Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Capitel. III. Fruchtbarkeit des Bodens.
nur geringen Werth haben. Die Massen werden arm, ver-
achtet und gänzlich abhängig. Jede höhere Bildung bleibt
ihnen verschlossen. Im Dienste des Herrn leben sie stumpf-
sinnig und roh dahin.

Buckle hat das Verdienst, zuerst mit vollem Nachdruck
auf diese Nachtheile einer allzugroszen Bodenfruchtbarkeit
hingewiesen und dieselben geschichtlich belegt zu haben. Er
geht freilich zu weit, wenn er die alte indische Civili-
sation
und das indische Kastenwesen daraus erklärt
und geradezu behauptet, dasz höhere Cultur Ueberflusz vor-
aussetze. Er legt, nach der Weise seiner Nation, zu viel
Gewicht auf die ökonomischen Verhältnisse. Die angesehen-
sten Brahmanen und Buddhisten zogen die freiwillige Armuth
den Genüssen des Reichthums vor, die Kshatrijas liebten die
Macht und ehrten die Tapferkeit mehr als die Schätze und
die Visajas gehörten nicht zur Aristokratie, aber schätzten
den Reichthum hoch, den sie durch Industrie, Handel und
Darlehen ansammelten. Die Sudras aber waren zur Dienst-
barkeit herabgedrückt, nicht weil sie arm, sondern weil sie
eine unterworfene Nationalität von geringerer Rasse waren.
Trotzdem bleibt es wahr: Die üppigen Reispflanzungen ernäh-
ren leicht eine zahlreiche Bevölkerung, und da der Boden
allmählich Eigenthum oder Lehen der Fürsten und der
aristokratischen Classen wurde, so erhielt sich der allmäh-
lich herausgebildete Gegensatz weniger Reichen und vieler
Armen während Jahrtausenden bis auf die Gegenwart. Die
Menge blieb verachtet und gedrückt, die Vornehmen erfreuten
sich einer feineren Cultur und reichlicher Lebensgenüsse.

Aehnlich war es in Aegypten. Auch die Dattelbäume
erfordern wenig Pflege und gewähren reiche Ernten. Die un-
geheuren Bauwerke der ägyptischen Könige zeugen für die
furchtbare Verschwendung von Arbeitskräften und Menschen-
leben im Dienste der Macht. Wie bejammernswürdig und
elend die Zustände der arbeitenden Knechte waren, haben

Drittes Capitel. III. Fruchtbarkeit des Bodens.
nur geringen Werth haben. Die Massen werden arm, ver-
achtet und gänzlich abhängig. Jede höhere Bildung bleibt
ihnen verschlossen. Im Dienste des Herrn leben sie stumpf-
sinnig und roh dahin.

Buckle hat das Verdienst, zuerst mit vollem Nachdruck
auf diese Nachtheile einer allzugroszen Bodenfruchtbarkeit
hingewiesen und dieselben geschichtlich belegt zu haben. Er
geht freilich zu weit, wenn er die alte indische Civili-
sation
und das indische Kastenwesen daraus erklärt
und geradezu behauptet, dasz höhere Cultur Ueberflusz vor-
aussetze. Er legt, nach der Weise seiner Nation, zu viel
Gewicht auf die ökonomischen Verhältnisse. Die angesehen-
sten Brahmanen und Buddhisten zogen die freiwillige Armuth
den Genüssen des Reichthums vor, die Kshatrijas liebten die
Macht und ehrten die Tapferkeit mehr als die Schätze und
die Visajas gehörten nicht zur Aristokratie, aber schätzten
den Reichthum hoch, den sie durch Industrie, Handel und
Darlehen ansammelten. Die Sudras aber waren zur Dienst-
barkeit herabgedrückt, nicht weil sie arm, sondern weil sie
eine unterworfene Nationalität von geringerer Rasse waren.
Trotzdem bleibt es wahr: Die üppigen Reispflanzungen ernäh-
ren leicht eine zahlreiche Bevölkerung, und da der Boden
allmählich Eigenthum oder Lehen der Fürsten und der
aristokratischen Classen wurde, so erhielt sich der allmäh-
lich herausgebildete Gegensatz weniger Reichen und vieler
Armen während Jahrtausenden bis auf die Gegenwart. Die
Menge blieb verachtet und gedrückt, die Vornehmen erfreuten
sich einer feineren Cultur und reichlicher Lebensgenüsse.

Aehnlich war es in Aegypten. Auch die Dattelbäume
erfordern wenig Pflege und gewähren reiche Ernten. Die un-
geheuren Bauwerke der ägyptischen Könige zeugen für die
furchtbare Verschwendung von Arbeitskräften und Menschen-
leben im Dienste der Macht. Wie bejammernswürdig und
elend die Zustände der arbeitenden Knechte waren, haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0285" n="267"/><fw place="top" type="header">Drittes Capitel. III. Fruchtbarkeit des Bodens.</fw><lb/>
nur geringen Werth haben. Die Massen werden arm, ver-<lb/>
achtet und gänzlich abhängig. Jede höhere Bildung bleibt<lb/>
ihnen verschlossen. Im Dienste des Herrn leben sie stumpf-<lb/>
sinnig und roh dahin.</p><lb/>
          <p>Buckle hat das Verdienst, zuerst mit vollem Nachdruck<lb/>
auf diese Nachtheile einer allzugroszen Bodenfruchtbarkeit<lb/>
hingewiesen und dieselben geschichtlich belegt zu haben. Er<lb/>
geht freilich zu weit, wenn er die <hi rendition="#g">alte indische Civili-<lb/>
sation</hi> und das <hi rendition="#g">indische Kastenwesen</hi> daraus erklärt<lb/>
und geradezu behauptet, dasz höhere Cultur Ueberflusz vor-<lb/>
aussetze. Er legt, nach der Weise seiner Nation, zu viel<lb/>
Gewicht auf die ökonomischen Verhältnisse. Die angesehen-<lb/>
sten Brahmanen und Buddhisten zogen die freiwillige Armuth<lb/>
den Genüssen des Reichthums vor, die Kshatrijas liebten die<lb/>
Macht und ehrten die Tapferkeit mehr als die Schätze und<lb/>
die Visajas gehörten nicht zur Aristokratie, aber schätzten<lb/>
den Reichthum hoch, den sie durch Industrie, Handel und<lb/>
Darlehen ansammelten. Die Sudras aber waren zur Dienst-<lb/>
barkeit herabgedrückt, nicht weil sie arm, sondern weil sie<lb/>
eine unterworfene Nationalität von geringerer Rasse waren.<lb/>
Trotzdem bleibt es wahr: Die üppigen Reispflanzungen ernäh-<lb/>
ren leicht eine zahlreiche Bevölkerung, und da der Boden<lb/>
allmählich Eigenthum oder Lehen der Fürsten und der<lb/>
aristokratischen Classen wurde, so erhielt sich der allmäh-<lb/>
lich herausgebildete Gegensatz weniger Reichen und vieler<lb/>
Armen während Jahrtausenden bis auf die Gegenwart. Die<lb/>
Menge blieb verachtet und gedrückt, die Vornehmen erfreuten<lb/>
sich einer feineren Cultur und reichlicher Lebensgenüsse.</p><lb/>
          <p>Aehnlich war es in <hi rendition="#g">Aegypten</hi>. Auch die Dattelbäume<lb/>
erfordern wenig Pflege und gewähren reiche Ernten. Die un-<lb/>
geheuren Bauwerke der ägyptischen Könige zeugen für die<lb/>
furchtbare Verschwendung von Arbeitskräften und Menschen-<lb/>
leben im Dienste der Macht. Wie bejammernswürdig und<lb/>
elend die Zustände der arbeitenden Knechte waren, haben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0285] Drittes Capitel. III. Fruchtbarkeit des Bodens. nur geringen Werth haben. Die Massen werden arm, ver- achtet und gänzlich abhängig. Jede höhere Bildung bleibt ihnen verschlossen. Im Dienste des Herrn leben sie stumpf- sinnig und roh dahin. Buckle hat das Verdienst, zuerst mit vollem Nachdruck auf diese Nachtheile einer allzugroszen Bodenfruchtbarkeit hingewiesen und dieselben geschichtlich belegt zu haben. Er geht freilich zu weit, wenn er die alte indische Civili- sation und das indische Kastenwesen daraus erklärt und geradezu behauptet, dasz höhere Cultur Ueberflusz vor- aussetze. Er legt, nach der Weise seiner Nation, zu viel Gewicht auf die ökonomischen Verhältnisse. Die angesehen- sten Brahmanen und Buddhisten zogen die freiwillige Armuth den Genüssen des Reichthums vor, die Kshatrijas liebten die Macht und ehrten die Tapferkeit mehr als die Schätze und die Visajas gehörten nicht zur Aristokratie, aber schätzten den Reichthum hoch, den sie durch Industrie, Handel und Darlehen ansammelten. Die Sudras aber waren zur Dienst- barkeit herabgedrückt, nicht weil sie arm, sondern weil sie eine unterworfene Nationalität von geringerer Rasse waren. Trotzdem bleibt es wahr: Die üppigen Reispflanzungen ernäh- ren leicht eine zahlreiche Bevölkerung, und da der Boden allmählich Eigenthum oder Lehen der Fürsten und der aristokratischen Classen wurde, so erhielt sich der allmäh- lich herausgebildete Gegensatz weniger Reichen und vieler Armen während Jahrtausenden bis auf die Gegenwart. Die Menge blieb verachtet und gedrückt, die Vornehmen erfreuten sich einer feineren Cultur und reichlicher Lebensgenüsse. Aehnlich war es in Aegypten. Auch die Dattelbäume erfordern wenig Pflege und gewähren reiche Ernten. Die un- geheuren Bauwerke der ägyptischen Könige zeugen für die furchtbare Verschwendung von Arbeitskräften und Menschen- leben im Dienste der Macht. Wie bejammernswürdig und elend die Zustände der arbeitenden Knechte waren, haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/285
Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/285>, abgerufen am 06.05.2024.