geber sanctionirt, die Grundsätze, die er ausspricht, werden von der Regierung als rechtliche Normen und Schranken ihres Verfahrens beachtet, aber innerhalb dieser Schranken faszt sie selber mit Freiheit die ihr heilsam und zweckmäszig scheinen- den Beschlüsse. Von sich aus, nicht um ein Gesetz zu voll- ziehen, unter- und verhandelt sie mit andern Staten, gibt Aufträge an ihre Unterbeamten, über dieses oder jenes zu berichten, trifft die erforderlichen Maszregeln zum Schutz der Ordnung, oder läszt das zur allgemeinen Wohlfahrt Geeignete vorkehren, ernennt Beamte, verfügt über das Heer. Noch weniger als der Gesetzgebung gegenüber paszt die Bezeich- nung der vollziehenden Gewalt dem Gerichte gegenüber. Die Vollziehung des Urtheils ist ihrem Wesen nach eine Hand- lung der richterlichen Gewalt selbst, denn diese besteht in der Handhabung des Rechts und in der Herstellung der gestörten Rechtsordnung und nur soweit die richterliche Ge- walt nicht hinreicht, bedarf sie der Beihilfe der stärkeren Regierungsmacht. Das Verhältnisz dieser zu jener ist nicht das des Dieners, der den Willen des Herrn vollstreckt.
Das Wesen der Regierungsgewalt liegt somit nicht in der Vollziehung, sondern in der Macht, im einzelnen das Rechte und Gemeinnützliche zu befehlen und anzu- ordnen, und in der Macht, das Land und das Volk vor einzelnen Gefahren und Angriffen zu schützen, dasselbe zu vertreten, und vor gemeinen Uebeln zu bewahren. Sie besteht vornehmlich in dem was die Griehen arkhe, 3 die Römer als imperium, das deutsche Mittel- alter als Mundschaft und Vogtei bezeichnet haben. Von allen statlichen Theilgewalten ist sie offenbar die am meisten obrigkeitliche, die vorzugsweise herrschende, dem- nach ohne Zweifel die oberste. Sie verhält sich zu den
3Aristoteles, Pol. IV., 12, 3: "to gar epitattain arkhikoteron estin." Er erkennt in dem Befehle die Haupteigenschaft der obrigkeitlichen Gewalt.
Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
geber sanctionirt, die Grundsätze, die er ausspricht, werden von der Regierung als rechtliche Normen und Schranken ihres Verfahrens beachtet, aber innerhalb dieser Schranken faszt sie selber mit Freiheit die ihr heilsam und zweckmäszig scheinen- den Beschlüsse. Von sich aus, nicht um ein Gesetz zu voll- ziehen, unter- und verhandelt sie mit andern Staten, gibt Aufträge an ihre Unterbeamten, über dieses oder jenes zu berichten, trifft die erforderlichen Maszregeln zum Schutz der Ordnung, oder läszt das zur allgemeinen Wohlfahrt Geeignete vorkehren, ernennt Beamte, verfügt über das Heer. Noch weniger als der Gesetzgebung gegenüber paszt die Bezeich- nung der vollziehenden Gewalt dem Gerichte gegenüber. Die Vollziehung des Urtheils ist ihrem Wesen nach eine Hand- lung der richterlichen Gewalt selbst, denn diese besteht in der Handhabung des Rechts und in der Herstellung der gestörten Rechtsordnung und nur soweit die richterliche Ge- walt nicht hinreicht, bedarf sie der Beihilfe der stärkeren Regierungsmacht. Das Verhältnisz dieser zu jener ist nicht das des Dieners, der den Willen des Herrn vollstreckt.
Das Wesen der Regierungsgewalt liegt somit nicht in der Vollziehung, sondern in der Macht, im einzelnen das Rechte und Gemeinnützliche zu befehlen und anzu- ordnen, und in der Macht, das Land und das Volk vor einzelnen Gefahren und Angriffen zu schützen, dasselbe zu vertreten, und vor gemeinen Uebeln zu bewahren. Sie besteht vornehmlich in dem was die Griehen ἀϱχὴ, 3 die Römer als imperium, das deutsche Mittel- alter als Mundschaft und Vogtei bezeichnet haben. Von allen statlichen Theilgewalten ist sie offenbar die am meisten obrigkeitliche, die vorzugsweise herrschende, dem- nach ohne Zweifel die oberste. Sie verhält sich zu den
3Aristoteles, Pol. IV., 12, 3: „τὸ γἀϱ ἐπιτάτταιν ἀϱχιϰωτεϱὀν ἐστιν.“ Er erkennt in dem Befehle die Haupteigenschaft der obrigkeitlichen Gewalt.
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[594/0612]
Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
geber sanctionirt, die Grundsätze, die er ausspricht, werden
von der Regierung als rechtliche Normen und Schranken ihres
Verfahrens beachtet, aber innerhalb dieser Schranken faszt sie
selber mit Freiheit die ihr heilsam und zweckmäszig scheinen-
den Beschlüsse. Von sich aus, nicht um ein Gesetz zu voll-
ziehen, unter- und verhandelt sie mit andern Staten, gibt
Aufträge an ihre Unterbeamten, über dieses oder jenes zu
berichten, trifft die erforderlichen Maszregeln zum Schutz der
Ordnung, oder läszt das zur allgemeinen Wohlfahrt Geeignete
vorkehren, ernennt Beamte, verfügt über das Heer. Noch
weniger als der Gesetzgebung gegenüber paszt die Bezeich-
nung der vollziehenden Gewalt dem Gerichte gegenüber. Die
Vollziehung des Urtheils ist ihrem Wesen nach eine Hand-
lung der richterlichen Gewalt selbst, denn diese besteht
in der Handhabung des Rechts und in der Herstellung der
gestörten Rechtsordnung und nur soweit die richterliche Ge-
walt nicht hinreicht, bedarf sie der Beihilfe der stärkeren
Regierungsmacht. Das Verhältnisz dieser zu jener ist nicht
das des Dieners, der den Willen des Herrn vollstreckt.
Das Wesen der Regierungsgewalt liegt somit nicht in der
Vollziehung, sondern in der Macht, im einzelnen das
Rechte und Gemeinnützliche zu befehlen und anzu-
ordnen, und in der Macht, das Land und das Volk
vor einzelnen Gefahren und Angriffen zu schützen,
dasselbe zu vertreten, und vor gemeinen Uebeln
zu bewahren. Sie besteht vornehmlich in dem was die
Griehen ἀϱχὴ, 3 die Römer als imperium, das deutsche Mittel-
alter als Mundschaft und Vogtei bezeichnet haben. Von
allen statlichen Theilgewalten ist sie offenbar die am meisten
obrigkeitliche, die vorzugsweise herrschende, dem-
nach ohne Zweifel die oberste. Sie verhält sich zu den
3 Aristoteles, Pol. IV., 12, 3: „τὸ γἀϱ ἐπιτάτταιν ἀϱχιϰωτεϱὀν ἐστιν.“
Er erkennt in dem Befehle die Haupteigenschaft der obrigkeitlichen
Gewalt.
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/612>, abgerufen am 16.07.2024.
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