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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Fünftes Buch. Der Statszweck.
derung, wenn die private Selbständigkeit der Individuen ihre
eigenen Wege gehen wollte, im Gegensatze zu der allgemei-
nen Richtung der Volkswohlfahrt und des Stats.

Ganz im Gegensatze zu dieser antiken Grundansicht ist
voraus von englischen und nordamerikanischen Schriftstellern
die Meinung vielfältig verfochten worden, dasz der Stat kei-
nen Selbstzweck in sich, sondern ausschlieszlich ein Mittel
sei für die Wohlfahrt der Einzelmenschen. Macaulay
(Kleine Schriften und wiederholt in seinen Werken) bezeich-
net es als einen Hauptmangel in der Politik der Alten und
Machiavelli's, dasz sie nicht, wie die Neuern, den groszen
Grundsatz erkannt haben: "Gesellschaften und Gesetze be-
stehen lediglich zu dem Zweck, die Summe des Privat-
glücks
zu vermehren." Der Stat wird von dieser modernen
Schule dann nur als eine blosze Einrichtung, gleichsam eine
Maschine, betrachtet, welche als Mittel diene, um den Ein-
zelnen mehr Sicherheit zu gewähren für ihr Dasein, ihr Ver-
mögen, ihre persönliche Freiheit und höchstens noch als eine
künstliche Anstalt gerühmt, welche gemacht sei, das Glück
und die Wohlfahrt aller Einzelnen, oder doch der groszen
Mehrzahl zu erhöhen und zu fördern.

Seit Bacon ist diese Meinung oft von Politikern und
selbst von Männern der Wissenschaft mit Eifer vertheidigt
worden. Wer im State nur eine Gesellschaft von Individuen
sieht, kann dieselbe nicht abweisen. Macaulay glaubt so-
gar, dasz die Vervollkommnung der öffentlichen Zustände in
der neueren Zeit vornehmlich der Wirksamkeit dieser An-
sicht zu verdanken sei. Robert von Mohl findet es abge-
schmackt, wo Menschen und eine blosze Einrichtung für die-
selben in Frage seien, von einer gleichen Bedeutung beider
zu reden.

Ich denke: In beiden Behauptungen, jener antiken und
dieser modernen ist ein Wahrheitskern zu finden; aber beide
verfallen in einen Irrthum, indem sie nur Eine Seite vor

Fünftes Buch. Der Statszweck.
derung, wenn die private Selbständigkeit der Individuen ihre
eigenen Wege gehen wollte, im Gegensatze zu der allgemei-
nen Richtung der Volkswohlfahrt und des Stats.

Ganz im Gegensatze zu dieser antiken Grundansicht ist
voraus von englischen und nordamerikanischen Schriftstellern
die Meinung vielfältig verfochten worden, dasz der Stat kei-
nen Selbstzweck in sich, sondern ausschlieszlich ein Mittel
sei für die Wohlfahrt der Einzelmenschen. Macaulay
(Kleine Schriften und wiederholt in seinen Werken) bezeich-
net es als einen Hauptmangel in der Politik der Alten und
Machiavelli's, dasz sie nicht, wie die Neuern, den groszen
Grundsatz erkannt haben: „Gesellschaften und Gesetze be-
stehen lediglich zu dem Zweck, die Summe des Privat-
glücks
zu vermehren.“ Der Stat wird von dieser modernen
Schule dann nur als eine blosze Einrichtung, gleichsam eine
Maschine, betrachtet, welche als Mittel diene, um den Ein-
zelnen mehr Sicherheit zu gewähren für ihr Dasein, ihr Ver-
mögen, ihre persönliche Freiheit und höchstens noch als eine
künstliche Anstalt gerühmt, welche gemacht sei, das Glück
und die Wohlfahrt aller Einzelnen, oder doch der groszen
Mehrzahl zu erhöhen und zu fördern.

Seit Bacon ist diese Meinung oft von Politikern und
selbst von Männern der Wissenschaft mit Eifer vertheidigt
worden. Wer im State nur eine Gesellschaft von Individuen
sieht, kann dieselbe nicht abweisen. Macaulay glaubt so-
gar, dasz die Vervollkommnung der öffentlichen Zustände in
der neueren Zeit vornehmlich der Wirksamkeit dieser An-
sicht zu verdanken sei. Robert von Mohl findet es abge-
schmackt, wo Menschen und eine blosze Einrichtung für die-
selben in Frage seien, von einer gleichen Bedeutung beider
zu reden.

Ich denke: In beiden Behauptungen, jener antiken und
dieser modernen ist ein Wahrheitskern zu finden; aber beide
verfallen in einen Irrthum, indem sie nur Eine Seite vor

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[346/0364] Fünftes Buch. Der Statszweck. derung, wenn die private Selbständigkeit der Individuen ihre eigenen Wege gehen wollte, im Gegensatze zu der allgemei- nen Richtung der Volkswohlfahrt und des Stats. Ganz im Gegensatze zu dieser antiken Grundansicht ist voraus von englischen und nordamerikanischen Schriftstellern die Meinung vielfältig verfochten worden, dasz der Stat kei- nen Selbstzweck in sich, sondern ausschlieszlich ein Mittel sei für die Wohlfahrt der Einzelmenschen. Macaulay (Kleine Schriften und wiederholt in seinen Werken) bezeich- net es als einen Hauptmangel in der Politik der Alten und Machiavelli's, dasz sie nicht, wie die Neuern, den groszen Grundsatz erkannt haben: „Gesellschaften und Gesetze be- stehen lediglich zu dem Zweck, die Summe des Privat- glücks zu vermehren.“ Der Stat wird von dieser modernen Schule dann nur als eine blosze Einrichtung, gleichsam eine Maschine, betrachtet, welche als Mittel diene, um den Ein- zelnen mehr Sicherheit zu gewähren für ihr Dasein, ihr Ver- mögen, ihre persönliche Freiheit und höchstens noch als eine künstliche Anstalt gerühmt, welche gemacht sei, das Glück und die Wohlfahrt aller Einzelnen, oder doch der groszen Mehrzahl zu erhöhen und zu fördern. Seit Bacon ist diese Meinung oft von Politikern und selbst von Männern der Wissenschaft mit Eifer vertheidigt worden. Wer im State nur eine Gesellschaft von Individuen sieht, kann dieselbe nicht abweisen. Macaulay glaubt so- gar, dasz die Vervollkommnung der öffentlichen Zustände in der neueren Zeit vornehmlich der Wirksamkeit dieser An- sicht zu verdanken sei. Robert von Mohl findet es abge- schmackt, wo Menschen und eine blosze Einrichtung für die- selben in Frage seien, von einer gleichen Bedeutung beider zu reden. Ich denke: In beiden Behauptungen, jener antiken und dieser modernen ist ein Wahrheitskern zu finden; aber beide verfallen in einen Irrthum, indem sie nur Eine Seite vor

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/364>, abgerufen am 22.11.2024.