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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
zu verschaffen, seine Regierungsbeschlüsse durchzuführen, seine
Gerichtsbarkeit zu üben. Der Stat hat nicht blosz Gewalt
über die Personen, er hat sie auch über das Land und über
die Sachen darin.

Diese Herrschaft ist aber statlich, nicht privatrechtlich.
Die wirthschaftliche Sachenherrschaft, die wir Eigenthum
nennen, gehört dagegen dem Privatrecht an, und ist jeder
Privatperson zugänglich.

Der negative Inhalt der Gebietshoheit besteht in dem
Rechte des States, jeden andern Stat oder überhaupt jede
andere Macht von jeder statlichen Herrschaft innerhalb seines
Gebietes und von jedem Uebergriff in dasselbe abzuhalten.
Es ist eine einfache Folge dieses Grundsatzes, wenn der mo-
derne Stat nicht zugibt, dasz in seinem Lande ein fremder
Stat Gerichtsbarkeit oder Polizeigewalt übe, und wenn er
auch eine privatrechtliche Begründung solcher fremden Herr-
schaft nicht anerkennt.

Die Veräuszerung endlich des Statsgebietes oder eines
Theiles desselben in den Formen und nach den Begriffen des
Privatrechtes, wie dieselbe im Mittelalter ganz allgemein von
den Landesherren geübt wurde, welche ihre Herrschaften wie
ihre Grundstücke verkauften, verpfändeten, oft auch vertheil-
ten, 2 ist hinwieder mit dem öffentlichen Charakter der Ge-
bietshoheit nicht mehr vereinbar. Nach dem modernen Stats-
rechte ist vielmehr der Grundsatz der Unveräuszerlich-
keit
und Untheilbarkeit des Statsgebietes als Regel 3
fest zu halten. Ausnahmsweise aber ist eine Veräuszerung
nur zulässig in öffentlich rechtlicher Form, auf Grund-

2 Aehnliches kommt auch im Alterthum, aber nur bei solchen Staten
vor, deren Fürst eine absolute Gewalt über Land und Leute hatte. Vgl.
die Beispiele bei Hugo Grot. I, 3, 12.
3 Franz. Verf. v. 1791. II. §. 11. "Le royaume est un et indivi-
sible
." Belege von deutschen Einzelstaten bei Zachariä, Deutsches
Stats- und Bundesr. I. §. 83.

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
zu verschaffen, seine Regierungsbeschlüsse durchzuführen, seine
Gerichtsbarkeit zu üben. Der Stat hat nicht blosz Gewalt
über die Personen, er hat sie auch über das Land und über
die Sachen darin.

Diese Herrschaft ist aber statlich, nicht privatrechtlich.
Die wirthschaftliche Sachenherrschaft, die wir Eigenthum
nennen, gehört dagegen dem Privatrecht an, und ist jeder
Privatperson zugänglich.

Der negative Inhalt der Gebietshoheit besteht in dem
Rechte des States, jeden andern Stat oder überhaupt jede
andere Macht von jeder statlichen Herrschaft innerhalb seines
Gebietes und von jedem Uebergriff in dasselbe abzuhalten.
Es ist eine einfache Folge dieses Grundsatzes, wenn der mo-
derne Stat nicht zugibt, dasz in seinem Lande ein fremder
Stat Gerichtsbarkeit oder Polizeigewalt übe, und wenn er
auch eine privatrechtliche Begründung solcher fremden Herr-
schaft nicht anerkennt.

Die Veräuszerung endlich des Statsgebietes oder eines
Theiles desselben in den Formen und nach den Begriffen des
Privatrechtes, wie dieselbe im Mittelalter ganz allgemein von
den Landesherren geübt wurde, welche ihre Herrschaften wie
ihre Grundstücke verkauften, verpfändeten, oft auch vertheil-
ten, 2 ist hinwieder mit dem öffentlichen Charakter der Ge-
bietshoheit nicht mehr vereinbar. Nach dem modernen Stats-
rechte ist vielmehr der Grundsatz der Unveräuszerlich-
keit
und Untheilbarkeit des Statsgebietes als Regel 3
fest zu halten. Ausnahmsweise aber ist eine Veräuszerung
nur zulässig in öffentlich rechtlicher Form, auf Grund-

2 Aehnliches kommt auch im Alterthum, aber nur bei solchen Staten
vor, deren Fürst eine absolute Gewalt über Land und Leute hatte. Vgl.
die Beispiele bei Hugo Grot. I, 3, 12.
3 Franz. Verf. v. 1791. II. §. 11. „Le royaume est un et indivi-
sible
.“ Belege von deutschen Einzelstaten bei Zachariä, Deutsches
Stats- und Bundesr. I. §. 83.
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[280/0298] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. zu verschaffen, seine Regierungsbeschlüsse durchzuführen, seine Gerichtsbarkeit zu üben. Der Stat hat nicht blosz Gewalt über die Personen, er hat sie auch über das Land und über die Sachen darin. Diese Herrschaft ist aber statlich, nicht privatrechtlich. Die wirthschaftliche Sachenherrschaft, die wir Eigenthum nennen, gehört dagegen dem Privatrecht an, und ist jeder Privatperson zugänglich. Der negative Inhalt der Gebietshoheit besteht in dem Rechte des States, jeden andern Stat oder überhaupt jede andere Macht von jeder statlichen Herrschaft innerhalb seines Gebietes und von jedem Uebergriff in dasselbe abzuhalten. Es ist eine einfache Folge dieses Grundsatzes, wenn der mo- derne Stat nicht zugibt, dasz in seinem Lande ein fremder Stat Gerichtsbarkeit oder Polizeigewalt übe, und wenn er auch eine privatrechtliche Begründung solcher fremden Herr- schaft nicht anerkennt. Die Veräuszerung endlich des Statsgebietes oder eines Theiles desselben in den Formen und nach den Begriffen des Privatrechtes, wie dieselbe im Mittelalter ganz allgemein von den Landesherren geübt wurde, welche ihre Herrschaften wie ihre Grundstücke verkauften, verpfändeten, oft auch vertheil- ten, 2 ist hinwieder mit dem öffentlichen Charakter der Ge- bietshoheit nicht mehr vereinbar. Nach dem modernen Stats- rechte ist vielmehr der Grundsatz der Unveräuszerlich- keit und Untheilbarkeit des Statsgebietes als Regel 3 fest zu halten. Ausnahmsweise aber ist eine Veräuszerung nur zulässig in öffentlich rechtlicher Form, auf Grund- 2 Aehnliches kommt auch im Alterthum, aber nur bei solchen Staten vor, deren Fürst eine absolute Gewalt über Land und Leute hatte. Vgl. die Beispiele bei Hugo Grot. I, 3, 12. 3 Franz. Verf. v. 1791. II. §. 11. „Le royaume est un et indivi- sible.“ Belege von deutschen Einzelstaten bei Zachariä, Deutsches Stats- und Bundesr. I. §. 83.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/298>, abgerufen am 22.11.2024.