des holländischen Autors. Er
erklärt den Stat als „die vollkommene Vereinigung freier
Menschen, welche sich zum Genusz des Rechts und zum
Zwecke gemeinsamer Wohlfahrt verbinden.“ 3 Die Persönlich-
keit des States war ihm nicht unbekannt, aber sie beherrscht
2 De la République. I. 1. „République est un droit gouvernement
de plusieurs mesnages et de ce qui leur est commun avec puissance
souveraine.“
3 Hugo Grotius de J. B. I. I. §. 14. „Est civitas coetus perfectus
liberorum hominum, juris fruendi et communis utilitatis causa sociatus.“
I. 3. §. 7. Prolegom. §. 16. Vgl. Leo, Weltgeschichte IV. S. 149.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/88>, abgerufen am 27.11.2024.
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