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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Capitel. Das Princip der vier Grundformen.
welcher das Volk einer fremden, auszer ihm und über ihm
stehenden Macht unterworfen ist, bildet die Statsform, in der
das Volk sich selbst beherrscht, d. h. in seiner Gesammt-
heit als Regierung, in seiner Auflösung in einzelne Bürger als
Regierte erscheint: die Demokratie, Volksherrschaft.

III. Die statliche Unterscheidung zwischen Regierung und
Regierten hält sich zwar innerhalb des Volkes, und ist mensch-
lich, aber so geordnet, dasz eine höhere Classe oder ein
höherer Stamm des Volkes als Regierung, die übrigen Classen
und Stämme dagegen als Regierte sich darstellen. Die letztern
sind dann nur Regierte, nicht auch Regierung, die erstern
zwar vorerst Regierung, aber daneben doch in ihren einzelnen
Gliedern wieder Regierte: Aristokratie.

IV. Der Gegensatz von Regierung und Regierten ist voll-
kommen, aber menschlich so entfaltet, dasz die Regierung in
einem Individuum concentrirt ist, welches nur Regent, nicht
zugleich Regierter ist, welches somit dem State ganz und gar
angehört und gewissermaszen die Einheit der Volksgemein-
schaft personificirt: Monarchie.

Für jede der vier Grundformen gibt es einen Urtypus,
welcher in ihr sich spiegelt:

Die Theokratie bildet die Herrschaft Gottes über
die Welt
, aber noch als eine unvermittelte, gewissermaszen
rohe und despotische nach.

Die Monarchie verherrlicht die Einheit der Mensch-
heit
in "dem Menschen" als Individuum, welches als
Herrscher im State die Gesammtheit darstellt, oder die Ein-
heit des Volks
in der Personification des Volksfürsten.

Die Demokratie drückt die Idee der Gemeinschaft des
Volks
oder aller Individuen aus und stellt die Ge-
meinde
im State dar.

Die Aristokratie verkörpert den Gegensatz der edleren
und gemeinen Bestandtheile
des Volks, und gibt jenen
die Herrschaft über diese. Wie der Demokratie die Gemeinde,

Viertes Capitel. Das Princip der vier Grundformen.
welcher das Volk einer fremden, auszer ihm und über ihm
stehenden Macht unterworfen ist, bildet die Statsform, in der
das Volk sich selbst beherrscht, d. h. in seiner Gesammt-
heit als Regierung, in seiner Auflösung in einzelne Bürger als
Regierte erscheint: die Demokratie, Volksherrschaft.

III. Die statliche Unterscheidung zwischen Regierung und
Regierten hält sich zwar innerhalb des Volkes, und ist mensch-
lich, aber so geordnet, dasz eine höhere Classe oder ein
höherer Stamm des Volkes als Regierung, die übrigen Classen
und Stämme dagegen als Regierte sich darstellen. Die letztern
sind dann nur Regierte, nicht auch Regierung, die erstern
zwar vorerst Regierung, aber daneben doch in ihren einzelnen
Gliedern wieder Regierte: Aristokratie.

IV. Der Gegensatz von Regierung und Regierten ist voll-
kommen, aber menschlich so entfaltet, dasz die Regierung in
einem Individuum concentrirt ist, welches nur Regent, nicht
zugleich Regierter ist, welches somit dem State ganz und gar
angehört und gewissermaszen die Einheit der Volksgemein-
schaft personificirt: Monarchie.

Für jede der vier Grundformen gibt es einen Urtypus,
welcher in ihr sich spiegelt:

Die Theokratie bildet die Herrschaft Gottes über
die Welt
, aber noch als eine unvermittelte, gewissermaszen
rohe und despotische nach.

Die Monarchie verherrlicht die Einheit der Mensch-
heit
in „dem Menschen“ als Individuum, welches als
Herrscher im State die Gesammtheit darstellt, oder die Ein-
heit des Volks
in der Personification des Volksfürsten.

Die Demokratie drückt die Idee der Gemeinschaft des
Volks
oder aller Individuen aus und stellt die Ge-
meinde
im State dar.

Die Aristokratie verkörpert den Gegensatz der edleren
und gemeinen Bestandtheile
des Volks, und gibt jenen
die Herrschaft über diese. Wie der Demokratie die Gemeinde,

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[379/0397] Viertes Capitel. Das Princip der vier Grundformen. welcher das Volk einer fremden, auszer ihm und über ihm stehenden Macht unterworfen ist, bildet die Statsform, in der das Volk sich selbst beherrscht, d. h. in seiner Gesammt- heit als Regierung, in seiner Auflösung in einzelne Bürger als Regierte erscheint: die Demokratie, Volksherrschaft. III. Die statliche Unterscheidung zwischen Regierung und Regierten hält sich zwar innerhalb des Volkes, und ist mensch- lich, aber so geordnet, dasz eine höhere Classe oder ein höherer Stamm des Volkes als Regierung, die übrigen Classen und Stämme dagegen als Regierte sich darstellen. Die letztern sind dann nur Regierte, nicht auch Regierung, die erstern zwar vorerst Regierung, aber daneben doch in ihren einzelnen Gliedern wieder Regierte: Aristokratie. IV. Der Gegensatz von Regierung und Regierten ist voll- kommen, aber menschlich so entfaltet, dasz die Regierung in einem Individuum concentrirt ist, welches nur Regent, nicht zugleich Regierter ist, welches somit dem State ganz und gar angehört und gewissermaszen die Einheit der Volksgemein- schaft personificirt: Monarchie. Für jede der vier Grundformen gibt es einen Urtypus, welcher in ihr sich spiegelt: Die Theokratie bildet die Herrschaft Gottes über die Welt, aber noch als eine unvermittelte, gewissermaszen rohe und despotische nach. Die Monarchie verherrlicht die Einheit der Mensch- heit in „dem Menschen“ als Individuum, welches als Herrscher im State die Gesammtheit darstellt, oder die Ein- heit des Volks in der Personification des Volksfürsten. Die Demokratie drückt die Idee der Gemeinschaft des Volks oder aller Individuen aus und stellt die Ge- meinde im State dar. Die Aristokratie verkörpert den Gegensatz der edleren und gemeinen Bestandtheile des Volks, und gibt jenen die Herrschaft über diese. Wie der Demokratie die Gemeinde,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/397>, abgerufen am 17.09.2024.