Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Eilftes Capitel. Ende des Statsdienstes.
Unter Wilhelm III. wurde zuerst bestimmt, dasz die Richter
des gemeinen Rechts nicht wie früher "durante bene placito"
sondern "quamdiu bene gesserint", d. h. auf Wohlverhalten
ernannt seien, aber auch ihre Entfernung wegen Nichtwohl-
verhalten dem immerhin statlichen Ermessen des Königs und
des Parlaments vorbehalten. 5 Auch das nordamerikani-
sche
Statsrecht beruht auf diesen Grundsätzen. 6 Eben so
waren in Frankreich die Regierungsbeamten von alter Zeit
her willkürlich entlaszbar, und nur für die Richter die Un-
absetzbarkeit schon in dem sechszehnten Jahrhundert zur
Regel erhoben.

Thatsächlich genieszen indessen auch in Frankreich die
Beamten eine ziemliche Sicherheit und nur die Revolution
oder besonders heftige politische Kämpfe verlangen zuweilen
eine Anzahl Opfer. 7

In dem deutschen System ist zwar eine Uebertreibung
der privatrechtlichen Rücksichten unverkennbar, aber wenn
dasselbe davon entkleidet und der statsrechtliche Gesichts-
punkt nach Gebühr beachtet wird, so hat es vor dem will-
kürlicheren System anderer constitutioneller Staten nicht blosz
den Vorzug, dasz es die Privatexistenz des Statsdieners sichert,
sondern ebenso den, dasz es auch die Ruhe des Statsorganis-
mus vor Parteiumtrieben und launischer Gunst oder Ungunst
schützt.

Allerdings musz als Grundprincip anerkannt werden, dasz
das Amt für den Stat da ist, und dasz geradeso wie der Stat
die Aemter in seinem Interesse bestellt und übergibt, er auch
berechtigt sein musz, aus Gründen der Statswohlfahrt
einem Beamten das Amt zu entziehen und einer andern

5 Statut 13, Will. III. ch. 3. Unter Georg III. wurde auch die
frühere Erlöschung des Richteramtes durch den Tod des Königs auf-
gehoben.
6 Vergl.
Story III. 38, §. 228.
7 Vivien Etud. Admin. I. 260
f.

Eilftes Capitel. Ende des Statsdienstes.
Unter Wilhelm III. wurde zuerst bestimmt, dasz die Richter
des gemeinen Rechts nicht wie früher „durante bene placito“
sondern „quamdiu bene gesserint“, d. h. auf Wohlverhalten
ernannt seien, aber auch ihre Entfernung wegen Nichtwohl-
verhalten dem immerhin statlichen Ermessen des Königs und
des Parlaments vorbehalten. 5 Auch das nordamerikani-
sche
Statsrecht beruht auf diesen Grundsätzen. 6 Eben so
waren in Frankreich die Regierungsbeamten von alter Zeit
her willkürlich entlaszbar, und nur für die Richter die Un-
absetzbarkeit schon in dem sechszehnten Jahrhundert zur
Regel erhoben.

Thatsächlich genieszen indessen auch in Frankreich die
Beamten eine ziemliche Sicherheit und nur die Revolution
oder besonders heftige politische Kämpfe verlangen zuweilen
eine Anzahl Opfer. 7

In dem deutschen System ist zwar eine Uebertreibung
der privatrechtlichen Rücksichten unverkennbar, aber wenn
dasselbe davon entkleidet und der statsrechtliche Gesichts-
punkt nach Gebühr beachtet wird, so hat es vor dem will-
kürlicheren System anderer constitutioneller Staten nicht blosz
den Vorzug, dasz es die Privatexistenz des Statsdieners sichert,
sondern ebenso den, dasz es auch die Ruhe des Statsorganis-
mus vor Parteiumtrieben und launischer Gunst oder Ungunst
schützt.

Allerdings musz als Grundprincip anerkannt werden, dasz
das Amt für den Stat da ist, und dasz geradeso wie der Stat
die Aemter in seinem Interesse bestellt und übergibt, er auch
berechtigt sein musz, aus Gründen der Statswohlfahrt
einem Beamten das Amt zu entziehen und einer andern

5 Statut 13, Will. III. ch. 3. Unter Georg III. wurde auch die
frühere Erlöschung des Richteramtes durch den Tod des Königs auf-
gehoben.
6 Vergl.
Story III. 38, §. 228.
7 Vivien Étud. Admin. I. 260
f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0649" n="631"/><fw place="top" type="header">Eilftes Capitel. Ende des Statsdienstes.</fw><lb/>
Unter <hi rendition="#g">Wilhelm</hi> III. wurde zuerst bestimmt, dasz die Richter<lb/>
des gemeinen Rechts nicht wie früher &#x201E;durante bene placito&#x201C;<lb/>
sondern &#x201E;quamdiu bene gesserint&#x201C;, d. h. auf Wohlverhalten<lb/>
ernannt seien, aber auch ihre Entfernung wegen Nichtwohl-<lb/>
verhalten dem immerhin statlichen Ermessen des Königs und<lb/>
des Parlaments vorbehalten. <note place="foot" n="5">Statut 13, <hi rendition="#g">Will</hi>. III. ch. 3. Unter <hi rendition="#g">Georg</hi> III. wurde auch die<lb/>
frühere Erlöschung des Richteramtes durch den Tod des Königs auf-<lb/>
gehoben.</note> Auch das <hi rendition="#g">nordamerikani-<lb/>
sche</hi> Statsrecht beruht auf diesen Grundsätzen. <note place="foot" n="6">Vergl.<lb/><hi rendition="#g">Story</hi> III. 38, §. 228.</note> Eben so<lb/>
waren in <hi rendition="#g">Frankreich</hi> die Regierungsbeamten von alter Zeit<lb/>
her willkürlich entlaszbar, und nur für die Richter die Un-<lb/>
absetzbarkeit schon in dem sechszehnten Jahrhundert zur<lb/>
Regel erhoben.</p><lb/>
          <p>Thatsächlich genieszen indessen auch in Frankreich die<lb/>
Beamten eine ziemliche Sicherheit und nur die Revolution<lb/>
oder besonders heftige politische Kämpfe verlangen zuweilen<lb/>
eine Anzahl Opfer. <note place="foot" n="7"><hi rendition="#g">Vivien</hi> Étud. Admin. I. 260<lb/>
f.</note></p><lb/>
          <p>In dem deutschen System ist zwar eine Uebertreibung<lb/>
der privatrechtlichen Rücksichten unverkennbar, aber wenn<lb/>
dasselbe davon entkleidet und der statsrechtliche Gesichts-<lb/>
punkt nach Gebühr beachtet wird, so hat es vor dem will-<lb/>
kürlicheren System anderer constitutioneller Staten nicht blosz<lb/>
den Vorzug, dasz es die Privatexistenz des Statsdieners sichert,<lb/>
sondern ebenso den, dasz es auch die Ruhe des Statsorganis-<lb/>
mus vor Parteiumtrieben und launischer Gunst oder Ungunst<lb/>
schützt.</p><lb/>
          <p>Allerdings musz als Grundprincip anerkannt werden, dasz<lb/>
das Amt für den Stat da ist, und dasz geradeso wie der Stat<lb/>
die Aemter in seinem Interesse bestellt und übergibt, er auch<lb/>
berechtigt sein musz, aus <hi rendition="#g">Gründen</hi> der <hi rendition="#g">Statswohlfahrt</hi><lb/>
einem Beamten das Amt zu <hi rendition="#g">entziehen</hi> und einer andern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[631/0649] Eilftes Capitel. Ende des Statsdienstes. Unter Wilhelm III. wurde zuerst bestimmt, dasz die Richter des gemeinen Rechts nicht wie früher „durante bene placito“ sondern „quamdiu bene gesserint“, d. h. auf Wohlverhalten ernannt seien, aber auch ihre Entfernung wegen Nichtwohl- verhalten dem immerhin statlichen Ermessen des Königs und des Parlaments vorbehalten. 5 Auch das nordamerikani- sche Statsrecht beruht auf diesen Grundsätzen. 6 Eben so waren in Frankreich die Regierungsbeamten von alter Zeit her willkürlich entlaszbar, und nur für die Richter die Un- absetzbarkeit schon in dem sechszehnten Jahrhundert zur Regel erhoben. Thatsächlich genieszen indessen auch in Frankreich die Beamten eine ziemliche Sicherheit und nur die Revolution oder besonders heftige politische Kämpfe verlangen zuweilen eine Anzahl Opfer. 7 In dem deutschen System ist zwar eine Uebertreibung der privatrechtlichen Rücksichten unverkennbar, aber wenn dasselbe davon entkleidet und der statsrechtliche Gesichts- punkt nach Gebühr beachtet wird, so hat es vor dem will- kürlicheren System anderer constitutioneller Staten nicht blosz den Vorzug, dasz es die Privatexistenz des Statsdieners sichert, sondern ebenso den, dasz es auch die Ruhe des Statsorganis- mus vor Parteiumtrieben und launischer Gunst oder Ungunst schützt. Allerdings musz als Grundprincip anerkannt werden, dasz das Amt für den Stat da ist, und dasz geradeso wie der Stat die Aemter in seinem Interesse bestellt und übergibt, er auch berechtigt sein musz, aus Gründen der Statswohlfahrt einem Beamten das Amt zu entziehen und einer andern 5 Statut 13, Will. III. ch. 3. Unter Georg III. wurde auch die frühere Erlöschung des Richteramtes durch den Tod des Königs auf- gehoben. 6 Vergl. Story III. 38, §. 228. 7 Vivien Étud. Admin. I. 260 f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/649
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/649>, abgerufen am 04.05.2024.