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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Fünftes Capitel. V. Von der Gebietshoheit.
trachtet worden, an dem den einzelnen Privaten kein Eigen-
thum, sondern nur ein vorübergehendes Gebrauchs- und
Nutzungsrecht zugestanden war, oder so lange wie in dem
römischen Reiche wenigstens der Boden der unterworfenen
Provinzen als in dem formellen Eigenthum des römischen
Volkes oder Kaisers stehend angesehen wurde, und den Pro-
vinzialen nur ein minderes, obwohl ein reales Eigenthum (in
bonis) an ihren Grundstücken zukam, oder so lange wie in
einzelnen mittelalterlichen Staten, z. B. in England nach der
Eroberung der Normannen, der König als Obereigenthümer
und Lehensherr des ganzen Landes galt und die Unterthanen
nur einen lehensmäszig abgeleiteten Grundbesitz hatten, so
lange bildete die Vereinigung und Vermischung von privat-
rechtlichem Eigenthum und statlicher Hoheit die natürliche
Unterlage für den Begriff des Statseigenthums. Seitdem aber
die Ausscheidung des Privatrechtes und des Statsrechtes voll-
zogen ist, ist derselbe durchaus unhaltbar geworden.

Das Hoheitsrecht des States über das Gebiet, die
Gebietshoheit (imperium), ist somit von dem Eigenthum
(dominium) des States wohl zu unterscheiden. Das letztere
hat einen privatrechtlichen Inhalt, auch wenn der Stat das
Rechtssubject ist, das erstere dagegen hat einen wesentlich
politischen Charakter, und kann seiner Natur nach nur dem
State (beziehungsweise dem Statsoberhaupte) zustehen. 1

Die Gebietshoheit hat vorerst den positiven Inhalt,
dasz dem State vollkommene statliche Herrschaft über
das ganze Gebiet zusteht. Soweit dasselbe sich erstreckt, ist
somit der Stat berechtigt, seiner Gesetzgebung Anerkennung

1 Die Alten haben diese Unterscheidung wohl erkannt. Hugo Grotius,
de jure belli ac pac. II. 3. führt eine Stelle von Seneca an, de benef.
VII. 4: "Ad reges potestas omnium pertinet, ad singulos proprietas;"
und von Dio Chrysost. Orat.: "Das Land gehört dem Stat (e khora tes
poleos); aber nichts desto minder ist jeder Einzelne vollkommener Herr
seiner erworbenen Güter."

Fünftes Capitel. V. Von der Gebietshoheit.
trachtet worden, an dem den einzelnen Privaten kein Eigen-
thum, sondern nur ein vorübergehendes Gebrauchs- und
Nutzungsrecht zugestanden war, oder so lange wie in dem
römischen Reiche wenigstens der Boden der unterworfenen
Provinzen als in dem formellen Eigenthum des römischen
Volkes oder Kaisers stehend angesehen wurde, und den Pro-
vinzialen nur ein minderes, obwohl ein reales Eigenthum (in
bonis) an ihren Grundstücken zukam, oder so lange wie in
einzelnen mittelalterlichen Staten, z. B. in England nach der
Eroberung der Normannen, der König als Obereigenthümer
und Lehensherr des ganzen Landes galt und die Unterthanen
nur einen lehensmäszig abgeleiteten Grundbesitz hatten, so
lange bildete die Vereinigung und Vermischung von privat-
rechtlichem Eigenthum und statlicher Hoheit die natürliche
Unterlage für den Begriff des Statseigenthums. Seitdem aber
die Ausscheidung des Privatrechtes und des Statsrechtes voll-
zogen ist, ist derselbe durchaus unhaltbar geworden.

Das Hoheitsrecht des States über das Gebiet, die
Gebietshoheit (imperium), ist somit von dem Eigenthum
(dominium) des States wohl zu unterscheiden. Das letztere
hat einen privatrechtlichen Inhalt, auch wenn der Stat das
Rechtssubject ist, das erstere dagegen hat einen wesentlich
politischen Charakter, und kann seiner Natur nach nur dem
State (beziehungsweise dem Statsoberhaupte) zustehen. 1

Die Gebietshoheit hat vorerst den positiven Inhalt,
dasz dem State vollkommene statliche Herrschaft über
das ganze Gebiet zusteht. Soweit dasselbe sich erstreckt, ist
somit der Stat berechtigt, seiner Gesetzgebung Anerkennung

1 Die Alten haben diese Unterscheidung wohl erkannt. Hugo Grotius,
de jure belli ac pac. II. 3. führt eine Stelle von Seneca an, de benef.
VII. 4: „Ad reges potestas omnium pertinet, ad singulos proprietas;“
und von Dio Chrysost. Orat.: „Das Land gehört dem Stat (ἡ χῶϱα τῆς
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seiner erworbenen Güter.“
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[279/0297] Fünftes Capitel. V. Von der Gebietshoheit. trachtet worden, an dem den einzelnen Privaten kein Eigen- thum, sondern nur ein vorübergehendes Gebrauchs- und Nutzungsrecht zugestanden war, oder so lange wie in dem römischen Reiche wenigstens der Boden der unterworfenen Provinzen als in dem formellen Eigenthum des römischen Volkes oder Kaisers stehend angesehen wurde, und den Pro- vinzialen nur ein minderes, obwohl ein reales Eigenthum (in bonis) an ihren Grundstücken zukam, oder so lange wie in einzelnen mittelalterlichen Staten, z. B. in England nach der Eroberung der Normannen, der König als Obereigenthümer und Lehensherr des ganzen Landes galt und die Unterthanen nur einen lehensmäszig abgeleiteten Grundbesitz hatten, so lange bildete die Vereinigung und Vermischung von privat- rechtlichem Eigenthum und statlicher Hoheit die natürliche Unterlage für den Begriff des Statseigenthums. Seitdem aber die Ausscheidung des Privatrechtes und des Statsrechtes voll- zogen ist, ist derselbe durchaus unhaltbar geworden. Das Hoheitsrecht des States über das Gebiet, die Gebietshoheit (imperium), ist somit von dem Eigenthum (dominium) des States wohl zu unterscheiden. Das letztere hat einen privatrechtlichen Inhalt, auch wenn der Stat das Rechtssubject ist, das erstere dagegen hat einen wesentlich politischen Charakter, und kann seiner Natur nach nur dem State (beziehungsweise dem Statsoberhaupte) zustehen. 1 Die Gebietshoheit hat vorerst den positiven Inhalt, dasz dem State vollkommene statliche Herrschaft über das ganze Gebiet zusteht. Soweit dasselbe sich erstreckt, ist somit der Stat berechtigt, seiner Gesetzgebung Anerkennung 1 Die Alten haben diese Unterscheidung wohl erkannt. Hugo Grotius, de jure belli ac pac. II. 3. führt eine Stelle von Seneca an, de benef. VII. 4: „Ad reges potestas omnium pertinet, ad singulos proprietas;“ und von Dio Chrysost. Orat.: „Das Land gehört dem Stat (ἡ χῶϱα τῆς πόλεως); aber nichts desto minder ist jeder Einzelne vollkommener Herr seiner erworbenen Güter.“

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/297>, abgerufen am 22.11.2024.