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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
fest, dasz die Römer kein allgemeines Abtretungsrecht zu-
gelassen haben. Ihre groszen Canäle, ihre in gerader Rich-
tung durchgeführten Heerstraszen, ihre Wasserleitungen und
Befestigungswerke aber wären unerklärbar, hätte nicht der
Stat im einzelnen Falle die Macht besessen, die Grund-
eigenthümer zur Abtretung zu nöthigen. Wahrscheinlich ver-
fuhren die Römer, wenn solche Bedürfnisse vorlagen, ähnlich,
wie bis auf die neueste Zeit die Engländer, d. h. sie erlieszen
ein Specialgesetz für den besondern Fall. Auch gegen-
wärtig noch bedarf es, wie in frühern Zeiten, in England
einer Parlamentsacte, wenn die Eigenthümer zum Bedarf
einer öffentlichen Unternehmung angehalten werden sollen,
ihr Eigenthum abzutreten. 13

Auf dem Continente dagegen ist das Recht der Enteig-
nung gewöhnlich in neuerer Zeit allgemein anerkannt und
regulirt worden. Viele neuere Verfassungen enthalten das
Princip, dasz der Stat berechtigt sei, aus Gründen der öffent-
lichen Wohlfahrt und gegen volle Entschädigung die Abtre-
tretung des Eigenthums zu erzwingen. 14


13 Vgl. Blackstone, I. 1. und eine Reihe neuerer Gesetze über
Canäle und Eisenbahnen. Beispiele in dem "Neuesten Expropriations-
codex." Nürnberg 1837.
14 Bayerisches Landrecht von 1756 IV. 3. §. 2. Preussisches
Landrecht I. 2. §. 4. 7. Code Napol. §. 545: "Nul ne peut
etre contraint
de ceder sa propriete, si se n'est pour cause
d'utilite publique, et moyen-
nant une juste et prealable indemnite." Oesterr. Gesetzb. §. 365.:
"Wenn es das allgemeine Beste erheischt, musz ein Mitglied des States
gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigen-
thum einer Sache abtreten." Verfassung von Frankreich v. 1848.
§. 11. gleichlautend mit der Charte von 1814. §. 9. und dem Code; von
Belgien 1831. §. 11, von Neapel 1848. §. 26. ebenso
Oesterr. Verf.
von 1849. §. 29, ähnlich der obigen Bestimmung des Gesetzbuchs.
Preuszische Verfassung von 1850. A. 9: "Das Eigenthum ist unver-
letzlich. Es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen vor-
gängige
, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig fest-
zustellende
Entschädigung nach Maszgabe des Gesetzes entzogen oder
beschränkt werden."

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
fest, dasz die Römer kein allgemeines Abtretungsrecht zu-
gelassen haben. Ihre groszen Canäle, ihre in gerader Rich-
tung durchgeführten Heerstraszen, ihre Wasserleitungen und
Befestigungswerke aber wären unerklärbar, hätte nicht der
Stat im einzelnen Falle die Macht besessen, die Grund-
eigenthümer zur Abtretung zu nöthigen. Wahrscheinlich ver-
fuhren die Römer, wenn solche Bedürfnisse vorlagen, ähnlich,
wie bis auf die neueste Zeit die Engländer, d. h. sie erlieszen
ein Specialgesetz für den besondern Fall. Auch gegen-
wärtig noch bedarf es, wie in frühern Zeiten, in England
einer Parlamentsacte, wenn die Eigenthümer zum Bedarf
einer öffentlichen Unternehmung angehalten werden sollen,
ihr Eigenthum abzutreten. 13

Auf dem Continente dagegen ist das Recht der Enteig-
nung gewöhnlich in neuerer Zeit allgemein anerkannt und
regulirt worden. Viele neuere Verfassungen enthalten das
Princip, dasz der Stat berechtigt sei, aus Gründen der öffent-
lichen Wohlfahrt und gegen volle Entschädigung die Abtre-
tretung des Eigenthums zu erzwingen. 14


13 Vgl. Blackstone, I. 1. und eine Reihe neuerer Gesetze über
Canäle und Eisenbahnen. Beispiele in dem „Neuesten Expropriations-
codex.“ Nürnberg 1837.
14 Bayerisches Landrecht von 1756 IV. 3. §. 2. Preussisches
Landrecht I. 2. §. 4. 7. Code Napol. §. 545: „Nul ne peut
être contraint
de céder sa propriété, si se n'est pour cause
d'utilité publique, et moyen-
nant une juste et préalable indemnité.“ Oesterr. Gesetzb. §. 365.:
„Wenn es das allgemeine Beste erheischt, musz ein Mitglied des States
gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigen-
thum einer Sache abtreten.“ Verfassung von Frankreich v. 1848.
§. 11. gleichlautend mit der Charte von 1814. §. 9. und dem Code; von
Belgien 1831. §. 11, von Neapel 1848. §. 26. ebenso
Oesterr. Verf.
von 1849. §. 29, ähnlich der obigen Bestimmung des Gesetzbuchs.
Preuszische Verfassung von 1850. A. 9: „Das Eigenthum ist unver-
letzlich. Es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen vor-
gängige
, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig fest-
zustellende
Entschädigung nach Maszgabe des Gesetzes entzogen oder
beschränkt werden.“
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[294/0312] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. fest, dasz die Römer kein allgemeines Abtretungsrecht zu- gelassen haben. Ihre groszen Canäle, ihre in gerader Rich- tung durchgeführten Heerstraszen, ihre Wasserleitungen und Befestigungswerke aber wären unerklärbar, hätte nicht der Stat im einzelnen Falle die Macht besessen, die Grund- eigenthümer zur Abtretung zu nöthigen. Wahrscheinlich ver- fuhren die Römer, wenn solche Bedürfnisse vorlagen, ähnlich, wie bis auf die neueste Zeit die Engländer, d. h. sie erlieszen ein Specialgesetz für den besondern Fall. Auch gegen- wärtig noch bedarf es, wie in frühern Zeiten, in England einer Parlamentsacte, wenn die Eigenthümer zum Bedarf einer öffentlichen Unternehmung angehalten werden sollen, ihr Eigenthum abzutreten. 13 Auf dem Continente dagegen ist das Recht der Enteig- nung gewöhnlich in neuerer Zeit allgemein anerkannt und regulirt worden. Viele neuere Verfassungen enthalten das Princip, dasz der Stat berechtigt sei, aus Gründen der öffent- lichen Wohlfahrt und gegen volle Entschädigung die Abtre- tretung des Eigenthums zu erzwingen. 14 13 Vgl. Blackstone, I. 1. und eine Reihe neuerer Gesetze über Canäle und Eisenbahnen. Beispiele in dem „Neuesten Expropriations- codex.“ Nürnberg 1837. 14 Bayerisches Landrecht von 1756 IV. 3. §. 2. Preussisches Landrecht I. 2. §. 4. 7. Code Napol. §. 545: „Nul ne peut être contraint de céder sa propriété, si se n'est pour cause d'utilité publique, et moyen- nant une juste et préalable indemnité.“ Oesterr. Gesetzb. §. 365.: „Wenn es das allgemeine Beste erheischt, musz ein Mitglied des States gegen eine angemessene Schadloshaltung selbst das vollständige Eigen- thum einer Sache abtreten.“ Verfassung von Frankreich v. 1848. §. 11. gleichlautend mit der Charte von 1814. §. 9. und dem Code; von Belgien 1831. §. 11, von Neapel 1848. §. 26. ebenso Oesterr. Verf. von 1849. §. 29, ähnlich der obigen Bestimmung des Gesetzbuchs. Preuszische Verfassung von 1850. A. 9: „Das Eigenthum ist unver- letzlich. Es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen vor- gängige, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig fest- zustellende Entschädigung nach Maszgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/312>, abgerufen am 22.11.2024.