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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc.
gesetzt. 8 Ebenso ist bei den Deutschen die Beachtung des
Erbrechts mit der Kur der Fürsten und der Zustimmung
des Volkes verbunden, wenn schon in gewöhnlichen Fällen
das Erbrecht entscheidet, und eher noch als bei den Hellenen
auch Kinder zu Königen erhoben werden. Nichts hinderte
die freie Volksgenossenschaft, auch einen ferneren Sippen des
verstorbenen Königs dem näheren vorzuziehen, wenn jener
tüchtiger schien. 9

Die statliche Macht dieser Könige war zwar intensiv,
aber immerhin sehr beschränkt. Sie äuszert sich hauptsäch-
lich in folgenden Momenten:

1. Der König hat den Vorsitz und die Leitung sowohl
des Rathes der Fürsten als der Versammlung des Volkes. 10
Er hat in beiden eine hohe Autorität, aber, wie Tacitus das
sehr wahr bezeichnet, eher eine moralische Autorität der
Empfehlung als eine rechtliche des Gebots. 11

2. Er ist der oberste Richter und hat als solcher --
nicht etwa das Urtheil zu finden, wohl aber das Recht zu

8 Wir erinnern an die Geschichte des Oedipus. Auch bei den In-
diern ähnliche Verbindung des Erbrechts (nach Erstgeburt) mit Rath
und Wahl des Fürsten. Rama (v. Holtzmann), v. 22 ff.
9 Tacitus, Germ. 7: "Reges ex nobilitate sumunt." Die Rücksicht
auf das Geschlecht liegt schon in dem Namen der deutschen Könige,
Chuning und Kun-ing von chun oder chuni, Geschlecht. Hildebert II.
wurde als fünfjähriger Knabe zum Könige von Austrasien ausgerufen.
Thierry Merow. II. 63. Beispiele von Abweichungen von dem Erbrecht
finden sich öfter in der Geschichte der Westgothen und der Longobarden.
F. Dahn (Die Könige der Germanen I. S. 32) betont die Erblichkeit
entschiedener; Thudichum (Der altdeutsche Stat S. 60.) mehr die
Volkswahl; aber beide erkennen die Verbindung beider Ursachen an.
Eine ähnliche Verbindung von Erbrecht (der Erstgeburt) mit dem
Rath und der Wahl der Groszen, wie bei den alten Germanen, findet
sich bei den alten Indiern. Rama (v. Holtzmann) v. 22 ff.
10 Die boule der onaktes oder baoilees, auch gerontes um den König
her bei den Hellenen entspricht dem concilium principum, welches nach
Tacitus den deutschen Königen zur Seite steht.
11 Tacit. Germ. II: "auctoritas suadendi potius quam jubendi."

Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc.
gesetzt. 8 Ebenso ist bei den Deutschen die Beachtung des
Erbrechts mit der Kur der Fürsten und der Zustimmung
des Volkes verbunden, wenn schon in gewöhnlichen Fällen
das Erbrecht entscheidet, und eher noch als bei den Hellenen
auch Kinder zu Königen erhoben werden. Nichts hinderte
die freie Volksgenossenschaft, auch einen ferneren Sippen des
verstorbenen Königs dem näheren vorzuziehen, wenn jener
tüchtiger schien. 9

Die statliche Macht dieser Könige war zwar intensiv,
aber immerhin sehr beschränkt. Sie äuszert sich hauptsäch-
lich in folgenden Momenten:

1. Der König hat den Vorsitz und die Leitung sowohl
des Rathes der Fürsten als der Versammlung des Volkes. 10
Er hat in beiden eine hohe Autorität, aber, wie Tacitus das
sehr wahr bezeichnet, eher eine moralische Autorität der
Empfehlung als eine rechtliche des Gebots. 11

2. Er ist der oberste Richter und hat als solcher —
nicht etwa das Urtheil zu finden, wohl aber das Recht zu

8 Wir erinnern an die Geschichte des Oedipus. Auch bei den In-
diern ähnliche Verbindung des Erbrechts (nach Erstgeburt) mit Rath
und Wahl des Fürsten. Rama (v. Holtzmann), v. 22 ff.
9 Tacitus, Germ. 7: „Reges ex nobilitate sumunt.“ Die Rücksicht
auf das Geschlecht liegt schon in dem Namen der deutschen Könige,
Chuning und Kun-ing von chun oder chuni, Geschlecht. Hildebert II.
wurde als fünfjähriger Knabe zum Könige von Austrasien ausgerufen.
Thierry Mérow. II. 63. Beispiele von Abweichungen von dem Erbrecht
finden sich öfter in der Geschichte der Westgothen und der Longobarden.
F. Dahn (Die Könige der Germanen I. S. 32) betont die Erblichkeit
entschiedener; Thudichum (Der altdeutsche Stat S. 60.) mehr die
Volkswahl; aber beide erkennen die Verbindung beider Ursachen an.
Eine ähnliche Verbindung von Erbrecht (der Erstgeburt) mit dem
Rath und der Wahl der Groszen, wie bei den alten Germanen, findet
sich bei den alten Indiern. Rama (v. Holtzmann) v. 22 ff.
10 Die βουλὴ der ὂναϰτες oder βαόιλἐες, auch γέϱοντες um den König
her bei den Hellenen entspricht dem concilium principum, welches nach
Tacitus den deutschen Königen zur Seite steht.
11 Tacit. Germ. II: „auctoritas suadendi potius quam jubendi.“
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[407/0425] Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc. gesetzt. 8 Ebenso ist bei den Deutschen die Beachtung des Erbrechts mit der Kur der Fürsten und der Zustimmung des Volkes verbunden, wenn schon in gewöhnlichen Fällen das Erbrecht entscheidet, und eher noch als bei den Hellenen auch Kinder zu Königen erhoben werden. Nichts hinderte die freie Volksgenossenschaft, auch einen ferneren Sippen des verstorbenen Königs dem näheren vorzuziehen, wenn jener tüchtiger schien. 9 Die statliche Macht dieser Könige war zwar intensiv, aber immerhin sehr beschränkt. Sie äuszert sich hauptsäch- lich in folgenden Momenten: 1. Der König hat den Vorsitz und die Leitung sowohl des Rathes der Fürsten als der Versammlung des Volkes. 10 Er hat in beiden eine hohe Autorität, aber, wie Tacitus das sehr wahr bezeichnet, eher eine moralische Autorität der Empfehlung als eine rechtliche des Gebots. 11 2. Er ist der oberste Richter und hat als solcher — nicht etwa das Urtheil zu finden, wohl aber das Recht zu 8 Wir erinnern an die Geschichte des Oedipus. Auch bei den In- diern ähnliche Verbindung des Erbrechts (nach Erstgeburt) mit Rath und Wahl des Fürsten. Rama (v. Holtzmann), v. 22 ff. 9 Tacitus, Germ. 7: „Reges ex nobilitate sumunt.“ Die Rücksicht auf das Geschlecht liegt schon in dem Namen der deutschen Könige, Chuning und Kun-ing von chun oder chuni, Geschlecht. Hildebert II. wurde als fünfjähriger Knabe zum Könige von Austrasien ausgerufen. Thierry Mérow. II. 63. Beispiele von Abweichungen von dem Erbrecht finden sich öfter in der Geschichte der Westgothen und der Longobarden. F. Dahn (Die Könige der Germanen I. S. 32) betont die Erblichkeit entschiedener; Thudichum (Der altdeutsche Stat S. 60.) mehr die Volkswahl; aber beide erkennen die Verbindung beider Ursachen an. Eine ähnliche Verbindung von Erbrecht (der Erstgeburt) mit dem Rath und der Wahl der Groszen, wie bei den alten Germanen, findet sich bei den alten Indiern. Rama (v. Holtzmann) v. 22 ff. 10 Die βουλὴ der ὂναϰτες oder βαόιλἐες, auch γέϱοντες um den König her bei den Hellenen entspricht dem concilium principum, welches nach Tacitus den deutschen Königen zur Seite steht. 11 Tacit. Germ. II: „auctoritas suadendi potius quam jubendi.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/425>, abgerufen am 22.11.2024.