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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Buch. Die Statsformen.
Beziehungen -- worzüglich nach auszen -- wie eine Stats-
persönlichkeit auftritt. Sie ist eher ein Statenconglomerat, als
ein wahrer Stat. Es fehlen ihr die nöthigen Organe für die
Gesetzgebung, Regierung, Rechtspflege. Sie schwankt zwischen
einer dauernden völkerrechtlichen Allianz und einer stats-
rechtlichen
Gestaltung. Deszhalb ist sie nur eine unvoll-
kommene Uebergangsform.

Es gibt in dieser Form vielleicht eine gemeinsame Nation,
aber kein wirkliches Gesammtvolk; und die Entwicklung des
Gesammtlebens und der Gesammtmacht ist sehr erschwert,
weniger noch in der Personalunion, welche in dem gemein-
samen Monarchen ein einheitliches Haupt besitzt und nur in
allen andern Beziehungen die Spaltung zeigt, als in dem Sta-
tenbunde, wo es an jedem einheitlichen Organe fehlt. Zum
Handeln ist dieselbe ganz untauglich. Der deutsche Bund war
das beredteste Beispiel dieser Verbindungsform in unserer
Zeit und ihrer Schwächen.

V. Der Bundesstat, das Bundesreich und die Real-
union
3 sind darin verwandt, dasz in beiden Verbindungen der
Gesammtstat als ein wirklicher Stat organisirt ist, und
ebenso die verbundenen Einzelstaten. In dem Bundesstate
sind die letztern noch selbständiger, als in der Realunion,
weil sie dort eine ihnen ausschlieszlich angehörige Regierung
haben, hier aber das Haupt des Gesammtstats zugleich der
Landesfürst in den Kronländern ist. Man spricht daher nicht
leicht von der Souveränetät der realunirten Kronländer, aber
unbedenklich von der Souveränetät der Landesstaten (Parti-
cularstaten, Cantone) in dem Bundesstate und dem Bundesreich.

Es gibt in dem Bundesstate und dem Bundesreiche ein
organisirtes Gesammtvolk und organisirte Landesvölker:
(Amerikaner und New-Yorker oder Pennsylvanier; Schweizer-
volk und Berner-, Züricher-, Genfervolk; deutsches Volk und

3 Oben S.308 und 312.

Sechstes Buch. Die Statsformen.
Beziehungen — worzüglich nach auszen — wie eine Stats-
persönlichkeit auftritt. Sie ist eher ein Statenconglomerat, als
ein wahrer Stat. Es fehlen ihr die nöthigen Organe für die
Gesetzgebung, Regierung, Rechtspflege. Sie schwankt zwischen
einer dauernden völkerrechtlichen Allianz und einer stats-
rechtlichen
Gestaltung. Deszhalb ist sie nur eine unvoll-
kommene Uebergangsform.

Es gibt in dieser Form vielleicht eine gemeinsame Nation,
aber kein wirkliches Gesammtvolk; und die Entwicklung des
Gesammtlebens und der Gesammtmacht ist sehr erschwert,
weniger noch in der Personalunion, welche in dem gemein-
samen Monarchen ein einheitliches Haupt besitzt und nur in
allen andern Beziehungen die Spaltung zeigt, als in dem Sta-
tenbunde, wo es an jedem einheitlichen Organe fehlt. Zum
Handeln ist dieselbe ganz untauglich. Der deutsche Bund war
das beredteste Beispiel dieser Verbindungsform in unserer
Zeit und ihrer Schwächen.

V. Der Bundesstat, das Bundesreich und die Real-
union
3 sind darin verwandt, dasz in beiden Verbindungen der
Gesammtstat als ein wirklicher Stat organisirt ist, und
ebenso die verbundenen Einzelstaten. In dem Bundesstate
sind die letztern noch selbständiger, als in der Realunion,
weil sie dort eine ihnen ausschlieszlich angehörige Regierung
haben, hier aber das Haupt des Gesammtstats zugleich der
Landesfürst in den Kronländern ist. Man spricht daher nicht
leicht von der Souveränetät der realunirten Kronländer, aber
unbedenklich von der Souveränetät der Landesstaten (Parti-
cularstaten, Cantone) in dem Bundesstate und dem Bundesreich.

Es gibt in dem Bundesstate und dem Bundesreiche ein
organisirtes Gesammtvolk und organisirte Landesvölker:
(Amerikaner und New-Yorker oder Pennsylvanier; Schweizer-
volk und Berner-, Züricher-, Genfervolk; deutsches Volk und

3 Oben S.308 und 312.
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[558/0576] Sechstes Buch. Die Statsformen. Beziehungen — worzüglich nach auszen — wie eine Stats- persönlichkeit auftritt. Sie ist eher ein Statenconglomerat, als ein wahrer Stat. Es fehlen ihr die nöthigen Organe für die Gesetzgebung, Regierung, Rechtspflege. Sie schwankt zwischen einer dauernden völkerrechtlichen Allianz und einer stats- rechtlichen Gestaltung. Deszhalb ist sie nur eine unvoll- kommene Uebergangsform. Es gibt in dieser Form vielleicht eine gemeinsame Nation, aber kein wirkliches Gesammtvolk; und die Entwicklung des Gesammtlebens und der Gesammtmacht ist sehr erschwert, weniger noch in der Personalunion, welche in dem gemein- samen Monarchen ein einheitliches Haupt besitzt und nur in allen andern Beziehungen die Spaltung zeigt, als in dem Sta- tenbunde, wo es an jedem einheitlichen Organe fehlt. Zum Handeln ist dieselbe ganz untauglich. Der deutsche Bund war das beredteste Beispiel dieser Verbindungsform in unserer Zeit und ihrer Schwächen. V. Der Bundesstat, das Bundesreich und die Real- union 3 sind darin verwandt, dasz in beiden Verbindungen der Gesammtstat als ein wirklicher Stat organisirt ist, und ebenso die verbundenen Einzelstaten. In dem Bundesstate sind die letztern noch selbständiger, als in der Realunion, weil sie dort eine ihnen ausschlieszlich angehörige Regierung haben, hier aber das Haupt des Gesammtstats zugleich der Landesfürst in den Kronländern ist. Man spricht daher nicht leicht von der Souveränetät der realunirten Kronländer, aber unbedenklich von der Souveränetät der Landesstaten (Parti- cularstaten, Cantone) in dem Bundesstate und dem Bundesreich. Es gibt in dem Bundesstate und dem Bundesreiche ein organisirtes Gesammtvolk und organisirte Landesvölker: (Amerikaner und New-Yorker oder Pennsylvanier; Schweizer- volk und Berner-, Züricher-, Genfervolk; deutsches Volk und 3 Oben S.308 und 312.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/576>, abgerufen am 06.05.2024.