Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
Verantwortlichkeit der Minister, die Reichsvertretung, die Rechte der Statsbürger, die Rechtspflege und die Regierungs- gewalt. Auch für sie muszte die sistirte Verfassung, soweit sie noch anwendbar war, hergestellt werden. Die beiden Reichstage suchten dann nach einer ausgleichenden Delegir- tenversammlung, welche in Verbindung mit den beiden gemein- samen Ministern für das Auswärtige und die Finanzen eine Einigung in der Politik der gesammten Monarchie herzustellen, die Aufgabe erhielt. Ob diese vermittelnde Einrichtung auf die Dauer so bestehen werde, das mag noch zweifelhaft sein; aber das ist sicher, dasz weder Ungarn, noch Deutsche und Böhmen geneigt sind, sich die absolute Monarchie länger ge- fallen zu lassen, und dasz alle diese Nationen, wenn auch in verschiedenen Formen eine constitutionelle Monarchie mit Einflusz und Controle der Volksvertretung entschieden ver- langen.
7. Der Versuch, die repräsentative Verfassungsform, welche seit der Revolution von 1848 in allen deutschen Län- dern als die noch einzig mögliche Form der Monarchie pro- clamirt worden war, auch auf den deutschen Bund als einen Gesammtstat überzutragen, führte zu der deutschen Reichsverfassung vom 28. März 1849, welche zunächst ganz Deutschland auszer Oesterreich unter einem Deutschen mit der preuszischen Königskrone verbundenen Erbkaiserthum, zusammen faszte, den Einzelstaten eine Repräsentation in einem Statenhaus einräumte und dem deutschen Volk eine Vertretung in einem Volkshause zusicherte. Indessen diese Verfassung gelangte nicht zur Wirksamkeit. Oesterreich verwarf diese Lösung der deutschen Frage und bereitete sich zur Bekämpfung derselben vor; der König von Preuszen nahm die Kaiserkrone nicht aus den Händen der Nationalversammlung; auch Bayern weigerte seinen Beitritt. Die deutsche Nation war nicht ent- schlossen genug, für die Verfassung einzustehen. Die dynasti- schen und particularistischen Kräfte waren stärker als das
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 31
Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
Verantwortlichkeit der Minister, die Reichsvertretung, die Rechte der Statsbürger, die Rechtspflege und die Regierungs- gewalt. Auch für sie muszte die sistirte Verfassung, soweit sie noch anwendbar war, hergestellt werden. Die beiden Reichstage suchten dann nach einer ausgleichenden Delegir- tenversammlung, welche in Verbindung mit den beiden gemein- samen Ministern für das Auswärtige und die Finanzen eine Einigung in der Politik der gesammten Monarchie herzustellen, die Aufgabe erhielt. Ob diese vermittelnde Einrichtung auf die Dauer so bestehen werde, das mag noch zweifelhaft sein; aber das ist sicher, dasz weder Ungarn, noch Deutsche und Böhmen geneigt sind, sich die absolute Monarchie länger ge- fallen zu lassen, und dasz alle diese Nationen, wenn auch in verschiedenen Formen eine constitutionelle Monarchie mit Einflusz und Controle der Volksvertretung entschieden ver- langen.
7. Der Versuch, die repräsentative Verfassungsform, welche seit der Revolution von 1848 in allen deutschen Län- dern als die noch einzig mögliche Form der Monarchie pro- clamirt worden war, auch auf den deutschen Bund als einen Gesammtstat überzutragen, führte zu der deutschen Reichsverfassung vom 28. März 1849, welche zunächst ganz Deutschland auszer Oesterreich unter einem Deutschen mit der preuszischen Königskrone verbundenen Erbkaiserthum, zusammen faszte, den Einzelstaten eine Repräsentation in einem Statenhaus einräumte und dem deutschen Volk eine Vertretung in einem Volkshause zusicherte. Indessen diese Verfassung gelangte nicht zur Wirksamkeit. Oesterreich verwarf diese Lösung der deutschen Frage und bereitete sich zur Bekämpfung derselben vor; der König von Preuszen nahm die Kaiserkrone nicht aus den Händen der Nationalversammlung; auch Bayern weigerte seinen Beitritt. Die deutsche Nation war nicht ent- schlossen genug, für die Verfassung einzustehen. Die dynasti- schen und particularistischen Kräfte waren stärker als das
Bluntschli, allgemeine Statslehre. 31
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Vierz. Cap. II. Mon. Statsformen. G. Const. Monarchie. 1. Entstehung etc.
Verantwortlichkeit der Minister, die Reichsvertretung, die
Rechte der Statsbürger, die Rechtspflege und die Regierungs-
gewalt. Auch für sie muszte die sistirte Verfassung, soweit
sie noch anwendbar war, hergestellt werden. Die beiden
Reichstage suchten dann nach einer ausgleichenden Delegir-
tenversammlung, welche in Verbindung mit den beiden gemein-
samen Ministern für das Auswärtige und die Finanzen eine
Einigung in der Politik der gesammten Monarchie herzustellen,
die Aufgabe erhielt. Ob diese vermittelnde Einrichtung auf
die Dauer so bestehen werde, das mag noch zweifelhaft sein;
aber das ist sicher, dasz weder Ungarn, noch Deutsche und
Böhmen geneigt sind, sich die absolute Monarchie länger ge-
fallen zu lassen, und dasz alle diese Nationen, wenn auch
in verschiedenen Formen eine constitutionelle Monarchie mit
Einflusz und Controle der Volksvertretung entschieden ver-
langen.
7. Der Versuch, die repräsentative Verfassungsform,
welche seit der Revolution von 1848 in allen deutschen Län-
dern als die noch einzig mögliche Form der Monarchie pro-
clamirt worden war, auch auf den deutschen Bund als
einen Gesammtstat überzutragen, führte zu der deutschen
Reichsverfassung vom 28. März 1849, welche zunächst ganz
Deutschland auszer Oesterreich unter einem Deutschen mit
der preuszischen Königskrone verbundenen Erbkaiserthum,
zusammen faszte, den Einzelstaten eine Repräsentation in einem
Statenhaus einräumte und dem deutschen Volk eine Vertretung
in einem Volkshause zusicherte. Indessen diese Verfassung
gelangte nicht zur Wirksamkeit. Oesterreich verwarf diese
Lösung der deutschen Frage und bereitete sich zur Bekämpfung
derselben vor; der König von Preuszen nahm die Kaiserkrone
nicht aus den Händen der Nationalversammlung; auch Bayern
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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/499>, abgerufen am 24.11.2024.
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