Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. könne, ist in verschiedenen Staten in neuerer Zeit verschiedenbeantwortet worden. In Deutschland wurde schon zur Zeit des deutschen Reiches unter dem Einflusse der gelehrten Juri- sten die privatrechtliche Seite in dem Amte zu Gunsten der persönlichen Sicherstellung der Beamten mit groszem Nachdrucke hervorgehoben. Das Amt galt als ein in der Regel auf Lebenszeit verliehenes Recht, welches von der Statsgewalt nicht aus Gutfinden dem Beamten entzogen wer- den dürfe. Nur durch gerichtliches Urtheil sollte derselbe wegen Verletzung seiner Dienstpflicht entsetzt werden dürfen 4 Es fehlte zwar nicht ganz an Stimmen, welche darauf hin- wiesen, dasz auch eine ehrenvolle Entlassung zuweilen aus Statsgründen zu rechtfertigen sei, aber gegen Ende des vori- gen Jahrhunderts wenigstens breitete sich die erstere Meinung immer mehr aus, und es wurde dieser Grundsatz auch in manchen neuern Verfassungen wie ein Fortschritt der Freiheit und eine wichtige Garantie gegen Regierungswillkür proclamirt, theils in Deutschland, theils in neuerer Zeit auch in der Schweiz, obwohl da die meisten Aemter nur periodisch ver- geben werden. In England dagegen hielt schon das politische Partei- 4 Für den Reichshofrath wurde es in der Wahlcapitulation von
1792 ausdrücklich ausgesprochen §. 10: "Auch soll kein Reichshofrath seiner Stelle anders als nach vorhergegangener rechtlicher Cognition und darauf erfolgtem Spruche Rechtens entsetzt werden." Vergl. auch den Reichsdeputations-Hauptschlusz von 1803, §. 91. Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. könne, ist in verschiedenen Staten in neuerer Zeit verschiedenbeantwortet worden. In Deutschland wurde schon zur Zeit des deutschen Reiches unter dem Einflusse der gelehrten Juri- sten die privatrechtliche Seite in dem Amte zu Gunsten der persönlichen Sicherstellung der Beamten mit groszem Nachdrucke hervorgehoben. Das Amt galt als ein in der Regel auf Lebenszeit verliehenes Recht, welches von der Statsgewalt nicht aus Gutfinden dem Beamten entzogen wer- den dürfe. Nur durch gerichtliches Urtheil sollte derselbe wegen Verletzung seiner Dienstpflicht entsetzt werden dürfen 4 Es fehlte zwar nicht ganz an Stimmen, welche darauf hin- wiesen, dasz auch eine ehrenvolle Entlassung zuweilen aus Statsgründen zu rechtfertigen sei, aber gegen Ende des vori- gen Jahrhunderts wenigstens breitete sich die erstere Meinung immer mehr aus, und es wurde dieser Grundsatz auch in manchen neuern Verfassungen wie ein Fortschritt der Freiheit und eine wichtige Garantie gegen Regierungswillkür proclamirt, theils in Deutschland, theils in neuerer Zeit auch in der Schweiz, obwohl da die meisten Aemter nur periodisch ver- geben werden. In England dagegen hielt schon das politische Partei- 4 Für den Reichshofrath wurde es in der Wahlcapitulation von
1792 ausdrücklich ausgesprochen §. 10: „Auch soll kein Reichshofrath seiner Stelle anders als nach vorhergegangener rechtlicher Cognition und darauf erfolgtem Spruche Rechtens entsetzt werden.“ Vergl. auch den Reichsdeputations-Hauptschlusz von 1803, §. 91. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0648" n="630"/><fw place="top" type="header">Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.</fw><lb/> könne, ist in verschiedenen Staten in neuerer Zeit verschieden<lb/> beantwortet worden. In <hi rendition="#g">Deutschland</hi> wurde schon zur Zeit<lb/> des deutschen Reiches unter dem Einflusse der gelehrten Juri-<lb/> sten die <hi rendition="#g">privatrechtliche</hi> Seite in dem Amte zu Gunsten<lb/> der persönlichen Sicherstellung der Beamten mit groszem<lb/> Nachdrucke hervorgehoben. Das Amt galt als ein in der<lb/> Regel auf Lebenszeit verliehenes Recht, welches von der<lb/> Statsgewalt nicht aus Gutfinden dem Beamten entzogen wer-<lb/> den dürfe. Nur durch gerichtliches Urtheil sollte derselbe<lb/> wegen Verletzung seiner Dienstpflicht entsetzt werden dürfen <note place="foot" n="4">Für den Reichshofrath wurde es in der <hi rendition="#g">Wahlcapitulation</hi> von<lb/> 1792 ausdrücklich ausgesprochen §. 10: „Auch soll kein Reichshofrath<lb/> seiner Stelle anders als nach vorhergegangener rechtlicher Cognition und<lb/> darauf erfolgtem Spruche Rechtens entsetzt werden.“ Vergl. auch den<lb/><hi rendition="#g">Reichsdeputations-Hauptschlusz</hi> von 1803, §. 91.</note><lb/> Es fehlte zwar nicht ganz an Stimmen, welche darauf hin-<lb/> wiesen, dasz auch eine ehrenvolle Entlassung zuweilen aus<lb/> Statsgründen zu rechtfertigen sei, aber gegen Ende des vori-<lb/> gen Jahrhunderts wenigstens breitete sich die erstere Meinung<lb/> immer mehr aus, und es wurde dieser Grundsatz auch in<lb/> manchen neuern Verfassungen wie ein Fortschritt der Freiheit<lb/> und eine wichtige Garantie gegen Regierungswillkür proclamirt,<lb/> theils in <hi rendition="#g">Deutschland</hi>, theils in neuerer Zeit auch in der<lb/><hi rendition="#g">Schweiz</hi>, obwohl da die meisten Aemter nur periodisch ver-<lb/> geben werden.</p><lb/> <p>In <hi rendition="#g">England</hi> dagegen hielt schon das politische Partei-<lb/> leben das Bewusztsein wach, dasz das Amt vornehmlich um<lb/> des States und nicht um des Individuums willen gegeben sei,<lb/> und es wurde umgekehrt alles Gewicht auf die <hi rendition="#g">politische</hi><lb/> Bedeutung des Amtes gelegt, daher der Grundsatz festgehalten,<lb/> dasz das Statshaupt wie das Amt zu geben, so auch zu neh-<lb/> men berechtigt und in der Freiheit dieser Befugnisz nicht zu<lb/> beschränken sei. Nur zu Gunsten der Unabhängigkeit der<lb/> Richter wurde eine Ausnahme von diesem Princip eingeführt.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [630/0648]
Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
könne, ist in verschiedenen Staten in neuerer Zeit verschieden
beantwortet worden. In Deutschland wurde schon zur Zeit
des deutschen Reiches unter dem Einflusse der gelehrten Juri-
sten die privatrechtliche Seite in dem Amte zu Gunsten
der persönlichen Sicherstellung der Beamten mit groszem
Nachdrucke hervorgehoben. Das Amt galt als ein in der
Regel auf Lebenszeit verliehenes Recht, welches von der
Statsgewalt nicht aus Gutfinden dem Beamten entzogen wer-
den dürfe. Nur durch gerichtliches Urtheil sollte derselbe
wegen Verletzung seiner Dienstpflicht entsetzt werden dürfen 4
Es fehlte zwar nicht ganz an Stimmen, welche darauf hin-
wiesen, dasz auch eine ehrenvolle Entlassung zuweilen aus
Statsgründen zu rechtfertigen sei, aber gegen Ende des vori-
gen Jahrhunderts wenigstens breitete sich die erstere Meinung
immer mehr aus, und es wurde dieser Grundsatz auch in
manchen neuern Verfassungen wie ein Fortschritt der Freiheit
und eine wichtige Garantie gegen Regierungswillkür proclamirt,
theils in Deutschland, theils in neuerer Zeit auch in der
Schweiz, obwohl da die meisten Aemter nur periodisch ver-
geben werden.
In England dagegen hielt schon das politische Partei-
leben das Bewusztsein wach, dasz das Amt vornehmlich um
des States und nicht um des Individuums willen gegeben sei,
und es wurde umgekehrt alles Gewicht auf die politische
Bedeutung des Amtes gelegt, daher der Grundsatz festgehalten,
dasz das Statshaupt wie das Amt zu geben, so auch zu neh-
men berechtigt und in der Freiheit dieser Befugnisz nicht zu
beschränken sei. Nur zu Gunsten der Unabhängigkeit der
Richter wurde eine Ausnahme von diesem Princip eingeführt.
4 Für den Reichshofrath wurde es in der Wahlcapitulation von
1792 ausdrücklich ausgesprochen §. 10: „Auch soll kein Reichshofrath
seiner Stelle anders als nach vorhergegangener rechtlicher Cognition und
darauf erfolgtem Spruche Rechtens entsetzt werden.“ Vergl. auch den
Reichsdeputations-Hauptschlusz von 1803, §. 91.
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