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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Capitel. Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten.
beiden wichtigsten und vorzugsweise obrigkeitlichen sind:
I. Die Regierungsgewalt, das Regiment; II. die rich-
terliche Gewalt
, das Gericht.

I. Die Regierungsgewalt. Durchaus verfehlt ist die
leider sehr verbreitete Bezeichnung dafür: vollziehende
Gewalt
, denn sie ist die unversiegliche Quelle einer Menge
von Irrthümern und Miszverständnissen der Theorie und von
Fehlern der Praxis. Durch dieselbe wird weder ihr inneres
Wesen noch ihre Beziehung zu der Gesetzgebung und dem
Gerichte, worauf sie doch vornehmlich Rücksicht zu nehmen
scheint, richtig ausgedrückt.

Man kann den eigenen Entschlusz und man kann
den Befehl oder Auftrag eines Andern vollziehen. Immer
aber ist das Vollziehen nur das Secundäre. Das Primäre
liegt in dem Entschlusz oder Auftrag. Die Functionen der
Regierung sind aber ihrer Natur nach primär. Sie faszt Ent-
schlüsse und erläszt Beschlüsse, sie spricht ihren Willen aus,
sie gebietet oder verbietet, und in den meisten Fällen be-
darf es gar nicht des executiven Zwanges, um ihren Befehlen
Folge zu verschaffen. Es genügt regelmäszig der blosze Aus-
spruch derselben, damit sie Gehorsam finden und zur That
werden. Wo es aber der Nöthigung bedarf, da ist die Exe-
cution zwar allerdings Sache und in der Macht der Regierungs-
gewalt, wird aber, eben als das Secundäre, meistens von
untergeordneten Behörden und Dienern derselben wie ins-
besondere von der Gendarmerie besorgt.

Aber auch wenn man an den Willen Anderer denkt, ist
die Bezeichnung der vollziehenden Gewalt unrichtig. Es ist
nicht wahr, dasz dieselbe jederzeit im einzelnen vollziehe,
was die gesetzgebende Gewalt im allgemeinen festge-
stellt
hat. Ein Gesetz läszt sich in der Regel gar nicht
vollziehen, sondern nur beachten und anwenden, es wäre denn,
dasz man etwa die Verkündigung des Gesetzes schon für die
Vollziehung desselben hielte. Die Regeln, welche der Gesetz-

Bluntschli, allgemeine Statslehre. 38

Siebentes Capitel. Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten.
beiden wichtigsten und vorzugsweise obrigkeitlichen sind:
I. Die Regierungsgewalt, das Regiment; II. die rich-
terliche Gewalt
, das Gericht.

I. Die Regierungsgewalt. Durchaus verfehlt ist die
leider sehr verbreitete Bezeichnung dafür: vollziehende
Gewalt
, denn sie ist die unversiegliche Quelle einer Menge
von Irrthümern und Miszverständnissen der Theorie und von
Fehlern der Praxis. Durch dieselbe wird weder ihr inneres
Wesen noch ihre Beziehung zu der Gesetzgebung und dem
Gerichte, worauf sie doch vornehmlich Rücksicht zu nehmen
scheint, richtig ausgedrückt.

Man kann den eigenen Entschlusz und man kann
den Befehl oder Auftrag eines Andern vollziehen. Immer
aber ist das Vollziehen nur das Secundäre. Das Primäre
liegt in dem Entschlusz oder Auftrag. Die Functionen der
Regierung sind aber ihrer Natur nach primär. Sie faszt Ent-
schlüsse und erläszt Beschlüsse, sie spricht ihren Willen aus,
sie gebietet oder verbietet, und in den meisten Fällen be-
darf es gar nicht des executiven Zwanges, um ihren Befehlen
Folge zu verschaffen. Es genügt regelmäszig der blosze Aus-
spruch derselben, damit sie Gehorsam finden und zur That
werden. Wo es aber der Nöthigung bedarf, da ist die Exe-
cution zwar allerdings Sache und in der Macht der Regierungs-
gewalt, wird aber, eben als das Secundäre, meistens von
untergeordneten Behörden und Dienern derselben wie ins-
besondere von der Gendarmerie besorgt.

Aber auch wenn man an den Willen Anderer denkt, ist
die Bezeichnung der vollziehenden Gewalt unrichtig. Es ist
nicht wahr, dasz dieselbe jederzeit im einzelnen vollziehe,
was die gesetzgebende Gewalt im allgemeinen festge-
stellt
hat. Ein Gesetz läszt sich in der Regel gar nicht
vollziehen, sondern nur beachten und anwenden, es wäre denn,
dasz man etwa die Verkündigung des Gesetzes schon für die
Vollziehung desselben hielte. Die Regeln, welche der Gesetz-

Bluntschli, allgemeine Statslehre. 38
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[593/0611] Siebentes Capitel. Das moderne Princip der Sonderung der Gewalten. beiden wichtigsten und vorzugsweise obrigkeitlichen sind: I. Die Regierungsgewalt, das Regiment; II. die rich- terliche Gewalt, das Gericht. I. Die Regierungsgewalt. Durchaus verfehlt ist die leider sehr verbreitete Bezeichnung dafür: vollziehende Gewalt, denn sie ist die unversiegliche Quelle einer Menge von Irrthümern und Miszverständnissen der Theorie und von Fehlern der Praxis. Durch dieselbe wird weder ihr inneres Wesen noch ihre Beziehung zu der Gesetzgebung und dem Gerichte, worauf sie doch vornehmlich Rücksicht zu nehmen scheint, richtig ausgedrückt. Man kann den eigenen Entschlusz und man kann den Befehl oder Auftrag eines Andern vollziehen. Immer aber ist das Vollziehen nur das Secundäre. Das Primäre liegt in dem Entschlusz oder Auftrag. Die Functionen der Regierung sind aber ihrer Natur nach primär. Sie faszt Ent- schlüsse und erläszt Beschlüsse, sie spricht ihren Willen aus, sie gebietet oder verbietet, und in den meisten Fällen be- darf es gar nicht des executiven Zwanges, um ihren Befehlen Folge zu verschaffen. Es genügt regelmäszig der blosze Aus- spruch derselben, damit sie Gehorsam finden und zur That werden. Wo es aber der Nöthigung bedarf, da ist die Exe- cution zwar allerdings Sache und in der Macht der Regierungs- gewalt, wird aber, eben als das Secundäre, meistens von untergeordneten Behörden und Dienern derselben wie ins- besondere von der Gendarmerie besorgt. Aber auch wenn man an den Willen Anderer denkt, ist die Bezeichnung der vollziehenden Gewalt unrichtig. Es ist nicht wahr, dasz dieselbe jederzeit im einzelnen vollziehe, was die gesetzgebende Gewalt im allgemeinen festge- stellt hat. Ein Gesetz läszt sich in der Regel gar nicht vollziehen, sondern nur beachten und anwenden, es wäre denn, dasz man etwa die Verkündigung des Gesetzes schon für die Vollziehung desselben hielte. Die Regeln, welche der Gesetz- Bluntschli, allgemeine Statslehre. 38

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 593. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/611>, abgerufen am 25.11.2024.