Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Zehntes Capitel. Rechte und Verpflichtungen der Statsbeamten. zu verhängen. In dieser Beziehung wird zwischen den eigent-lichen Amtsverbrechen, welche der strafgerichtlichen Verfolgung und Bestrafung unterliegen, und andern Amts- pflichtverletzungen, welche dem Disciplinarverfahren anheim fallen, unterschieden. Für jene ist der Standpunkt der öffentlichen Gerechtigkeit entscheidend, für diese die Rücksicht auf die Statswohlfahrt überwiegend. Der allgemeine Gegensatz von Gericht und Polizeigewalt kommt hier zur be- sondern Anwendung. Die erstern werden nach den Normen der gemeinen Strafgesetze und in den Formen des gewohnten Strafprocesses beurtheilt. Nur in zwei Beziehungen hat die Rücksicht auf die Interessen des States verschiedene Modifi- cationen hervorgerufen; einmal insofern die strafgerichtliche Verfolgung eines Amtsverbrechens nach französischem Vorbild an die Vorbedingung einer Anordnung oder Zulassung einer höheren Regierungsstelle oder einer eigens dafür ermächtigten Statsbehörde geknüpft ist, also nicht durch die gewöhnlichen Gerichtsstellen von Amtswegen eingeleitet werden darf, und zweitens indem für die Beurtheilung der Beamten zuweilen besondere Gerichtshöfe angewiesen sind. 4 Das englische Ver- fahren verwirft beide Modificationen, schützt aber die (aristo- kratischen) Beamten durch andere Mittel gegen frivole An- klagen. 5 4 Bayerisches Edict über die Verhältnisse der Statsdiener §. 16. Die preuszischen Verordnungen vom 10. und 11. Julius 1849 unter- scheiden zwischen Amtsverbrechen und bloszen Dienstvergehen, und ent- halten ausführliche Vorschriften über das Dicsiplinarverfahren in den Fällen der letzten Gattung. Die erstere bezieht sich auf die Dienstver- gehen der Richter, die zweite regelt das Verfahren gegen die nichtrichter- lichen Beamten. Vergl. Dollmann Artikel Amtsverbrechen und Amts- vergehen in Bluntschli's Deutschem Statswörterbuch. 5 Fischel Verfassung Englands S. 351. Cox Statseinrichtungen Englands, übersetzt von Kühne S. 305. Wie schwer es auch in Eng- land ist, gegen den furchtbaren Amtsmiszbrauch der Machthaber eine Klage mit Erfolg anzustellen, das hat neuerlich die Geschichte der Unterdrückung des Negeraufstandes in Jamaica gezeigt. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 40
Zehntes Capitel. Rechte und Verpflichtungen der Statsbeamten. zu verhängen. In dieser Beziehung wird zwischen den eigent-lichen Amtsverbrechen, welche der strafgerichtlichen Verfolgung und Bestrafung unterliegen, und andern Amts- pflichtverletzungen, welche dem Disciplinarverfahren anheim fallen, unterschieden. Für jene ist der Standpunkt der öffentlichen Gerechtigkeit entscheidend, für diese die Rücksicht auf die Statswohlfahrt überwiegend. Der allgemeine Gegensatz von Gericht und Polizeigewalt kommt hier zur be- sondern Anwendung. Die erstern werden nach den Normen der gemeinen Strafgesetze und in den Formen des gewohnten Strafprocesses beurtheilt. Nur in zwei Beziehungen hat die Rücksicht auf die Interessen des States verschiedene Modifi- cationen hervorgerufen; einmal insofern die strafgerichtliche Verfolgung eines Amtsverbrechens nach französischem Vorbild an die Vorbedingung einer Anordnung oder Zulassung einer höheren Regierungsstelle oder einer eigens dafür ermächtigten Statsbehörde geknüpft ist, also nicht durch die gewöhnlichen Gerichtsstellen von Amtswegen eingeleitet werden darf, und zweitens indem für die Beurtheilung der Beamten zuweilen besondere Gerichtshöfe angewiesen sind. 4 Das englische Ver- fahren verwirft beide Modificationen, schützt aber die (aristo- kratischen) Beamten durch andere Mittel gegen frivole An- klagen. 5 4 Bayerisches Edict über die Verhältnisse der Statsdiener §. 16. Die preuszischen Verordnungen vom 10. und 11. Julius 1849 unter- scheiden zwischen Amtsverbrechen und bloszen Dienstvergehen, und ent- halten ausführliche Vorschriften über das Dicsiplinarverfahren in den Fällen der letzten Gattung. Die erstere bezieht sich auf die Dienstver- gehen der Richter, die zweite regelt das Verfahren gegen die nichtrichter- lichen Beamten. Vergl. Dollmann Artikel Amtsverbrechen und Amts- vergehen in Bluntschli's Deutschem Statswörterbuch. 5 Fischel Verfassung Englands S. 351. Cox Statseinrichtungen Englands, übersetzt von Kühne S. 305. Wie schwer es auch in Eng- land ist, gegen den furchtbaren Amtsmiszbrauch der Machthaber eine Klage mit Erfolg anzustellen, das hat neuerlich die Geschichte der Unterdrückung des Negeraufstandes in Jamaica gezeigt. Bluntschli, allgemeine Statslehre. 40
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0643" n="625"/><fw place="top" type="header">Zehntes Capitel. Rechte und Verpflichtungen der Statsbeamten.</fw><lb/> zu verhängen. In dieser Beziehung wird zwischen den eigent-<lb/> lichen <hi rendition="#g">Amtsverbrechen</hi>, welche der <hi rendition="#g">strafgerichtlichen</hi><lb/> Verfolgung und Bestrafung unterliegen, und andern <hi rendition="#g">Amts-<lb/> pflichtverletzungen</hi>, welche dem <hi rendition="#g">Disciplinarverfahren</hi><lb/> anheim fallen, unterschieden. Für jene ist der Standpunkt<lb/> der öffentlichen Gerechtigkeit entscheidend, für diese die<lb/> Rücksicht auf die Statswohlfahrt überwiegend. Der allgemeine<lb/> Gegensatz von Gericht und Polizeigewalt kommt hier zur be-<lb/> sondern Anwendung. Die erstern werden nach den Normen<lb/> der gemeinen Strafgesetze und in den Formen des gewohnten<lb/> Strafprocesses beurtheilt. Nur in zwei Beziehungen hat die<lb/> Rücksicht auf die Interessen des States verschiedene Modifi-<lb/> cationen hervorgerufen; einmal insofern die strafgerichtliche<lb/> Verfolgung eines Amtsverbrechens nach französischem Vorbild<lb/> an die Vorbedingung einer Anordnung oder Zulassung einer<lb/> höheren Regierungsstelle oder einer eigens dafür ermächtigten<lb/> Statsbehörde geknüpft ist, also nicht durch die gewöhnlichen<lb/> Gerichtsstellen von Amtswegen eingeleitet werden darf, und<lb/> zweitens indem für die Beurtheilung der Beamten zuweilen<lb/> besondere Gerichtshöfe angewiesen sind. <note place="foot" n="4"><hi rendition="#g">Bayerisches</hi> Edict über die Verhältnisse der Statsdiener §. 16.<lb/> Die <hi rendition="#g">preuszischen</hi> Verordnungen vom 10. und 11. Julius 1849 unter-<lb/> scheiden zwischen Amtsverbrechen und bloszen Dienstvergehen, und ent-<lb/> halten ausführliche Vorschriften über das Dicsiplinarverfahren in den<lb/> Fällen der letzten Gattung. Die erstere bezieht sich auf die Dienstver-<lb/> gehen der Richter, die zweite regelt das Verfahren gegen die nichtrichter-<lb/> lichen Beamten. Vergl. <hi rendition="#g">Dollmann</hi> Artikel Amtsverbrechen und Amts-<lb/> vergehen in <hi rendition="#g">Bluntschli's</hi> Deutschem Statswörterbuch.</note> Das englische Ver-<lb/> fahren verwirft beide Modificationen, schützt aber die (aristo-<lb/> kratischen) Beamten durch andere Mittel gegen frivole An-<lb/> klagen. <note place="foot" n="5"><hi rendition="#g">Fischel</hi> Verfassung Englands S. 351. <hi rendition="#g">Cox</hi><lb/> Statseinrichtungen<lb/> Englands, übersetzt von <hi rendition="#g">Kühne</hi> S. 305. Wie schwer es auch in Eng-<lb/> land ist, gegen den furchtbaren Amtsmiszbrauch der Machthaber eine<lb/> Klage mit Erfolg anzustellen, das hat neuerlich die Geschichte der<lb/> Unterdrückung des Negeraufstandes in Jamaica gezeigt.</note></p><lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Bluntschli</hi>, allgemeine Statslehre. 40</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [625/0643]
Zehntes Capitel. Rechte und Verpflichtungen der Statsbeamten.
zu verhängen. In dieser Beziehung wird zwischen den eigent-
lichen Amtsverbrechen, welche der strafgerichtlichen
Verfolgung und Bestrafung unterliegen, und andern Amts-
pflichtverletzungen, welche dem Disciplinarverfahren
anheim fallen, unterschieden. Für jene ist der Standpunkt
der öffentlichen Gerechtigkeit entscheidend, für diese die
Rücksicht auf die Statswohlfahrt überwiegend. Der allgemeine
Gegensatz von Gericht und Polizeigewalt kommt hier zur be-
sondern Anwendung. Die erstern werden nach den Normen
der gemeinen Strafgesetze und in den Formen des gewohnten
Strafprocesses beurtheilt. Nur in zwei Beziehungen hat die
Rücksicht auf die Interessen des States verschiedene Modifi-
cationen hervorgerufen; einmal insofern die strafgerichtliche
Verfolgung eines Amtsverbrechens nach französischem Vorbild
an die Vorbedingung einer Anordnung oder Zulassung einer
höheren Regierungsstelle oder einer eigens dafür ermächtigten
Statsbehörde geknüpft ist, also nicht durch die gewöhnlichen
Gerichtsstellen von Amtswegen eingeleitet werden darf, und
zweitens indem für die Beurtheilung der Beamten zuweilen
besondere Gerichtshöfe angewiesen sind. 4 Das englische Ver-
fahren verwirft beide Modificationen, schützt aber die (aristo-
kratischen) Beamten durch andere Mittel gegen frivole An-
klagen. 5
4 Bayerisches Edict über die Verhältnisse der Statsdiener §. 16.
Die preuszischen Verordnungen vom 10. und 11. Julius 1849 unter-
scheiden zwischen Amtsverbrechen und bloszen Dienstvergehen, und ent-
halten ausführliche Vorschriften über das Dicsiplinarverfahren in den
Fällen der letzten Gattung. Die erstere bezieht sich auf die Dienstver-
gehen der Richter, die zweite regelt das Verfahren gegen die nichtrichter-
lichen Beamten. Vergl. Dollmann Artikel Amtsverbrechen und Amts-
vergehen in Bluntschli's Deutschem Statswörterbuch.
5 Fischel Verfassung Englands S. 351. Cox
Statseinrichtungen
Englands, übersetzt von Kühne S. 305. Wie schwer es auch in Eng-
land ist, gegen den furchtbaren Amtsmiszbrauch der Machthaber eine
Klage mit Erfolg anzustellen, das hat neuerlich die Geschichte der
Unterdrückung des Negeraufstandes in Jamaica gezeigt.
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 40
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |