Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc.
und Helden sind Göttersöhne und Verwandte der Götter, aber sie
sind zugleich wirkliche Menschen in ihren und des Volkes Augen.

Daher sind die Ehrenrechte der Könige höher und
ausgedehnter als ihre Macht. Sie vertreten das gesammte
Volk den Göttern gegenüber und vermitteln durch Opfer und
Gebet, soweit nicht besondere Priester diese Pflicht üben,
zwischen beiden, 2 weszhalb denn auch zu Athen nach der
Abschaffung des Königthums der opfernde Archon noch den
Namen des Königs beibehielt.

An Werth wird ihre Person weit höher geschätzt als die
der übrigen Volksgenossen. Das Wergeld der germanischen
Könige übertrifft das der Edeln gewöhnlich mehrfach. Sie
ragen daher auch durch ihren Reichthum vor Allen hervor.
Ihnen gehört ein groszer Theil des Landes als Domäne zu
Eigenthum zu, und bei Eroberungen erhalten sie ausgedehnte
Güter zum voraus. 3 Ihre Wohnung, der Palast war höher,
weiter, schöner und reicher geschmückt als die übrigen Häuser. 4

die allmähliche Entwicklung und Ausbreitung des Königthums bei den
germanischen Völkern, auch bei solchen, welche vorher ohne Könige ge-
lebt hatten, gibt Dahn (Die Könige der Germanen VI Bde.) näheren
Bericht. Vgl. Gierke (Deutsches Genossenschaftsrecht I. 548 ff.).
2 Aristot. Pol. III. 9, 7: In den skandinavischen Ländern tritt diese
Eigenschaft auch der germanischen Könige deutlicher hervor, als in der
uns bekannten deutschen Geschichte. Vgl. Grimm, Rechtsalt. S. 243.
Der christlich gesinnte norwegische König Hakon wurde von den noch
heidnischen Bauern gezwungen, an dem Ding nach dem alten Herkommen
zu opfern, die Weihebecher zu trinken und Pferdefleisch zu essen. Konr.
Maurer, die Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christenthum.
I. S. 160 ff.
3 Tacitus, Germ. 14: "Materia munificentiae per bella et raptus."
c. 26: "Agros inter se secundum dignationem partiunter." Diese aus-
gedehnte Grundherrlichkeit der Könige und Fürsten ist, trotz der zahl-
reichen Entäuszerungen aller Art, noch durch das ganze Mittelalter hinab
in Deutschland sichtbar.
4 Homer's Odyss. IV. 45:
"Wie der Sonne Glanz umherstrahlt oder des Mondes,
Strahlte der hohe Palast des gottbeseligten Herrschers."
Vgl. Odyss. VI. 301 ff. Aehnlich die "Hallen" der deutschen Fürsten.

Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc.
und Helden sind Göttersöhne und Verwandte der Götter, aber sie
sind zugleich wirkliche Menschen in ihren und des Volkes Augen.

Daher sind die Ehrenrechte der Könige höher und
ausgedehnter als ihre Macht. Sie vertreten das gesammte
Volk den Göttern gegenüber und vermitteln durch Opfer und
Gebet, soweit nicht besondere Priester diese Pflicht üben,
zwischen beiden, 2 weszhalb denn auch zu Athen nach der
Abschaffung des Königthums der opfernde Archon noch den
Namen des Königs beibehielt.

An Werth wird ihre Person weit höher geschätzt als die
der übrigen Volksgenossen. Das Wergeld der germanischen
Könige übertrifft das der Edeln gewöhnlich mehrfach. Sie
ragen daher auch durch ihren Reichthum vor Allen hervor.
Ihnen gehört ein groszer Theil des Landes als Domäne zu
Eigenthum zu, und bei Eroberungen erhalten sie ausgedehnte
Güter zum voraus. 3 Ihre Wohnung, der Palast war höher,
weiter, schöner und reicher geschmückt als die übrigen Häuser. 4

die allmähliche Entwicklung und Ausbreitung des Königthums bei den
germanischen Völkern, auch bei solchen, welche vorher ohne Könige ge-
lebt hatten, gibt Dahn (Die Könige der Germanen VI Bde.) näheren
Bericht. Vgl. Gierke (Deutsches Genossenschaftsrecht I. 548 ff.).
2 Aristot. Pol. III. 9, 7: In den skandinavischen Ländern tritt diese
Eigenschaft auch der germanischen Könige deutlicher hervor, als in der
uns bekannten deutschen Geschichte. Vgl. Grimm, Rechtsalt. S. 243.
Der christlich gesinnte norwegische König Hakon wurde von den noch
heidnischen Bauern gezwungen, an dem Ding nach dem alten Herkommen
zu opfern, die Weihebecher zu trinken und Pferdefleisch zu essen. Konr.
Maurer, die Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christenthum.
I. S. 160 ff.
3 Tacitus, Germ. 14: „Materia munificentiae per bella et raptus.“
c. 26: „Agros inter se secundum dignationem partiunter.“ Diese aus-
gedehnte Grundherrlichkeit der Könige und Fürsten ist, trotz der zahl-
reichen Entäuszerungen aller Art, noch durch das ganze Mittelalter hinab
in Deutschland sichtbar.
4 Homer's Odyss. IV. 45:
„Wie der Sonne Glanz umherstrahlt oder des Mondes,
Strahlte der hohe Palast des gottbeseligten Herrschers.“
Vgl. Odyss. VI. 301 ff. Aehnlich die „Hallen“ der deutschen Fürsten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0423" n="405"/><fw place="top" type="header">Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc.</fw><lb/>
und Helden sind Göttersöhne und Verwandte der Götter, aber sie<lb/>
sind zugleich wirkliche Menschen in ihren und des Volkes Augen.</p><lb/>
          <p>Daher sind die <hi rendition="#g">Ehrenrechte</hi> der Könige höher und<lb/>
ausgedehnter als ihre <hi rendition="#g">Macht</hi>. Sie vertreten das gesammte<lb/>
Volk den Göttern gegenüber und vermitteln durch Opfer und<lb/>
Gebet, soweit nicht besondere Priester diese Pflicht üben,<lb/>
zwischen beiden, <note place="foot" n="2"><hi rendition="#g">Aristot</hi>. Pol. III. 9, 7: In den skandinavischen Ländern tritt diese<lb/>
Eigenschaft auch der germanischen Könige deutlicher hervor, als in der<lb/>
uns bekannten deutschen Geschichte. Vgl. <hi rendition="#g">Grimm</hi>, Rechtsalt. S. 243.<lb/>
Der christlich gesinnte norwegische König Hakon wurde von den noch<lb/>
heidnischen Bauern gezwungen, an dem Ding nach dem alten Herkommen<lb/>
zu opfern, die Weihebecher zu trinken und Pferdefleisch zu essen. <hi rendition="#g">Konr</hi>.<lb/><hi rendition="#g">Maurer</hi>, die Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christenthum.<lb/>
I. S. 160 ff.</note> weszhalb denn auch zu Athen nach der<lb/>
Abschaffung des Königthums der opfernde Archon noch den<lb/>
Namen des Königs beibehielt.</p><lb/>
          <p>An Werth wird ihre Person weit höher geschätzt als die<lb/>
der übrigen Volksgenossen. Das Wergeld der germanischen<lb/>
Könige übertrifft das der Edeln gewöhnlich mehrfach. Sie<lb/>
ragen daher auch durch ihren Reichthum vor Allen hervor.<lb/>
Ihnen gehört ein groszer Theil des Landes als Domäne zu<lb/>
Eigenthum zu, und bei Eroberungen erhalten sie ausgedehnte<lb/>
Güter zum voraus. <note place="foot" n="3"><hi rendition="#i">Tacitus</hi>, Germ. 14: &#x201E;Materia munificentiae per bella et raptus.&#x201C;<lb/>
c. 26: &#x201E;Agros inter se <hi rendition="#i">secundum dignationem partiunter</hi>.&#x201C; Diese aus-<lb/>
gedehnte Grundherrlichkeit der Könige und Fürsten ist, trotz der zahl-<lb/>
reichen Entäuszerungen aller Art, noch durch das ganze Mittelalter hinab<lb/>
in Deutschland sichtbar.</note> Ihre Wohnung, der Palast war höher,<lb/>
weiter, schöner und reicher geschmückt als die übrigen Häuser. <note place="foot" n="4"><hi rendition="#g">Homer's</hi> Odyss. IV. 45:<lb/><lg type="poem"><l>&#x201E;Wie der Sonne Glanz umherstrahlt oder des Mondes,</l><lb/><l>Strahlte der hohe Palast des gottbeseligten Herrschers.&#x201C;</l></lg><lb/>
Vgl. Odyss. VI. 301 ff. Aehnlich die &#x201E;Hallen&#x201C; der deutschen Fürsten.</note><lb/><note xml:id="note-0423" prev="#note-0422" place="foot" n="1">die allmähliche Entwicklung und Ausbreitung des Königthums bei den<lb/>
germanischen Völkern, auch bei solchen, welche vorher ohne Könige ge-<lb/>
lebt hatten, gibt <hi rendition="#g">Dahn</hi> (Die Könige der Germanen VI Bde.) näheren<lb/>
Bericht. Vgl. <hi rendition="#g">Gierke</hi> (Deutsches Genossenschaftsrecht I. 548 ff.).</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0423] Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc. und Helden sind Göttersöhne und Verwandte der Götter, aber sie sind zugleich wirkliche Menschen in ihren und des Volkes Augen. Daher sind die Ehrenrechte der Könige höher und ausgedehnter als ihre Macht. Sie vertreten das gesammte Volk den Göttern gegenüber und vermitteln durch Opfer und Gebet, soweit nicht besondere Priester diese Pflicht üben, zwischen beiden, 2 weszhalb denn auch zu Athen nach der Abschaffung des Königthums der opfernde Archon noch den Namen des Königs beibehielt. An Werth wird ihre Person weit höher geschätzt als die der übrigen Volksgenossen. Das Wergeld der germanischen Könige übertrifft das der Edeln gewöhnlich mehrfach. Sie ragen daher auch durch ihren Reichthum vor Allen hervor. Ihnen gehört ein groszer Theil des Landes als Domäne zu Eigenthum zu, und bei Eroberungen erhalten sie ausgedehnte Güter zum voraus. 3 Ihre Wohnung, der Palast war höher, weiter, schöner und reicher geschmückt als die übrigen Häuser. 4 1 2 Aristot. Pol. III. 9, 7: In den skandinavischen Ländern tritt diese Eigenschaft auch der germanischen Könige deutlicher hervor, als in der uns bekannten deutschen Geschichte. Vgl. Grimm, Rechtsalt. S. 243. Der christlich gesinnte norwegische König Hakon wurde von den noch heidnischen Bauern gezwungen, an dem Ding nach dem alten Herkommen zu opfern, die Weihebecher zu trinken und Pferdefleisch zu essen. Konr. Maurer, die Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christenthum. I. S. 160 ff. 3 Tacitus, Germ. 14: „Materia munificentiae per bella et raptus.“ c. 26: „Agros inter se secundum dignationem partiunter.“ Diese aus- gedehnte Grundherrlichkeit der Könige und Fürsten ist, trotz der zahl- reichen Entäuszerungen aller Art, noch durch das ganze Mittelalter hinab in Deutschland sichtbar. 4 Homer's Odyss. IV. 45: „Wie der Sonne Glanz umherstrahlt oder des Mondes, Strahlte der hohe Palast des gottbeseligten Herrschers.“ Vgl. Odyss. VI. 301 ff. Aehnlich die „Hallen“ der deutschen Fürsten. 1 die allmähliche Entwicklung und Ausbreitung des Königthums bei den germanischen Völkern, auch bei solchen, welche vorher ohne Könige ge- lebt hatten, gibt Dahn (Die Könige der Germanen VI Bde.) näheren Bericht. Vgl. Gierke (Deutsches Genossenschaftsrecht I. 548 ff.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/423
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/423>, abgerufen am 06.05.2024.